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12 in 12 – Wieviel Gentrifizierung ist zu viel?

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich vor über 15 Jahren an den Washington Square Park in Manhattan zog. Damals kam mir das Village noch wild und ungeordnet vor. Doch für die Alteingesessenen war da schon eines klar: Die Gentrifizierung macht unser Quartier kaputt.

Kein Künstler könne sich mehr leisten, hier zu wohnen, nur noch die finanzkräftige Wirtschaftselite habe das Geld, hier ein Apartment zu mieten oder zu kaufen. Die ersten Starbucks-Filialen setzten sich fest, das Multiplex-Kino, ein H&M und schicke Restaurants waren die Vorboten von dem, was noch kommen sollte.

Ich fand diese Klagerei immer etwas bemühend. Jaja, früher war alles besser. Früher, als Du aufpassen musstest, dass Du unten auf der Strasse nicht überfallen wurdest, früher, als Du noch jung warst und keine Verantwortung hattest, früher als der Kaffee noch einen Dollar kostete…

Ich fand das Village inspirierend. Ich konnte es kaum abwarten, die Cupcakes der Magnolia Bakery zu probieren, den Käse von Murray’s  zu kaufen, bei Babbo das Tasting-Menu für 35 Dollar zu kosten und mir bei Joe’s einen Kaffee zu holen. All das hatte für mich immer noch viel Authentizität und Dynamik, strotzte vor Kreativität und Energie und war Spannung pur. Es gab keinen Ort, an dem ich zu dieser Zeit lieber gewesen wäre, als im Village oder auch  in Soho.

15 Jahre später bin ich wieder in New York. Klar, ich war in der Zwischenzeit einige Male zu Besuch hier. Doch meist eher kurz, Freunde besuchen und gut essen. Da hatte ich jeweils nicht so richtig gemerkt, dass sich die Stadt verändert hatte.

Sie hat sich verändert und zwar wie. Genrifizierung in Vollendung würde ich mal sagen, was immer das heissen mag. Die Häuser sind noch immer traumhaft schön, das Kopfsteinpflaster hat noch immer Löcher und die Fassaden sehen auf den ersten Blick noch total nach Vintage aus. Doch wenn ich genauer hinsehe, dann steckt hinter dieser “unperfekten” Oberfläche viel Perfektion – zu viel. Alles ist so aufbereitet, wie man sich New York aus dem Bilderbuch vorstellt.

Jeder Laden ist ein Millionengeschäft. Wer nicht eine “Big Brand” vertritt, der hat hier keinen Platz mehr. Besonders Soho fühlt sich mittlerweile an wie Disney World. Eine grosse Open Air Mall fast ausschliesslich mit Touristen gefüllt, ohne Herz und ohne Seele.

Gentrifizierung. Jaja, früher war alles besser. Ich hasse es, wenn das jemand sagt. Ehrlich gesagt habe ich nichts gegen einen gewissen Grad an Gentrifizierung. Für mich bedeutet das auch Sicherheit und Qualität. Doch was zu weit geht, das geht zu weit. Ich habe keine Lust, dass die viellecht “greatest city on earth” bald so aussieht, wie irgend eine x-beliebige moderne Stadt in China. New York soll New York bleiben.

Zurück zur Frage: Wieviel Gentrifizierung ist zuviel… soviel wie in Soho und leider auch im Village ist die Antwort.

Zum Glück gibt es sie noch, die Ecken der Stadt, die ihre eigene Identität haben. Das East Village, die Lower East Side, Teile der Upper West Side und Brooklyn.

Deshalb sind wir dieses Mal auch nicht nach Manhattan gezogen, sondern nach Prospect Heights in Brooklyn. Doch dazu später mehr.

 

12 in 12 – Städterating Los Angeles

Der letzte Eintrag aus Los Angeles. Der Moment, die Stadt zu bewerten, ist gekommen.

Ein Monat ist nicht viel Zeit, doch genug, um einen Eindruck zu gewinnen, wie eine Stadt tickt. Deshalb haben wir ein Städterating erarbeitet, das sich von den gängigen Modellen der Mercers dieser Welt unterscheidet. Wir achten weniger auf das Bildungssystem, das politische Umfeld und das Gesundheitssystem, sondern mehr auf Faktoren, die eine Stadt einzigartig machen. Das Rating in neun Kategorien geht von 1 (schlecht) bis 10 (grandios) und spiegelt unser rein subjektives Empfinden:

Die Leute: 7

Die Leute in LA sind extrem freundlich und entgegenkommend. Für ein kurzes Gespräch sind sie immer gerne zu haben. Manchmal fehlt es etwas an Tiefe, doch manchmal finde ich gerade das sehr angenehm…manchmal.

Kulturelles Angebot: 9

Wem es hier langweilig wird, der ist selber Schuld. In Sachen Musik und Film gibt es wohl kaum eine bessere Stadt und auch Kunst und Theater sind hier gut vertreten. Dazu kommen unzählige schräge Events, die es nur in L.A. gibt.

Food: 9

Los Angeles steht ganz oben, wenn es um das kulinarische Wohl geht. Besonders wenn es um Street- oder Fast-Food geht ist die City of Angels nicht zu schlagen.

Preisniveau: 6

Los Angeles ist eine günstige Stadt, wenn man sie mit anderen entwickelten Metropolen vergleicht. Hier kann man für 10 Dollar super essen und zwar jede erdenkliche Küche auf allerhöchstem Niveau.

Öffentlicher Verkehr: 3

Ohne Auto ist man hier ziemlich aufgeschmissen. Zwar gibt es Metro und Busse und wird bald auch nochmals kräftig in den ÜV investiert. Doch auch danach wird es nicht Moskau oder Tokio sein. Wer ein Auto hat (und das hat fast jeder) und nicht allzu grosse Distanzen zurücklegen muss, für den ist L.A. allerdings sher angenehm zu navigieren. Es macht Spass, hier mit dem Auto unterwegs zu sein (falls man der Rush Hour entwischt).

Wetter/Klima: 10

Es gibt Untersuchungen, die sich mit dem besten Klima auf diesem Planeten beschäftigen. Los Angeles steht dabei immer ganz oben auf der Liste. Bei mir auch. Es gibt kein angenehmeres Klima als in L.A. Warm am Tage und etwas kühler in der Nacht. Dazu die kalifornische Sonne, die wirklich immer scheint.

Sicherheit: 8

Der Ruf von L.A. ist schlechter als die Realität. Mir ist in L.A. noch nie auch nur annähernd was passiert. Die Stadt ist total sicher. EInige Gegenden sollte man vielleicht meiden. Doch das ist ja wohl überall so.

Fun/Feel-Good-Factor: 9

Der Vibe in dieser Stadt ist unschlagbar. Mein Stimmungsbarometer steigt ins Unendliche, sobald ich hier ankomme. Alles ist locker, der Californian Lifestyle ist kein Werbeslogan, sondern existiert wirklich und ist einfach ansteckend.

Coolness/Kreativität: 8

Los Angeles ist für mich der Trendsetter in den USA schlechthin. Hier sitzen die Kreativen des Landes und das merkt man. Die Mischung aus Retro und Neu passt ganz genau,

Gesamtergebnis: 69 Punkte

Das ist zusammen mit Tokio der Spitzenplatz,
Hier die Übersicht:

12 in 12 – Comedy of Errors

Es ist kurz nach neun Uhr Abends am Sunset Boulevard mitten in Hollywood. Gleich fängt im legendären Comedy Store die Late Show an. Der Laden ist sowas wie das Wembley Stadion der Stand-Up-Comedians. Seit bald 50 Jahren tritt hier auf, was Rang und Namen hat. Der Comedy Store hat die Karriere von Chevy Chase, Chris Rock, Jerry Seinfeld, Amy Schumer, Martin Lawrence, David Letterman, Eddie Murphy, Robin Williams und vielen anderen lanciert.

Heute Abend stehen gleich 5 Superstars auf dem Programm und das alles für gerade mal 20 Dollar. Margaret Cho, Dane Cook, Kevin Nealon, Mark Maron und Tom Green alle in der selben Show. Ein ganz normaler Abend im Comedy Store. Tom Green? Echt? Das kann doch nicht sein, sagt ihr jetzt bestimmt. Doch, das kann sein. Es ist tatsächlich Tom Green, der Tom Green. Der Tom Green? Der Groschen vielleicht doch nicht gefallen? Dann helfe ich Euch gerne etwas nach.

Ende der neunziger Jahre war Tom Green ein Superstar – auch bei uns. Auf MTV (damals war MTV noch relevant) hatte er die Tom Green Show, in der er lustige Streiche spielte und hier und da mal einen Schritt zu weit ging. Der Vorgänger und das Vorbild von Jackass & Co,  Der Feind aller Eltern und der Held aller Unangepassten…zwischen Peinlichkeit und Genie (keine Ahnung, wie ich mich damals krumm lachen konnte).  Danach heiratete Green kurzerhand die Schauspielerin Drew Barrymore, liess sich nach nur einem Jahr wieder scheiden und war spätestens 2001 seit dem Film “Freddy Got Fingered”….endgültig weg vom Fenster.

Endgültig? Nicht ganz. Da steht er nun wieder auf der Bühne im Comedy Store. 45 Jahre alt, unverheiratet, keine Freundin und keine Kinder. “Ja, ich weiss ich bin alt. Doch dann brauch ich wenigstens keine Angst davor zu haben, dass ich jung sterbe” sagt er, und ich weiss nicht genau, ob ich lachen soll oder nicht.

“Kinder? Dann hab ich schon lieber einen Hund. Wenn ich mit dem Auto aus der Garage fahre und aus Versehen den Hund aus  überfahre, dann sammel ich den Hund einfach auf, stecke ihn in eine Plastiktüte und rein in die Mülltonne. Danach gehe ich wieder zur Tagesordnung über, als ob nichts geschehen ist. Wenn mir das Gleiche mit einem Kind passiert, dann muss ich zumindest ein paar Formulare ausfüllen (then there is paperwork involved)”. Krass findet ihr? Ich finde das lustig…

So ist die amerikanische Stand-Up-Comedy. Immer die Grenzen ausloten. Political correctness wird im Comedy Store vor der Tür gelassen.recht so.

“Vor den Wahlen hatten so viele Amerikaner gesagt: Wenn Trump gewinnt, dann ziehe ich nach Kanada.” Wie habt ihr Euch das eigentlich gedacht? Einfach nach Kanada ziehen? Das ist ein anderes Land!!! Das ist genau so, als ob jemand von Mexiko in die USA zieht. Das geht nicht einfach so. You are the fucking Mexicans now!!!!

Tom Green mag zwar nicht mehr den Madison Square Garden füllen wie Dane Cook, keine Sitcom im TV haben wie Kevin Nealon und Mark Maron. Doch ihm zuzuschauen ist ein Genuss bzw. ein Guilty Pleasure. Im Comedy Store ist die Welt noch in Ordnung. Hier wird zwei Stunden nonstop gelacht. Auf der Bühne stehen Vollprofis, die nicht so peinlich sind wie Möchtegern-Comedians  unserer Breitengrade Bülent Ceylan, Oliver Pocher und Andreas Thiel.

In Los Angeles gibt es Comedy Clubs wie Sand am Meer. Jeden Abend steigen im Comedy Store, der Laugh Factory, im Improv, im Groundlings, im UCB und im Icehouse zwischen 2 und 5 Shows. Jeden Abend. Egal ob alleine oder in der Gruppe. Hier kommt man auf andere Gedanken und manchmal ist das genau das, wonach man sucht.

Ich war übrigens vier Mal in einem Monat im Comedy Store. Eine Neuentdeckung möchte ich Euch nicht vorenthalten. Iliza Schlesinger. Statt erzählen, wie gut sie ist, hier ein Video:

Und hier ein Flashback zur Tom Green Show (ich habe Euch gewarnt):

 

 

12 in 12 – Arbeitsklima oder Arbeitsqualität?

Was ist wichtiger für Euch? Dass das Arbeitsklima oder die Qualität Eures Jobs? Ist es egal, wenn ihr Euch nicht mit Euren Mitarbeitern versteht und jeder gegen jeden kämpft statt alle miteinander, solange ihr einen fetten Pay Check mit nach Hause nehmt und die Arbeit an sich herausfordernd und interessant ist oder ist das Gift?

Für mich ist die Antwort klar: Ohne gutes Arbeitsklima macht kein Job der Welt Spass. Ein gutes Klima und Zusammenhalt ist für mich das A und O, damit ich am Morgen gerne aufstehe und mit Freude zur Arbeit gehe. Im Englischen gibt es den schönen Ausdruck: “You might be flipping burgers”. Dieses Idiom wird eingesetzt, wenn sich jemand über seinen Job beschwert nach dem Motto: Weisst Du eigentlich, wie gut Du es hast – Du könntest ja auch in einem Burgerladen arbeiten und den ganzen Tag Burger wenden.

OK, den ganzen Tag Burger wenden ist nicht mein Traumjob. Doch wer diesen Ausspruch erfunden hat, war bestimmt nie in der Burgerkette In-N-Out. Das 1946 gegründete kalifornische Fast-Food-Restaurant, das in seinen über 300 Filialen die besten Burger der Welt zu wahnwitzig tiefen Preisen produziert, ist das Paradebeispiel, dass Arbeit, die auf den ersten Blick langweilig aussieht, dennoch erfüllend sein kann.

Hinter der Kasse und in der Burgerküche bei In-N-Out stehen unzählige Helfer, die dafür sorgen, dass die Burger frisch und lecker an die Schlange stehenden Gäste geliefert werden. Die Angestellten tragen eine Retro-Uniform und sind immer guter Laune, wirklich immer.

Schon in dem Moment, wo man In-N-Out Burger betritt, fange auch ich an zu lächeln. Die glücklichen Gesichter der Angestellten sind ansteckend. Hier kann ich nicht anders, als alle Sorgen vor der Tür zu lassen und einen Burger geniessen. Bein In-N-Out möchte ich auch gerne mal  “Burger flippen”.  Hier herrscht Teamgeist, jeder Einzelne ist stolz, für In-N-Out arbeiten zu dürfen und fühlt sich pudelwohl. Auf Indeed.com belegt In-N-Out jeweils einen der aller vordersten Plätze, wenn es um den besten Arbeitgeber geht. Dafür gibt einige Gründe. In-N-Out zahlt 17% mehr als andere Fast-Food-Ketten, die Angestellten kriegen einen Retirement Plan und weitere Benefits, es gibt einen klaren Karriereplan und wer es zum Manager schafft, kann ein sechsstelliges Jahresgehalt verdienen, der Arbeitsplan wird auf die persönlichen Bedürfnisse ausgerichtet, Teilzeit ist möglich. 80% der Store Manager der über 300 In-N-Out-Burger haben ganz unten im Unternehmen angefangen.

Warum erzähle ich Euch das? Nur wer ein gutes Arbeitsklima hat, wer Lob und Anerkennung für seinen Einsatz erhält und wer stolz ist, für seinen Arbeitgeber zu arbeiten, ist wirklich glücklich. Die angenehme Nebenwirkung: Die Produktivität eines Unternehmens steigt, wenn die Angestellten gerne zur Arbeit kommen. Druck und Drohungen wirken allerhöchstens kurzfristig, denn Loyalität und Engagement leiden, wenn man sich nicht wohl fühlt.

Ich habe zwar nicht vor, bald Burger zu flippen – doch ich weiss, dass ich in einem Job – ob als Manager oder als Arbeiter – vor allem ein Ziel habe – zum guten Arbeitsklima beizutragen.

12 in 12 – Freude am Glück der Anderen

Es gibt für mich nichts Schöneres, als einer Person in genau dem Moment zuzusehen, wo sich ihr Leben verändert und zwar so, dass bald nichts mehr so ist, wie es mal war und idealer bald alles besser ist. Genau deshalb macht es mir so viel Spass, noch unbekannten Künstlern zuzusehen, wie sie sich vor einem kleinem Publikum die Finger wund spielen und mit aller Kraft versuchen, aus der Obskurität des Übungsraums ans Licht der Weltöffentlichkeit zu gelangen.

Meist muss man Dutzende oder gar Hunderte von Konzerten warten, bis sowas passiert. Gestern war es wieder mal so weit. Im Legendären Club Echo in Silver Lake steht eine junge Frau auf der Bühne: Sie ist nicht als Haupt-Act gebucht, sondern hat die oft undankbare Aufgabe einer sogenannten Support Band. Sie heisst Alina Bea und ihre Songs auf Youtube haben gerade mal zwischen 10 und 40 Hits. Niemand im Saal kennt sie und niemand wartet auf sie.

Doch in dem Moment, wo sie mit ihrem Oberteil, das an die Jedi-Ritter aus Star Wars erinnert, auf die Bühne kommt, und die ersten Akkorde spielt, hat sie den ganzen Saal verzaubert. Kreativ wie Bjork und mit der Stimme und Energie von Kate Bush hat sie das Publikum auf ihrer Seite. Jeder Einzelne ist plötzlich ein Fan und sich bewusst, dass das hier kein normales Konzert ist, sondern dass hier gerade ein Star geboren wird. Nach jedem Song wird der Applaus stärker. Das Wort tosend als Bezeichnung für den Beifall zu gebrauchen, ist sicher nicht übertrieben. Auch Alina weiss, dass heute ein besonderer Tag war. Sie hat einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Irgendein guter Produzent wird sicher im Publikum gewesen sein. Schliesslich sind wir hier in Los Angeles. Nach dem letzten Song hüpft Alina vor Freude auf der Bühne herum. Ihre unnahbare Persona lässt sie links liegen, ist einfach nur glücklich und strahlt mit den Scheinwerfern um die Wette.

Ein paar Minuten später treffe ich Alina am T-Shirt-Stand. Ich sage ihr, wie toll ihr Auftritt war und dass ich ihr viel Glück für die Zukunft wünsche. Sie lacht mich an und bedankt sich. Alina Bea, merkt Euch diesen Namen. Wenn sich das richtige Label um die junge Frau aus Los Angeles kümmert, dann kann sie durchaus in die Fusstapfen einer Lykke Li oder Aurora treten.

Auch wenn Alina viel Potential hat, ist der Weg zum Erfolg noch weit. Nächstes Jahr dürfte sie in Austin beim SXSW-Festival auftreten, danach, wenn sie viel Glück hat, eine US-Tour gebucht bekommen, im Jahr darauf  kümmert sich vielleicht eine richtige Plattenfirma um sie und frühestens 2019 ist sie dann in Europa gefragt. Good Luck Alina. Ich drücke dir die Daumen – alle beide.

12 in 12 – Scientology macht mich traurig

Wer wie ich denkt, dass Scientology angesichts all der negativen Presse und üblen Skandale bald am Ende ist, der hat sich kräftig getäuscht. In Los Angeles, dem Zentrum, um nicht zu sagen Brutstätte, dieser “Religion”, hängt das Schild der Church of Scientology bei jedem Besuch an noch mehr Häusern. Mittlerweile dürften es über 50 teils riesige Gebäude sein, in denen die Kirche ihren Jüngern predigt. Sie bringt ihnen bei, wie sie ihr volles Potential ausschöpfen, in dem sie die Fähigkeiten der Seele (Thetan), die die Menschheit vor Millionen von Jahren verloren haben soll, wieder zum Funktionieren bringt.

Dass schlechte Presse und Skandale nicht zum Scheitern einer Bewegung führen muss, wissen wir nicht erst seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten.  Doch dass eine von einem zweitklassigen Science-Fiction-Schriftsteller namens Ron L. Hubbard 1954 erfundene Religion für Viele eine so anziehende Wirkung hat, ist schon erstaunlich. Der Hauptsitz der Kirche befindet sich direkt am Sunset Boulevard in einem blauen Art-Deco-Prunkbau. Der Parkplatz ist immer voll und was da drinnen genau vor sich geht ist mir schleierhaft. Irgendwelche Seminare, wo die Anhänger durch sogenanntes Auditing neue Stufen des Bewusstseins erreichen, dürften die Hauptaktivität sein.

Besonders sagenumwoben ist das Scientology Celebrity Center, ein schlossähnliches Gebäude, in dem Leute, die in der Lage sind, die Welt zu verändern (vor allem Schauspieler und Sportler), von Scientology betreut werden. Ich parke oft in der Nähe des Celebrity Centers, da gleich gegenüber einer meiner liebsten Comedy Clubs liegt. Dabei kommt mir die Szenerie um das Celebrity Center immer wie eine Mischung aus The Shining und Eyes Wide Shut vor.

OK, ich habe überhaupt nicht die Kapazität, hier irgendwelche Skandale aufzudecken oder fundierte Kritik an Scientology zu üben. Doch ein Anblick hat mich gestern so richtig traurig und wütend gemacht. Nur wenige Meter vom Hauptsitz der Kirche entfernt, auf einer riesigen gemieteten Plakatwand steht folgendes: “to my loved one in scientology: Call me.” Bezahlt wurde dieser Aufruf von der Organisation: Stopscientologydisconnection.com.

Scientology fordert ihre Mitglieder dazu auf, zu ihrer gesamten Familie, die nicht an Scientology glaubt, jeglichen Kontakt abzubrechen und zwar für immer und ewig. Nur so kann das Bewusstsein gestärkt werden, wird den Jüngern eingebläut. Jede Religion, die sowas von einem Menschen verlangt, hat bei mir verspielt. Klar muss jeder selber wissen, wie er sein Leben lebt. Doch wer solche Regeln aufstellt, der macht sich lächerlich, vor allem wenn er verzweifelt versucht, immer wieder zu beweisen, dass es sich hier nicht um einen Kult, sondern um eine Ernst zu nehmende Religion handeln soll. Wieviele Scientology-Anhänger es wirklich gibt ist äusserst umstritten. Aus den eigenen Reihen wird immer wieder die Zahl von 10 Millionen genannt. Neutrale Schätzer gehen von lediglich 100’000 oder gar weniger aus.

 

 

12 in 12 – Hallo mein Freund, ich habe dich vermisst

Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Bestimmt nicht. Los Angeles ist eine kleine Diva und lässt nicht so leicht jemanden an sich ran. Spröde, hässlich, unnahbar, unverständlich und unberechenbar ist die Stadt der Engel.

Die erste Bekanntschaft mit Los Angeles habe ich schon zu meiner Schulzeit gemacht, als ich mit meinem Vater per Greyhound-Bus Amerika durchquert hatte. Damals kam mir alles noch so gross und unheimlich vor…  Ich kenne Los Angeles mittlerweile länger als die meisten meiner Freunde. Die Beziehung ist mit der Zeit immer intensiver geworden. Seit über zehn Jahren komme ich jedes Jahr mindestens zwei Wochen hierher. Die Stadt hat mich in ihren Bann gezogen. Ich glaube, ich verstehe sie mittlerweile – zumindest ein bisschen. Sie ist wunderschön, magisch, vertraut, altmodisch und fortschrittlich zugleich und die Uhr tickt hier etwas langsamer als im Rest der Welt.

Vielleicht ist es genau das, was ich so mag an Los Angeles. Die Uhr tickt langsamer. Hier gelingt es mir, wie in kaum einer anderen Stadt, mein Tempo zu verlangsamen, mich treiben zu lassen und nicht alles so Ernst zu nehmen. Es ist zwar ein Klischee mit dem Californian Way of Life. Doch irgendwie hat es schon was. Amerikanische Städte haben oft keine Identität. Los Angeles ist da eine Ausnahme. Multiple Identities können auch was Gutes sein.

Ich habe dich vermisst, Los Angeles und bin froh, wieder bei dir zu sein.

Geborgen im Palmenmeer

Sorglos die Strasse entlang

Inspiriert die Augen öffnen

Zufrieden Neues und Altes entdecken

Das ist Los Angeles

 

 

12 in 12 – Kunst oder keine Kunst?

Traditionelle japanische Kunst ist zwar zum sterben schön, doch kann auch etwas langweilig sein. Immer wieder die gleichen Kampfszenen der Samurai, Frauen im Kimono , Tempel, Hügellandschaften und Kirschblüten, ja natürlich Kirschblüten.

Doch was ist mit der modernen japanischen Kunst? Was hat Japan ausser Takashi Murakami und Yayoi Kusama noch zu bieten? Kein Event bietet dazu eine bessere Übersicht als die International Tokyo Art Fair, an der 150 japanische Top-Gallerien teilnehmen und ihr bestes Pferd im Stall ins Rennen schicken.

Dabei will ich euch gar nicht zu stark mit Namen langweilen und Euch einfach visuell zeigen, was es zu sehen gab. Ich bin beileibe kein Kunstkritiker und bitte, sagt mir wenn ihr das anders seht. Doch ich habe meine Eindrücke in drei Kategorien aufgeteilt: “Das ist Kunst”, “Das ist keine Kunst” und “Ist das Kunst?”

Das ist Kunst

Das ist keine Kunst

Ist das Kunst?

Einverstanden, empört oder entsetzt?

12 in 12 – Shinto hört sich gut an

Ich bin kein religiöser Mensch und wenn ich mir die neue TV-Serie mit Jude Law als Young Pope ansehe, dann frage ich mich schon, ob Katholizismus das gelbe vom Ei ist.

Auch wenn ich mich wohl als Atheist bezeichnen würde, stelle ich mir manchmal die Frage, ob es einen Gott gibt und was das mit uns Menschen alles so auf sich hat. Eine Antwort darauf habe ich selbstverständlich keine. Da muss ich euch enttäuschen. Doch hier in Japan bin ich zumindest einen Schritt näher gekommen, wenn es darum geht, Religion zu verstehen und zu akzeptieren. Hier gibt es zwei Religionen, die eng miteinander verwandt sind. Einmal der Buddhismus, genauer gesagt der Mahayana-Budismus, der verschiedenen Buddhas huldigt und dann ist da noch der Shintoismus.

Ich bin absolut kein Experte und die Feinheiten der Shinto-Religion sind mir noch immer fremd. Doch das Grundkonzept finde ich gar nicht so abwegig. Im Shinto gibt es keinen Gründer, keinen richtigen Gott, sondern nicht so eng definierte Kamis und keine heilige Schrift im engeren Sinne.

Die beiden Schriften Kojiki und Nihonshoki sind eher historisch-mythologische Zeugnisse. Shinto basiert auf dem Prinzip, in Harmonie mit der Natur zu leben. Man strebt nach einem “Magokoro”, was soviel bedeutet wie ein aufrichtiges Herz zu haben.

Ein aufrichtiges Herz. Das hört sich doch gut an. Einer der wichtigsten Schreine des Shinto-Glaubens ist der Meji-Schrein in Tokio. Wer im Yoyogi-Park die  Anlage betritt, den überfällt eine stoische Ruhe, die sehr angenehm ist.

Shinto stellt die Rücksichtnahme auf die natürliche sowie die eigene soziale Umwelt und Ordnung in den Mittelpunkt. In dieser Betonung einer auf gegenseitiger Hilfe beruhenden Harmonie, die auch auf die Welt als Ganzes ausgedehnt werden kann, lässt sich ein Bekenntnis zu menschlicher Solidarität finden, wie es auch den universalistischen Weltreligionen zu eigen ist.

Wie gesagt, ich bin kein religiöser Mensch. Doch die menschliche Solidarität als Mantra zu haben und daran zu arbeiten, dass man mit gutem Gewissen sagen kann, man habe ein aufrichtiges Herz , das würde uns doch allen gut tun. Gerade in weltpolitisch schwierigen Zeiten. Religion hin oder her.

12 in 12 – Das Spiel mit der fetten Schminke

Ich war mir ziemlich sicher, dass das eine Tortur werden würde. Japanische Schauspieler in fetter Schminke, Kimonos und Masken, die auf der Bühne teilweise Minutenlang regungslos herumstehen, japanisch sprechen und ein traditionelles Drama auf die Bühne zaubern. Das Ganze nennt man Kabuki, wurde 2005 in die  UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen und ist fest in der japanischen Kultur verwurzelt.

Sozusagen das Wembley-Stadion des Kabuki ist das Kabukiza-Theater im Stadteil Ginza, das erst letztes Jahr eröffnet wurde. Ein Prachtbau, der einem den Atem verschlägt. Wie so oft sind wir die einzigen Nicht-Japaner im Publikum und harren der Dinge. Gleich beginnt die Vorstellung.

Als der Vorhang fällt, bin ich von einer Sekunde auf die andere in den Bann gezogen. Zehn Schauspieler, eine Art Orchester und fünf Helfer, die den Stars unbemerkt die Requisiten zustecken, stehen auf der Bühne. Alle sind sie fett geschminkt und alles sind Männer. Im Kabuki werden die Rollen der Frauen meistens  von Männern gespielt. Das allein gibt dem Ganzen schon einen komödiantischen Unterton.

Gesprochen wird zum Glück wenig. Fast alles wird mit Gesten erzählt. Im Stück geht es geht um den Unterschied der Stadt- und Landbevölkerung. Sie machen sich gegenseitig lustig über ihre Unterschiede und Fehler.  Das Publikum lacht, gibt Anfeuerungsrufe, raunt erstaunt und klatscht begeistert. Kabuki macht grossen Spass. Wer hätte das gedacht?  Wenn der Bauer seinen Stadtherrn an den Haaren über die Bühne zieht oder wenn eine Art Tanzduell sowas von schief geht, wenn der Mann, der als Frau verkleidet ist, mit einer schrägen Piepsstimme singt – das ist köstlich.

Kabuki ist das traditionelle japanische Theater des Bürgertums der Edo-Zeit und besteht aus Gesang, Pantomime und Tanz. Kabuki ist eine im Wesentlichen säkulare Kunstform und etwas weniger formell als das ältere, vom Buddhismus geprägte Nō-Theater der Samurai. Begründet wurde die Kunstform 1603 von Okuni vom Izumo-Schrein, einer Miko (Schreinmädchen), als diese zusammen mit anderen Frauen beim Kitano-Schrein in Kyoto Tanz und komödiantische Stücke darbot. Als sich das Ganze über die Jahre mit Prostitution vermischte, wurden Frauen Mitte des 17. Jahrhunderts ausgeschlossen. Diese Tradition hat sich bis heute gehalten, ist aber kein “Gesetz” und wird in Japan keinesfalls als frauenfeindlich aufgefasst.

Die Männer, die Frauen spielen, werden Onnagata genannt. Sie sind meist schon fortgeschrittenen Alters und in Japan grosse Stars. Dank der dick aufgetragenen Schminke, sieht man kaum, wie alt jemand ist.

Meine Befürchtungen, dass ich mich an der Kabuki-Aufführung, die schnell mal fünf Stunden dauern kann, zu Tode langweile haben sich nicht bestätigt. Ich bin ein grosser Fan geworden. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass Vorurteile sehr oft falsch sind und nur darauf basieren, dass man im Prinzip keine Ahnung hat, wovon man spricht, Ein Vorurteil eben.