Kirschen, Kirschen, Kirschen. Seit ich hier bin, höre ich nichts anderes. Wann blühen die ersten Kirschen? Welche Stadt ist zuerst dran? Hoffentlich scheint die Sonne, wenn die Kirschen blühen und und und. Überall gibt es Gebäck und Eis mit Kirschblütenaroma und in jeder Zeitung werden die neusten Prognosen zum Start der Saison veröffentlicht. Nichts ist den Japanern so wichtig, wie die Kirschblüten. Nicht die Baseball-Weltmeisterschaft, die angespannte Lage mit Nordkorea, nicht der diplomatische Hick-Hack mit China und auch nicht der liebe Donald reichen da im Entferntesten ran.
Kirschblüten sind die Priorität. Es soll dieses Jahr früher so weit sein. Tokio ist in der Pole Position und dürfte noch vor Kyoto dran sein, erzählen uns unsere Nachbarn stolz. Alles klar. So aufregend wird das bestimmt nicht sein. Wir haben hier schon die Pflaumenblüten und die Pfirsichblüten gesehen. “Die sehen doch genauso aus wie die Kirschblüten”, sage ich etwas schelmisch und begebe mich damit aber sowas von auf Glatteis. Nein, nein, Kirschblüten seien was ganz Besonderes. Jaja, ich wollte nicht unhöflich sein. Kirschblüten sind toll.
Die Kirschblüte wird in der japanischen Kultur seit rund 1200 Jahren in Ehre gehalten. Davor gebührte die Ehre übrigens der Pflaume. Doch das will heute niemand mehr wahr haben…
“Sakura” heisst die Kirsche in Japan und das Ritual, unter den Kirschblüten zu verweilen, die Stimmung zu geniessen und zu picknicken wird “Hanami” genannt.
Die Blüte ist ein Symbol für die Kurzlebigkeit des menschlichen Lebens und damit eng mit dem Buddhismus verbunden. Sie Blüht in vollster Pracht und ist nur wenige Tage später wieder verblüht. Dabei geht es um den Teil der Religion, der “Mono no aware” genannt wird und das Bewusstsein des Vergänglichen beinhaltet.
Kirschblüten sind wunderschön und akzeptieren ohne Widerstand ihr Schicksal. Auch eine japanische Eigenheit. Man gliedert sich ein und akzeptiert sein Schicksal ohne grosses Murren. Gleichzeitig steht die Blüte auch für Reinheit und Moral, ebenfalls zwei Grundwerte der japanischen Gesellschaft.
Als es am 20. März endlich soweit ist und das Meteorologische Institut Japans für Tokio offiziell vor dem grossen Rivalen Kyoto die Kirschblütenzeit ausrief, regnet es. Was für einen Enttäuschung. Trotzdem liessen es sich viele nicht nehmen, die noch schwachen Knospen und Blüten zu bestaunen. Andächtig werden die Bäume umzingelt und Photos geschossen.
Am nächsten Tag scheint endlich die Sonne. Ob Yoyogi-Park oder Shinjuku, alles dreht sich heute um die Kirsche und ihre Blüte. Es wird Gepicknickt und Reiswein getrunken. Überraschend viel Reiswein und Bier und dann wieder Reiswein. Der Hanami ist eine feuchtfröhliche Angelegenheit. Der Japaner trinkt gerne mal einen, braucht dafür aber auch eine gute Ausrede und die hat er ja jetzt.
Wer ganz gut drauf ist, der dichtet ein Haiku, einen Dreizeiler mit 5, 7 und nochmals 5 Silben. Ich habe zwar keinen wirklich verstanden, doch ihr müsst Euch das so vorstellen:
Über dem Berg der Mond
Wirft selbst auf den Blütendieb
Gnädig seinen Schein.
oder
In allen Winkeln
Blieb die Kälte – doch sieh:
Die Kirschenblüte.
Na OK, ist schon schön die Kirschenblüte. Wenn der Ozean der Kirschblüten über die Stadt hereinfällt, dann ist das wie Weihnachten und Ostern zusammen. Doch nach einer Woche ist der Spuk vorbei. Die Blüten liegen am Boden und verrotten. Das macht mich irgendwie traurig. Ein ganzes Jahr warten, bis es wieder so weit ist?
P.S. Übrigens sind nicht alle Fotos wirklich von Kirschblüten. Gibts einige Experten unter Euch, die wissen, wo sich die Pflaumenblüte versteckt hat?