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12 in 12 – Warum in Berlin gejubelt wird

Es ist Freitag Abend  kurz vor zehn. Ich fahre auf meinem silbernen 80er Jahre Rennrad der Marke “Motobecane” vom Schlesischen Tor Richtung Lausitzer Platz, als ein ohrenbetäubendes Geschrei losbricht. Was ist da bloss los? Streitet sich da jemand, gibt es eine Prügelei, wird demonstriert oder ist es ein freudiges Ereignis? Ein Polterabend, eine grosse Party, gibt es was umsonst?

Ich halte an und schaue mich um. Woher kommen die Stimmen? Es ist definitiv kein Streit, sondern ein ausgelassenes Rufen, Schreien und Grölen, wie ich es nur vom Fussball  kenne. Doch im Moment ist Sommerpause. Da kann eskaum ein Fussballspiel sein; oder jubeln die Berliner der deutschen Frauennationalmannschaft an der EM oder der Hertha im Freundschaftsspiel gegen Liverpool zu?

Ich sehe eine Menschentraube vor einer Bar. Ich schliesse mein Fahrrad ab und gehe auf das Oberbaumeck an der Bevernstrasse zu. Die Bar ist gerammelt voll. Auf zwei Grossbildschrimen läuft tatsächlich Fussball. weitere dreissig bis vierzig Typen, die drinnen keinen Platz mehr haben, stehen mit einer Flasche Bier draussen und starren durch das Fenster des Oberbaumecks gebannt auf die Mattscheibe. WM-Feeling pur. Jetzt will ich aberendlich  wissen, was hier gespielt wird, bzw. wer hier spielt.

VfL Bochum – St. Pauli 0:1 – steht oben links auf dem Screen. Was? 2. Bundesliga? St. Pauli in Berlin? Ich traue meinen Augen nicht. Doch es ist tatsächlich so. In Kreuzberg gibt es für die Meisten nur einen Verein und der ist nicht etwa die Hertha aus Berlin und auch nicht der 1.FC Union, sondern St. Pauli aus Hamburg. Der Verein, der durch seine Authentizität und richtigen handgemachten Fussball ohne Grossinvestoren glänzt, ist für viele Kreuzberger das einzige, was zählt. Hamburg als Stadt können sie zwar nicht riechen, aber St. Pauli, das ist Herzenssache.

“Der Buchmann hat ne unglaubliche Kiste reingeballert” sagt der Typ neben mir. “Das war so geil” meint sein Kumpel. Wenn St. Pauli spielt, dann ist in Kreuzberg Ausnahmezustand. Ich kann es kaum fassen. Es sind 75 Minuten gespielt und St. Pauli führt noch immer 1:0 und das Auswärts. Ich schwinge mich wieder auf mein Motobecane und radle Richtung Wohnung.

An unserer Hausecke komme ich an der “Weissen Taube”, eine Bar oder treffender eine Kneipe, die in Kreuzberg zum Inventar gehört, vorbei. In der Weissen Tauber läuft meistens  Heavy Metal, haben Hipster Hausverbot und sowohl Fipperkasten als auch Kicker haben Hochkonjunktur. Wenn Fussball läuft, dann gilt in der Weissen Taube: 10 Cent Getränkezuschlag und Kaffee kriegt man dann ganz bestimmt keinen – das geht zu lange sagt der Barkeeper. Auch in der Weissen Taube gibt es heute nur ein Thema. Das Spiel St. Pauli gegen Bochum. Es läuft die 84. Spielminute. Die Paulianer verteidigen mit Mann und Maus. Ein Raunen geht durch die Menge, als Hornschuh noch gerade so mit dem Kopf klären kann.

Schlusspfiff. Das Spiel ist aus, St. Pauli gewinnt und ist der erste Tabellenführer der gerade angepfiffenen Zweitligasaison. Berlin hat einen Grund zum Feiern. Der Barkeeper kann sich vor Bestellungen kaum retten. Ohne den Getränkezuschlag kostet das Bier jetzt nur noch 2.20 Euro. Hummel Hummel…Mors Mors.

 

12 in 12 – Das Todesdreieck von Sachsenhausen

Ein halbe Stunde nördlich von Berlin liegt die Kleinstadt Oranienburg. Vom Bahnhof aus laufe ich zwanzig Minuten durch typisch deutsche Siedlungen und Einfamilienhäuser. Hier scheint die kleinbürgerliche Welt noch in Ordnung zu sein.Die Hecken sind fein säuberlich geschnitten, die Vorhänge gut zugezogen und die Autos fisch gewaschen. Dann eine grosse Betonmauer. “Gedenkstätte Sachsenhausen” steht da drauf.

Hier war das Konzentrationslager Sachsenhausen. Das Kontentrationslager aller Konzentrationslager. Hier befand sich die Schaltzentrale, die über alle Konzentrationslager des Deutschen Reichs bestimmte und sich all die unvorstellbaren Grausamkeiten und Gräueltaten ausdachte, die in Auschwitz, Buechenwald, Dachau und den anderen Lagern ausgeführt wurden. Insgesamt wurden im Holocaust über 5 Millionen jüdische Menschen ermordet.

Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie ich mich hier fühle, als ich durch das Eingangstor mit der Aufschrift “ARBEIT MACHT FREI” gehe. Es ist surreal und doch so wirklich. 200’000 Gefangene waren in Sachsenhausen. Viele haben das nicht überlebt und wer hier lebend rausgekommen ist, der hat das sein Leben lang nicht vergessen.

Das Häftlingslager wurde in Form eines gleichschenkligen Dreiecks angelegt. Alle Gebäude waren symmetrisch um die Mittelachse gruppiert und auf den Turm A, den Sitz der SS-Lagerleitung ausgerichtet. “Geometrie des Terrors” nannte man diese Anordnung. Grausam.

1939 wurde das erste lagereigene Krematorium errichtet. 1942 folgte mit vier Verbrennungsöfen, Leichenhalle, Genickschussanlage und ab 1943 auch mit einer als Bad getarnten Gaskammer.

Die SS hielt den Terror bis Kriegsende aufrecht. Mehr als 30 000 Häftlinge wurden am 21. April 1945 auf Todesmärsche Richtung Nordwesten getrieben.

Wie schlimm es wirklich war kann man heute nur noch erahnen. Doch so richtig vorstellen kann ich es mir nicht. Zu sauber ist es hier mittlerweile. Ein wenig Licht ins Dunkel bringt ein Zitat des evangelischen Pfarrers Martin Niemöller, der als persönlicher Gefangener des Führers in Sachsenhausen festgehalten wurde. Auf die Frage, ob es denn wirklich so schlimm war antwortete er: “Nein, es war noch tausend mal schlimmer.”

Ich weiss, dass es nicht unbedingt der ideale Wochenendausflug ist, mal so zur Erholung ins KZ zu gehen. Doch ab und zu sollte man auch mal was machen, das unangenehm ist und einen noch Tage und Wochen danach beschäftigt. Denn bei allem Guten im Menschen ist es wichtig, immer daran zu denken, dass es auch anders sein kann und dass jeder einzelne von uns das seine dazu beitragen sollte, dass sowas nicht wieder passiert.

 

 

12 in 12 – Der Mann am Haupthebel – Joseph Beuys

Ich war wohl etwa 11 Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit dem deutschen Künstlers Joseph Beuys in Kontakt kam. Ich glaube, es war eine Ausstellung in Düsseldorf und die Geschichte, die am Familientisch erzählt wurde, war die einer mit Fett und Dreck gefüllten Badewanne, die Beuys im Museum aufgestellt hatte und die dann über Nacht vorn einer übereifrigen Putzfrau blitzblank geputzt wurde. Was für ein Scharlatan, dachte ich damals. Kunst ist das sicherlich nicht. Ich habe keine Ahnung, ob die Geschichte mit der Badewanne stimmt, doch so ist sie mir in Erinnerung und so passt sie auch hervorragend zu Joseph Beuys.

Meine frühe Meinung zu Beuys deckt sich mit seiner Eigenen. Der Mann mit dem Hut hatte sich nie als Künstler verstanden. “Erst wenn wir uns alle Künstler nennen, dann bin ich auch ein Künstler” hatte er immer gesagt. Auch mir ging es immer so, dass ich nicht recht wusste, was ich von den grossen Filz- und Fettskulpturen halten sollte, die ich schon so oft im Museum gesehen hatte. War Beuys ein Scharlatan, der seine Person und seine Visionen geschickt verkaufen konnte oder war er ein Genie?

Hier in Berlin im Hamburger Bahnhof gibt es eine der grössten Beuys-Sammlungen zu sehen. Dazu läuft derzeit gerade der Dokumentarfilm Beuys in den Kinos, der einem den Meister näher bringt. Unsere Museumsführerin im Hamburger Bahnhof brachte ein wenig Licht ins Dunkel der Kunst von Joseph Beuys. Die “Richtkräfte einer neuen Gesellschaft” genannten Wandtafeln, die scheinbar wahllos in einem Raum verstreut waren, finde ich seither umwerfend gelungen.

1974 beschriftete Joseph Beuys 100 britische Schultafeln aus den 60er-Jahren mit seinen gesellschaftlichen Theorien für die Ausstellung „Art into Society – Society into Art“ in der Kunsthalle ICA in London. Über die Galerie René Block in New York zog das Kunst-Objekt zur Biennale in Venedig, anschließend nach Berlin in die Neue Nationalgalerie, dann in den Hamburger Bahnhof.

100 Tafeln, bei denen auf einer an den Enden einer Linie die Worte „east“ und „west“ geschrieben waren und in der Mitte über einer Trennlinie die Worte „Eurasia“ und „Berlin wall“ – die Mauer als Linie der Trennung zweier unterschiedlicher Denksphären, die Beuys als „westlichen Privatkapitalismus“ und „östlichen Staatskapitalismus“ bezeichnete. “Show you wound” steht immer wieder auf den Tafeln. Zeige Deine Schwächen”, getrau dich, denn die Schwäche kann deine Stärke sein.  Beuys kann man durchaus als Erfinder der Aktionskunst und der multimedialen Kunst sehen.

Beuys war seiner Zeit sowas von voraus. Er hat schon vor 30 Jahren die richtigen Fragen gestellt, weil er in den politischen Raum hineingedacht hat und den Fragen nicht nachgelaufen war. Beuys war “Der Mann am Haupthebel”, der immer Ideen hatte und diese dann auch Konsequent umsetzte und dabei stand er immer auch selbst am Hebel.

“Das erste Produkt menschlicher Kreativität ist der Gedanke” sagt Beuys im Dokumentarfilm  “Beuys”. Gedanken = Plastik = Freiheit. Gedanken können die Welt verändern. Das hört sich idealistisch an; stimmt aber.

Beuys stand auch politisch oft direkt am Hebel. Er war Mitgründer der Grünen Partei, warnte vor der eigenständigen Vermehrung des Geldes die Finanzkrise lässt grüssen), sorgte sich um die Umwelt und das Wohl der Allgemeinheit und durchbrach immer wieder Grenzen. Ein kleines Beispiel seiner Sturheit:

Nachdem Kunstprofessor Beuys im Juli 1971 insgesamt 142 von der Akademie abgelehnte Studenten in seine Klasse aufgenommen und das Sekretariat der Kunstakademie besetzt hatte, entließ ihn der damalige Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD). Studenten reagierten mit Hungerstreik und Vorlesungsboykott, Künstler und Schriftsteller wie Heinrich Böll, Martin Walser, David Hockney, Gerhard Richter und Günther Uecker machten sich für seine Wiedereinsetzung stark.

Also, ich habe mich entschieden.  Der Mann mit dem Hut ist sicher kein Scharlatan, sondern einer der wichtigsten Deutschen seiner Generation. Jeder, der über Beuys lacht oder verständnislos vor seinen skulpturartigen Werken steht, sollte ihm noch eine Chance geben. Deutschland ist ärmer ohne Beuys. Verstorben ist er 1986 – drei Jahre vor dem Mauerfall. Doch in seiner Kunst (auch wenn er sie selber nicht so nennt) lebt er weiter.

Der Trailer zum Film Beuys:

12 in 12 – Plattenbauten: Architektonisches Verbrechen oder Vision?

Eine Fussgängerzone, eine Rockband, die auf einem von Betonwänden umzingelten Platz spielt, Kids, die rumsitzen und am Rande der Siedlung ein grosses, funkelndes Shopping Center. Ich bin in Berlin MarzahnHellersdorf – dem Stadtteil im Osten Berlins mit der grössten Plattenbausiedlung der Welt.

Es ist überraschend grün hier in Marzahn. Grosse Wiesen, Wälder rundherum und gar nicht so das düstere Bild, das man von einer Plattenbausiedlung in der Regel hat. Plattenbauten sind für mich der typische Baustil einer Grossstadtsiedlung in der ehemaligen DDR. Doch entstanden ist der Plattenbau weit davor.

Die Abkehr vom Historismus und seinen verspielten Formen und der Verzicht auf Dekoration und die Verwendung einheitlicher Materialien förderte ein uniformes Erscheinungsbild der Gebäude. Einheit und Gleichheit. Das war die Idee des Plattenbaus.

Die ersten Plattenbauten gab es in New York, genauer gesagt in Forrest Hills im Stadtteil Queens. Das war 1910. In Deutschland hielt der Plattenbau 1925 in der Frankfurter Siedlung und ein Jahr später in Berlin-Lichterberg Einzug. Auch Le Corbusier hatte seine Finger im Spiel. Der Verzicht auf Dekoration, fabrikgefertigte Einzelbauteile, die sogenannten Platten, machten den Bau schnell und für die damalige Zeit auch modern.

Viele der ersten Siedlungen sind architektonisch durchaus wertvoll und erinnern an das Prinzip der Funktionalität, das von der Bauhausbewegung gepredigt wurde. Dieses Prinzip nahm sich die Deutsche Demokratische Republik zum Vorbild, trieb es aber einen Schritt zu weit.

Mit dem staatlichen Wohnungsbauprogramm von 1972, das die Beseitigung des Wohnraummangels bis 1990 zum Ziel hatte, wurde der Plattenbau zum wichtigsten Neubautyp erhoben. Neue Stadtteile oder ganze Städte mit bis zu 100.000 Einwohnern, wie Halle-Neustadt, wurden meist gänzlich in Plattenbauweise errichtet. Im Rahmen des Wohnungsbauprogramms wurden insgesamt etwa drei Millionen Wohnungen neu gebaut oder saniert. In der DDR wurden die Bauten übrigens nicht Plattenbau, sondern ganz einfach Neubau genannt.

Während das Plattenbauprinzip im Osten Deutschlands, zumindest was den sozialen Frieden angeht, sehr gut funktioniert, werden die Siedlungen in Westdeutschland schnell zu sozialen Brennpunkten.  Die Bewohnerstruktur der Siedlungen zeichnet sich teilweise durch höhere Arbeitslosigkeit sowie verstärkte Migrantenanteile aus. Diese Unterprivilegierung führt meist zu einer überdurchschnittlich hohen Kriminalitätsrate.

In den letzten Jahren werden in Deutschland und Berlin immer mehr Plattenbauten abgerissen und sollen neuen zeitgerechten Bauten weichen. Einige Plattenbauten werden jedoch auch saniert, wie hier in Marzahn. Die Gebäude sind neu verpackt, modernisiert und aufgepeppelt. Es schient gut zu funktionieren. Leere Wohnungen sind hier nicht auszumachen. Zwar steigt die Jugendkriminalität, besonders unter den 8 bis 14-jährigen in Marhzahn-Hellersdorf leicht an, hält sich aber insgesamt noch im Rahmen.

Nochmals zur Ausgangsfrage. Waren Plattenbauten ein architektonisches Verbrechen oder eine geniale Vision der Zukunft? Ich lege mich da mal nicht ganz fest. Optisch finde ich diese riesigen Bauten schon ein Dorn im Auge und somit sind sie visuell sicher mehr Verbrechen als Vision. Doch in der Nachkriegszeit und angesichts der akuten Wohnungsnot gab es wohl keine bessere Lösung.

Noch ein kurzer Seitenblick. Rund um den Alexanderplatz in der Mitte von Berlin gibt es unzählige Plattenbauten. Einige davon sind mittlerweile extrem beliebt. Hipster, Journalisten, Künstler, Harz-4-Empfänger und ein paar Alteingesessene wohnen hier Schulter an Schulter. Die geniale Aussicht, die zentrale Lager und die erschwinglichen Mieten sind kaum zu schlagen. Die Platte und ihre strenge Ästhetik wurde zumindest hier rehabilitiert.

 

 

12 in 12 – 60’000 Kaugummiautomaten

Ich hatte 10 Pfennig und wusste ganz genau, wo die hinkommen. Die würde ich vorne an der Ecke des Fuhlsbütteler Wegs und des Garstedter Wegs in Hamburg in den Kaugummiautomaten schmeissen und dafür hoffentlich den kleinen Schlüsselanhänger aus Plastik aus dem Kasten ziehen. Ich glaube, ich habe es nie geschafft, den Schlüsselanhänger rauszukriegen. Stattdessen waren es immer drei kleine, nur nach Zucker schmeckende Kaugummis, die ich aus dem Automaten geholt hatte. Stolz schlich ich dann jeweils mit meiner Beute von dannen und teilte mir die Kaugummis ganz genau ein, denn es konnte ein paar Tage dauern, ehe ich wieder 10 Pfennig hatte, die ich in den Automaten stecken konnte.

Als ich hier in Berlin am ersten Tag die Lausitzer Strasse runterlaufe, traue ich meinen Augen nicht. Da hängt er, genau dieser Kaugummiautomat aus meinen Kindertagen. Runtergekommen, verrostet, die kleine Scheibe auf der Vorderseite so mitgenommen, dass ich kaum erkennen kann, was sich darin befindet. Es sind genau die Kaugummis, die ich damals aus dem Kasten geholt habe. Sie sehen so aus, als ob sie seit damals nie ausgewechselt wurden.

Wer steckt heute noch Geld in solche Automaten? Nichts, aber auch gar nichts könnte mich dazu bewegen, aus diesem ekligen Ding, Kaugummis rauszuziehen. Haben die Kids heutzutage nicht andere Hobbies? Sind die Unterhaltungsmöglichkeiten im Zeitalter von iPhone und Xbox nicht einen Schritt weiter und ist der Kaugummiautomat da nicht ein Relikt von gestern?

An der nächsten Ecke hängt noch ein Automat. Drei Kids drehen den Knopf. Kaugummikugeln Marke “Rainforest”, in irren Pastellfarben, für redliche 20 Cent. Rund um den Einwurfschlitz ist der weiße Lack abgeplatzt. Ein grosser, giftgrüner Kaugummiball fällt raus. Ein strahlendes Gesicht. “Kann ich den haben?” fragt der eine. “Nee, den bewahre ich mir für heute Abend auf” entgegnet der etwas kleinere Glückspilz mit der Kaugummikugel und macht sich aus dem Staub.

Einige Sachen scheinen sich nicht verändert zu haben. Kaugummiautomaten sind noch immer gefragt – egal wie alt, verrostet, verklebt, verkritzelt und unappetitlich die Dinger aussehen. Seit mehr als 60 Jahren hängen diese Kisten an Deutschlands Hauswänden, die ersten wurden aus den USA importiert. Gut eine halbe Million gibt es in der Bundesrepublik noch, in Berlin sind es etwa 60.000, schätzt der Bundesverband der Automatenaufsteller. 60’000!!!

Um ein Geschäft mit den Automaten zu machen, muss man mindestens 2000 davon besitzen. Pro Jahr variiert der Umsatz je nach Standort zwischen schlappen 10 und 350 Euro. Eine Bewilligung für den Standort braucht es nicht, sondern es besteht meist eine Abmachung mit dem Hausbesitzer, der ein paar Prozent des Umsatzes bekommt. Eine schräge Sache, diese Kaugummiautomaten. Ich habe die sonst in keinem Land der Welt gesehen,

In Japan gibt es Kapselautomaten. Doch da sind jeweils die neusten Minigadgets und Figuren der letzten Pokemon-Generation drin. In Deutschland ist es noch immer die Kaugummikugel.

12 in 12 – Gegensätze ziehen sich an und stossen sich ab

Auf kaum einen Stadtteil in Europa schaut man mit so viel Begeisterung und gleichzeitig  Entsetzen wie auf Kreuzberg.

Alles begann 1959 in der Oranienstrasse mit der Galerie „Zinke“, die der Schriftsteller und Maler Robert Wolfgang Schnell, der Lyriker und Holzschneider Günter Bruno Fuchs, der Maler Sigurd Kuschnerus und der Bildhauer Günter Anlauf 1959 gründeten.

Wenn in der „Zinke“  Robert Wolfgang Schnell Dada-Pamphlete vortrug oder der Blechtrommler Günter Grass las – vor Publikum, das aus der ganzen Stadt anrückte, konnte es vorkommen, dass sich übel gesonnene Hausbewohner gegen den Lärm wehrten, in dem sie ihre Plattenspieler laut aufdrehten und der „Babysitter Blues“ durch den Hinterhof dröhnte.

Der „Kreuzberger Montmatre“ war die Begriffsprägung dieser Zeit, die auch international reüssierte und sowas wie den ersten Kreuzberg-Mythos darstellt: das Boheme-Viertel im Kleine-Leute Bezirk, nicht so schick wie sein Pariser Pendant, sondern gekennzeichnet vom Mief und Dunkel der Hinterhäuser und dem Gestank von abgestandenem Bier und kaltem Zigarettenrauch.

Die alten Berliner, häufig selbst einmal aus Schlesien oder Pommern zugezogen oder als Flüchtlinge nach dem Krieg in den Kiez gekommen, zehren von den überkommenen und inzwischen brüchig-gewordenen Strukturen der Stadtteil-Vergangenheit.

Die seit 1964 nach Berlin geholten so genannten „Gastarbeiter“  – mehrheitlich aus der Türkei – holten ihre Familien nach und fanden in den billigen Altbauquartieren Kreubergs Wohnungen auf Zeit. Sie versuchten, in Kreuzberg ihre alte Heimat wieder aufzubauen.

Und dann – im Gefolge von 1968 – kommen jungen Leute nach Kreuzberg, ausgerissen aus der Enge westdeutscher Kleinstädte, angezogen vom revolutionären Gedanken und vom neuen antiautoritären Lebensgefühl in der Mauerstadt: Studenten, Bundeswehrflüchtlinge, Abenteurer, Musiker, Künstler. Anders zu sein als die Eltern, das Neue zu wagen, nie Gekanntes auszuprobieren, gesellschaftliche Zukunftskonzepte ausmalen und  sofort und jetzt zu leben.

Das “andere Leben” hier verspricht Selbstverwirklichung. Galerien, Kneipen, Off-Theater – der Kreuzberg-Kosmos. In den 80er Jahren kippt das Image: Kreuzberg steht nun für Randale und Strassenschlachten zum “1. Mai”, für Gewalt und Gegengewalt.

In Kreuzberg treffen Gegensätze aufeinander. Die ehemaligen Gastarbeiter, die mittlerweile in der zweiten und dritten Generation hier sind, die alten Berliner, die hier zu Hause sind und nie wegziehen würden, die Künstler, Hänger, Revoluzzer und Randexistenzen und dann natürlich mittlerweile die Hipster und Kreativen aus ganz Europa, die dem Ganzen eine neue Würze geben.

Ein Melting Pot ist dies dennoch nicht unbedingt. Hier wird eher nebeneinander als miteinander gelebt. Doch das wichtigste: Man lässt sich gegenseitig in Ruhe und lässt Freiräume offen. Toleranz an jeder Ecke. Ich hab hier noch keine Streitereien über die kulturellen Grenzen hinaus gesehen. Kreuzberg lebt, und wie!

12 in 12 – Impressionen aus Potsdam

Nur eine halbe Stunde von Berlin entfernt liegt Potsdam, die Hauptstadt des Bundeslandes Brandenburg. Die Stadt als ehemalige preussische Residenzstadt mit ihren vielen Schloss- und Parkanlagen  ist sicher ein Kandidat für den Titel der schönsten Stadt Deutschlands.

Kein Wunder, dass Potsdam von der UNESCO in die Liste des Weltkultur- bzw. Naturerbes der Menschheit aufgenommen wurde.

Hier fühlt man sich, wie in eine andere Zeit versetzt. Ob das Schloss Sanssouci, der Marmorpalais, das Orangerieschloss, das Schloss Babelsberg, das neue Palais und das Schloss Glienicke, die Sehenswürdigkeiten finden kein Ende.

Hier lebt ein Deutschland, das man sich nur schwer vorstellen kann. Romantisch, poetisch und erhaben.

Ich lasse da einfach mal die Bilder sprechen:

12 in 12 – Keine Angst vor dem Deutschen Theater

Ich kann die Leute nicht verstehen, die nicht gerne ins Theater gehen. Immer wieder erzählt man mir, dass Theater langweilig sei, zu langatmig, anstrengend, bemühend und auch zu teuer. Wenn ich das höre, dann frage ich mich immer, wann wohl das letzte Mal war, dass diese “Theaterkritiker” tatsächlich im Theater waren. War es zu Schulzeiten, als man mit der ganzen Klasse den Midsummer Night’s Dream von Shakespeare auf Englisch anschauen musste und eigentlich viel lieber zu Hause geblieben wäre, oder war es gerade erst letzte Woche und war es ganz einfach das falsche Theaterstück?

Egal wie es war. Ob Theatermuffel oder  engagierter Theaterhasser. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Euer letzter Besuch im Deutschen Theater in Berlin war, denn das ist nicht nur spannend, sondern auch anregend, aufregend, anziehend, angesagt, anders und ganz bestimmt nicht anstrengend.

Ob die “Glass Menagerie” von Tennessee Williams, “Das Spiel ist aus”von Jean-Paul Sartre, “Ein Käfig ging einen Vogel suchen” von Franz Kafka, “100 Sekunden” unter der Regie von Christoph Rüping oder mein Lieblingsstück “Herbstsonate” nach dem Film von Ingmar Bergmann, all diese Theateraufführungen  haben mich richtig hier in Berlin glücklich gemacht. Ich könnte jeden Tag ins Theater gehen. Ab zehn Euro kriegt man hier Karten. Das ist weniger als ihr für 90 Minuten Volksverdummung, oder auch Transformer 3 genannt, ausgeben würdet. Unter dem Motto “Keine Angst vor dem Theater” kriegt man im Juli einen Platz im Deutschen Theater übrigens noch günstiger.

Auf der Bühne des Deutschen Theaters stehen leibhaftige Schauspieler, die sich nur für mich allein ins Zeug legen, die mir ein Erlebnis schenken, dass keine Kinoleinwand erzeugen kann, die meine Aufmerksamkeit von der ersten Sekunde an haben und deren Worte ich mit einem Genuss verschlinge, als ob ich einen frisch gebackenen Blaubeerpfannekuchen vor mir stehen habe.

Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen im Deutschen Theater nur die Besten der Besten. Anja Schneider, Linn Reusse, Marcel Kohler und Camil Jammal sind einige der Schauspieler, die mir besonders ans Herz gewachsen sind.

Das Deutsche Theater ist Theater, wie es sein soll. Intellektuell stimulierend und dennoch nicht belehrend und fingerzeigend, herausfordernd und dennoch nicht selbstverliebt und nur für Elite und Kritiker inszeniert.

Das ist nicht selbstverständlich. Viele Intendanten der grossen Theater dieser Welt machen genau den Fehler, Theater nur für sich und nicht fürs Publikum aufzuführen. Es muss ja nicht gleich Volkstheater im herkömmlichen Sinne sein. Doch eine gute Balance zu kreieren. Das ist die hohe Kunst.

International kann dem Deutschen Theater nur das Londoner National Theater das Wasser reichen. Da kann man auch blind in irgendeine eine Aufführung gehen und wird immer mit einem Geniestreich beglückt.

Also, überlegt euch doch mal, wann ihr das letzte Mal im Theater wart. Wenn ihr euch nicht mehr genau erinnern könnt, wann das war, dann ist es auf jeden Fall viel zu lange her. Das soll jetzt kein elitäres Geschwätz sein, auch wenn es vielleicht so rüber kommt, sondern ist ganz einfach meine Meinung. Habt keine Angst vor dem Theater

Ich lasse Euch für heute mit einem Zitat von Tennessee Williams aus der Glassmenagerie mal ganz alleine:

“Being disappointed is one thing and being discouraged is something else. I am disappointed but I am not discouraged.”

12 in 12 – Döner und nicht Currywurst

Nicht die Currywurst, sonden der Döner ist das Leibgericht der Berliner. In der deutschen Hauptstadt gibt es 1200 Imbissstände, die Döner anbieten. Dazu kommen nochmals rund 1000 Restaurants, die den Döner auf der Karte haben. Gemäss Currywurst-Museum (ja, sowas gibt es in Berlin) stehen der Übermacht der Dönerbuden lediglich 170 Currywurst-Stände gegenüber.

Meinen Döner esse ich fast immer bei Imren, der in einer Seitenstrasse des Kottbusser Damms die besten Fleischspiesse der Stadt anbietet.  Nicht nur das Brot, sondern auch die Saucen und der Spiess sind “handgemacht” und schmecken einfach traumhaft. 3 Euro lege ich dafür auf den Tisch, der Tee ist umsonst und ein Ayran kostet gerade mal 50 Cent.  Alternative: Tuna’s Gemüsekebap im Wrangelkiez. Halt, keine Angst; das ist nicht wirklich ein Gemüsekebap, sondern ein Kebap mit Hühnchen, Kartoffeln und etwas Aubergine mit super leckeren Saucen und sonstigen Köstlichkeiten gespickt.

Die Berliner behaupten übrigens auch, dass sie den Döner erfunden haben. Anfang der siebziger Jahre soll entweder am Kottbusser Damm oder am Zoo der erste Döner verkauft worden sein. Ein Gastarbeiter hatte die Idee, das geraffelte Fleisch mit Zwiebeln in ein Brot zu stecken. “The rest is history”.

Oder doch nicht? Gemäss den Geschichtsbüchern soll in der Türkei schon Mitte des 19. Jahrhunderts Fleisch im Brot serviert worden sein. Dieser Schisch Kebab wurde aber noch auf einem üblichen horizontalen Grill zubereitet. Etwas später soll ein Koch namens Hamdi in Kastamonu erstmals geschichtetes Fleisch an einem senkrecht stehenden Spiess gegrillt haben.

Wie dem auch sei. Heute gibt es in Berlin auf jeden Fall mehr Dönerbuden als in Istanbul. Wie bitte, ihr glaubt, dass nicht der Döner, sondern McDonald’s der König von Berlin ist, wenn es um Fast Food geht? Auf keinen Fall. In Berlin gibt es lediglich 60 McDonald’s-Restaurants. Ein Klacks gegen die 1200 Dönerstände.

 

12 in 12 – Die Stasi arbeitet jetzt im Museum

Die Idee hörte sich gut an. Alle Menschen werden gleich behandelt und es soll niemanden geben, der auf Kosten anderer lebt.  Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit zwischen allen Menschen. Dieses Ideal wurde den Menschen in der DDR als Mantra verkauft und tagtäglich eingetrichtert. Von diesem Ideal träumten sie alle – zumindest in den ersten Jahren der Deutschen Demokratischen Republik. Dass das im Endeffekt nicht funktioniert hat, wissen wir alle.

Ich habe mir des Öfteren überlegt, warum das so war. Warum scheitert diese Gesellschaftsform in der Praxis. Sind wir einfach nicht ehrlich genug und nicht bereit, unseren eigenen Vorteil für das Wohl aller hintenan zu stellen oder scheitert die Umsetzung des sozialistischen Gedankenguts schon an der Organisation eines solchen Staates?

Eines erstmal vorneweg. Wer glaubt, dass die Stasi in der DDR erst eingeführt wurde, als man merkte, dass sich die Leute ohne Kontrolle nicht an die Spielregeln halten würden, der liegt falsch. Der Staatssicherheitsdienst war von Anfang an Teil des Systems und wurde unter Anleitung der Russen noch vor der Gründung der DDR ins Leben gerufen. Die Umsetzung des Sozialismus und der Weg zum Kommunismus war damit von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Wer daran noch Zweifel hat, dem kann ich nur wärmstens den Besuch des Stasimuseums in Berlin Lichtenberg empfehlen. Hier befand sich die Zentrale der Stasi und hier wurde bespitzelt, was das Zeug hält. Über 100’000 DDR-Bürger waren in den Hochzeiten Vollzeitangestellte des Ministeriums für Staatssicherheit; nochmal doppelt so viele waren als Informanten tätig.

Schonungslos und nüchtern  wird das System in der DDR im Museum auf einer grossen Tafel beschrieben:

“Die Herrschenden schufen ein System aus Gewalt, Drohung, Belohnung und Bevorzugung. Der Einzelne sollte zur Anpassung, Unterwerfung und, wo möglich zum Mittun erzogen werden. Die SED hatte uneingeschränkten Zugriff auf nahezu alle Lebensbereiche, um die Bevölkerung umfassend zu kontrollieren und bei Bedarf zu Belohnen oder zu massregeln.”

Das hört sich nicht gerade nach Idealismus und Marxismus pur an, sondern mehr nach Orwell und 1984. Im Haus 1 des Museums befand sich die Schaltzentrale der Stasi. Oberschurke Ernst Mielke hatte im zweiten Stockwerk sein Büro. Alles ist fein säuberlich angeordnet, als würde er gleich wieder reinkommen und sich die jüngsten Ergebnisse der Abhörarbeit seiner Spitzel durchackern.

Es ist ein beklemmendes Gefühl, hier zu  sein. Ich denke mir, dass der Besuch wohl allen gut tun würde, die noch immer in der Nostalgie des Ostens schwelgen und die nach bald 30 Jahren Wiedervereinigung nur noch die schönen Dinge der Deutschen Demokratischen Republik in Erinnerung halten. So ist das oft mit der Zeit, die alle Wunden heilt. Man blendet das Schreckliche aus und behält das Schöne in seinen Gedanken. Die DDR war aber ganz bestimmt mehr “Das Leben der Anderen” als “Goodbye Lenin”.

P.S. Obwohl die Stasi in den letzten Tagen ihrer Existenz noch mit allen Mitteln versucht hatte, Akten en masse zu vernichten (der Reisswolf ist im Museum ausgestellt), sind Ordner mit einer Gesamtlänge von über 100 Kilometer übrig geblieben, in denen auch das kleinste Detail über “gefährliche Personen” aufgezeichnet wurde. Heute kann man den Antrag stellen, die Akten einzusehen. Die meisten dieser Akten stehen hier in Berlin Lichterfeld im Archiv. Genau wie früher.