Wie verprochen noch eine Jokerstadt dazu: Meine Heimatstadt Zürich, in die ich jetzt auch wieder zurückgekehrt bin.
Zürich kommt auf ein Total von 60 von 90 Punkten. Damit schlägt die grösste Stadt der Schweiz zwar immerhin Rom, Bangkok und Nizza, hinkt aber hinter Titelträger Berlin, den Silbermedaillengewinnern Los Angeles und Tokio sowie 7 weiteren Metropolen der Bestenliste zurück.
Heisst das nun, dass ich aus Zürich weg nach Berlin, Tokio oder Los Angeles ziehe? Nein.
Erstens ist ein Rating nur ein Rating und hängt stark von den gewählten Kategorien ab. Wenn ich Morgen für die nächsten zehn Jahre in eine der Städte ziehen müsste, wäre Rom, das Schlusslicht der Tabelle, sicher nicht die schlechteste Wahl und Berlin nicht automatisch der grosse Gewinner.
Zweitens haben wir uns ja schon einige Male über das Thema Heimat unterhalten, wo Heimat herkommt, was sie bedeutet, wo und wie man sie findet und was sie wert ist. Zürich hat da einige Trümpfe in der Hand – und wenn das auch nur daran liegen mag, dass ich hier geboren bin…
…und Drittens: Ich habe gerade einen Job hier in Zürich angenommen und werde der Stadt schon deshalb treu bleiben – zumindest für “the foreseeable future” – ich kann ja nicht gleich wieder auf Reisen gehen – oder?
Haltet die Ohren steif und macht die nächste grosse Reise einfach gleich für mich mit – so long und bis bald. Danke fürs Dabeisein
Der letzte Eintrag aus Nizza und einer der letzten – vielleicht der vorletzte dieses grossen Abenteuers.
Das kennt ihr ja schon, doch falls nicht: Ein Monat ist nicht viel Zeit, doch genug, um einen Eindruck zu gewinnen, wie eine Stadt tickt. Deshalb haben wir ein Städterating erarbeitet, das sich von den gängigen Modellen der Mercers dieser Welt unterscheidet. Wir achten weniger auf das Bildungssystem, das politische Umfeld und das Gesundheitssystem, sondern mehr auf Faktoren, die eine Stadt einzigartig machen. Das Rating in neun Kategorien geht von 1 (schlecht) bis 10 (grandios) und spiegelt unser rein subjektives Empfinden:
Die Leute: 7
Wer nicht französisch spricht, der hat Mühe, mit den Einheimischen richtig in Kontakt zu kommen. Doch wenn man es mal versucht, dann ist man überrascht, dass sie ziemlich nett sind. Ich habe es zwar nicht wirklich geschafft, unter die Oberfläche zu kommen, doch einen Versuch wars wert.
Kulturelles Angebot: 4
Dass Nizza in da nicht mit den Weltstädten dieser Erde mithalten kann ist keine Überraschung. Doch ich muss schon sagen, dass in Sachen Kultur noch viel Nachholbedarf besteht. Ja, es gibt das Theatre National, ein paar Kellertheater, hier und da mal ein Konzert (meist extrem schlechte), Strassenmusik, den Karneval, das Jazz Festival, eine Oper, die Cinemateque und sonstige Kulturstätten. Doch von der Grande Nation könnte man mehr erwarten.
Food: 6
Ein wenig “Hit and Miss” in Nizza. Viele Touristenfallen aber auch viel ganz ganz Schönes. Wer sich etwas auskennt oder sich gut vorbereitet, der kann in Nizza französische Bistro-Küche mit italienischem Einschlag in Perfektion geniessen. Internationale Küche gibt es auch, ist aber nicht immer erste Sahne. Beeindruckend ist die Dichte an Restaurants. In der Altstadt ist wohl in jedem zweiten Haus eine Gaststätte untergebracht.
Preisniveau: 5
Günstiger als Paris, doch sicher nicht billig. Toll ist allerdings, dass für jedes Budget etwas angeboten wird. Nizza ist sicherlich die günstigste Stadt an der Côte.
Öffentlicher Verkehr: 6
Die Stadt ist weit gekommen in den letzten Jahren. Wenn dann 2019 noch die neue Tramlinie steht, wird es noch besser. Ja, die Busse sind nicht immer pünktlich und die Aussenbezirke könnten besser angebunden sein. Doch insgesamt nicht übel.
Wetter/Klima: 8
300 Sonnentage und das ganze Jahr zweistellige Tagestemperaturen. Das kann sich durchaus sehen lassen.
Sicherheit: 8
Nizza ist sicher. Ja, es gibt wie in jeder Stadt immer wieder mal ein paar Krawallbrüder, die aber meist harmlos sind. Mir ist hier noch nie annähernd irgendwas übles passiert.
Fun- Feel-Good-Faktor: 9
Das etwas langsamere Tempo der Stadt ist ansteckend. Hier fühlt man sich schnell wohl und kann sich wunderbar entspannen. Trotz des langsameren Tempos ist immer irgendwas los und der Spass kommt nicht zu kurz.
Coolness/Kreativität: 5
Richtig cool und kreativ sind die Leute aus Nizza zwar noch immer nicht. Doch es tut sich einiges.
Gesamtergebnis für Nizza: 58
Damit lässt die Stadt an der Riviera immerhin Rom und Bangkok hinter sich.
Hier das vorläufige Endergebnis:
1 Berlin
2 Los Angeles
2 Tokio
4 Paris
4 Mexiko City
6 Moskau
6 New York
8 Buenos Aires
8 Sydney
10 Nizza
10 Bangkok
12 Rom
Das vorläufige Endergebnis? Warum wollt ihr wissen? Anfang nächster Woche kommt noch eine Stadt dazu. Welche? Nicht so neugierig…
Mit 350’000 Einwohnern ist Nizza keine kleine Stadt. Nach Paris, Lyon, Marseille und Bordeaux ist sie die fünftgrösste Stadt Frankreichs. Das Umland mit einberechnet hat die Region Nizza eine Million Einwohner. Dass Nizza dennoch so gemütlich ist und die Altstadt immer Ferienstimmung und dörflichen Charme ausstrahlt, macht Nizza einzigartig. Damit ihr euren nächsten Besuch so richtig geniessen könnt, hier ein paar Tipps:
Le Bistro D’Antoine
Le Bistro D’Antoine ist für mich ohne Frage das beste Bistro der Stadt. Leicht abgewandelte Versionen von Klassikern wie Salad Nicoise, die beste Blutwurst der Welt und sieben Stunden geschmorte Schweinebacken mit Polenta heben Antoine eine Stufe über alles andere, was in Nizza zu haben ist. Viel besser als La Meranda und auch La Petite Maison und keinesfalls teurer.
Deli Bo
Wer in Nizza ein Stück Paris sucht, der geht an die Rue Bonaparte. Dort gibt es trendige Kneipen, die aber gleichzeitig auch total gemütlich sind. Die beste davon ist Deli Bo, die allerdings jeden Tag um 17 Uhr bereits ihre Tore schliesst. Also, schnell hin zum Lunch und dann das Club Sandwich und das Millefeuille bestellen. Guten Appetit
Les Amoureux
Der Besitzer ist aus Neapel, ist ein Fan von Maradona und macht die beste Pizza in ganz Frankreich. Echt. Falls ihr nicht reserviert habt, dann geht um 19:30 zu Les Amoureux hin, denn sonst habt ihr keine Chance. Bestellt die Margherita, denn alles andere wäre ein Fehler – nicht weil die anderen nicht schmecken, sondern weil die Margherita einfach divine ist.
Boulanger Chez Maitre Pierre
Er liegt nicht bei uns um die Ecke, dennoch gehe ich jeden Morgen den Weg zu Maitre Pierre. Das Baguette – besonders das Talmyre – ist einfach zu gut, um ein anderes zu essen. Life’s too short.
Maison Barale
Die besten Ravioli und vor allem auch Gnocchi gibt es bei Maison Barale. Seit Generationen wird hier alles mit Liebe zubereitet…
Colombe D’Or
Wenn ihr etwas tiefer in die Tasche greifen wollt und einen Ausflug nach Saint-Paul-de-Vence ins Auge fasst, dann geht zu Colombe D’Or, reserviert im Garten und nehmt die Vorspeiseplatte. Wenn ihr Euch dann nicht fühlt, wie der Kaiser von Woauchimmer, dann weiss ich auch nicht. Achtet auf die Kunstsammlung. Insane!!! Unbedingt reservieren – unbedingt.
Also, wer jetzt hier die grosse Erleuchtung und die Antwort auf alle wichtigen Fragen im Leben erwartet, der soll gar nicht erst weiterlesen. Ich kann Euch da leider auch nicht weiterhelfen.
Was ich Euch sagen kann ist folgendes: Das Jahr war das beste meines Lebens, das Schönste und auch das ,Ereignisreichste. Ich würde es sofort wieder machen und bereue es keine Sekunde. Ich wünschte, ich könnte noch ein Jahr dran hängen und dann vielleicht noch eins und noch eins. Es war soooo schön.
Ich kann jedem empfehlen, keine Angst vor dem Leben zu haben, nicht zu viel auf die Erwartungen an einen selber von aussen und innen zu geben, nicht zu lange über alles nachzudenken und am Ende dabei das Leben verpassen und schon gar nicht zu sagen, das mach ich dann später….denn später ist meist zu spät – aber das wisst ihr hoffentlich sowieso schon.
Einen Satz der australischen Sängerin Courtney Barnett fällt mir dazu noch ein:
“Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit”
Den lass ich mal so stehen.
Eines will ich euch noch kurz mit auf den Weg geben. Denkt mal an die letzten zehn Jahre und überlegt euch, was davon hängen geblieben ist. Ist es irgendein Memo, das ihr an Eurer Arbeit verfasst habt, irgend ein Deal, der dann doch geplatzt ist, irgend ein Mitarbeitergespräch, das sehr anstrengend war oder ist es das Abendessen irgendwo am Meer mit Freunden, die Wanderung bei strahlendem Sonnenschein im Regenwald, das Konzert deiner Lieblingsband in der Bar um die Ecke, das spontane Wochenende, das Du in London verbracht hast oder das Glas Wein, das Du mit neuen Freunden getrunken hast? Woran wirst Du Dich in zehn oder auch 20 Jahren noch erinnern?
Bald ist das Jahr vorbei. Bald ist wieder Alltag, was ich auch nicht schlimm finde – wenigstens nicht allzu schlimm. Alltag kann auch etwas beruhigendes und Angenehmes an sich haben, eine gewisse Struktur ins Leben bringen, Sicherheit und einen “Sense of belonging”.
Wichtig ist nur, dass der Alltag nicht zum Hamsterrad wird. Doch das wisst ihr bestimmt zu verhindern, denn an das Hamsterrad wollt ihr Euch in zehn oder zwanzig Jahren ganz sicher nicht erinnern, oder?
Schon die Talking Heads haben in ihrem Song, Once in A Lifetime, den ich früher weder mochte noch verstand, gesungen:
And you may find yourself
Living in a shotgun shack
And you may find yourself
In another part of the world
And you may find yourself
Behind the wheel of a large automobile
And you may find yourself in a beautiful house
With a beautiful wife
And you may ask yourself, well
How did I get here?
Letting the days go by, let the water hold me down
Letting the days go by, water flowing underground
Into the blue again after the money’s gone
Once in a lifetime, water flowing underground
„Die Sachen müssen in Frankreich hergestellt und die Firma in der Regel über 75 Jahre alt sein“ sagt Nicolas Barbero stolz, als ich ihn in seinem Laden Trésors Publics besuche.
Vor zwei Monaten hat er zusammen mit seinem Ehemann Antoine Bourassin den Shop in der Altstadt von Nice an der Rue du Pont-Vieux Nr. 11 eröffnet. Ohne Zweifel der schönste und coolste Shop der Stadt.
Ich habe auf dieser Reise so viele Concept und Lifestyle Shops gesehen, dass ich sie schon nicht mehr sehen kann. Überall die gleichen Bücher, die gleichen Bilder und die gleichen Marken. Langweilig. Doch Trésor Publics ist anders. An jedem Produkt hängt eine kleine Landkarte von Frankreich mit einem roten Punkt für die geographische Lage und dem Namen der Stadt, wo das Ding produziert wurde. Was man hier Kaufgen kann sieht man in keinem anderen Concept Store.
Der klassische Mouli-Grater von Moulinex, die Pfeffermühle von Peugeot, die blaue Arbeiterjacke von Vétra, wunderschöne Krüge für Pastis und Pernod, original in Frankreich hergestellte Baskenmützen, „La Caraffe“ aus den 70er Jahren, die Bürsten aus La Chavelle und dazu auch Klassiker der Gastronomie wie die Karamell-Stangen von Carambar und das Ratatouille direkt aus Nizza.
Hier kann man stundenlang verweilen und den Duft von besseren Zeiten einatmen. 300 Produkte gibt es im Laden – die Hälfte davon kostet zwischen 1 und 15 Euro.
Ein Jahr wollen sie den Laden führen, bevor sie entscheiden, was der nächste Schritt ist, sagt Nicolas. Er ist sich bewusst, dass das Konzept gut genug ist, um im ganzen Land Fuss zu fassen. Investoren dafür dürften Schlange stehen. Sie haben hier was ganz Besonderes geschaffen. Das spürt man. Die Altstadt von Nizza ist kein leichtes Pflaster für trendige Shops. Das Epizentrum der Cooles liegt an der Rue Bonaparte, etwas ausserhalb der Altstadt Richtung Hafen. Doch dem ist sich Nicolas bewusst. Der Shop richtet sich jan nicht nur an Hipster, sondern an Jedermann.
Sie wollen nichts überstürzen. Einen Schritt nach dem Anderen. Nicolas strahlt, wenn er vom Umbau des Geschäfts erzählt: „Hier war gar nichts drin und wir hatten auch keinen Interieur Designer. Das haben wir alles selber entwickelt.”
Alles ist mit viel Leibe gemacht und jedes Produkt passt genau. Es ist erstaunlich, was man hier für sein Geld bekommt. Nicht Profit, sondern Nachhaltigkeit und Qualität steht hier im Mittelpunkt. Chapeau!
Angesichts der Konkurrenz aus China ist es erstaunlich und beruhigend, dass auch Frankreich noch produziert und zwar gar nicht so teuer. Nicolas und Antoine sind beide keine Experten, wenn es iim Einzelhandel geht. Während der eine in Cannes eine Bar hatte, war der andere beim Chambre de Commerce angestellt.
Ihre Jobs haben sie mit Mitte Dreissig für Tréor Publics aufgegeben ohne gross mit der Wimper zu zucken. Sie werden es nicht bereuen, da bin ich mir ganz sicher. Spätestens in drei Jahren werden sie ihr erstes Geschäft im Marais in Paris eröffnen. Believe me….
Als ich das erste Mal die Promenade des Anglais in Nizza runterfahre, sticht mir ein Gebäude ins Auge: Das Negresco. Das 1912 vom Rumänen Henri Negresco ins Leben gerufene Luxushotel im Stil der Belle Époque ist nicht zu übersehen. Die auffällige, pinkfarbene Kuppel des Gebäudes, die übrigens von keinem Geringeren als Gustaf Eiffel konstruiert wurde, und deren Legende besagt, dass der Busen der Geliebten von Eiffel als Modell diente, ist das Wahrzeichen der Stadt an der Côte d’Azur.
Das Haus hat fünf Sterne, gehört zu den Leading Hotels of the World und strahlt viel “Old World Charme” irgendwo zwischen angestaubt und luxuriös aus. Architekt des Hotels – wie gesagt mit Ausnahme der Kuppel – war Edouard Niermans, der sich auch das Moulin Rouge in Paris ausgedacht hat. Die heutigen Eigentümer sind seit 1957 die Mitglieder der Familie Augier. Das Zepter hat Mme. Jeanne Augier in der Hand, die das Hotel im heutigen palastartigen Stil ausgestattet hat.
Mme. Augier ist eine Legende, mittlerweile 94 Jahre alt und hat leider Alzheimer. Doch noch immer ist sie die Grande Dame des Hotels. Stolz ist sie auf zwei Sachen: Ihre im Hotel ausgestellte Kunstsammlung lässt jede des Chelsea Hotel in New York wie eine Provoinzsammlung aussehen. Dazu kommen ihre Tiere, die sie über alles liebt. Mime. Augier hat jetzt schon klar gestellt, dass ihr Vermögen ihren Tieren und nicht ihren Verwandten zu Gute kommen soll.
Das Negresco in Nizza. Zusammen mit dem Carlton in Cannes sicher das berühmteste Hose Südfrankreichs. Wenn diese Wände sprechen könnten…James Brown soll seine Frau mal aus Eifersucht eine ganze Nacht lang durchs Hotel gejagt haben, Romy Schneider und Alain Delon haben hier ihre stürmische Liebesaffäre begonnen, Picasso, Dali und Chagall waren Stammgäste, Miles Davis hatte immer das gleiche Zimmer, Clint Eastwood und Ava Gardner waren hier und Richard Burton soll im Negresco so manche Strandschönheit abgeschleppt haben.
Doch dann gibt es auch noch den Geist und zwar jenen von Zimmer 27. Er soll einer der guten Geister sein; einer jener Geister, der einem in der Nacht ins Ohr flüstert und einem Erleuchtung bringt. Als ich an der Rezeption nach Zimmer 27 und dem Geist frage, wird der Concierge ganz unruhig. Er flüstert mir ebenfalls ins Ohr und sagt: Mme Augier möchte nicht, dass ich über den Geist spreche. Alles klar, sage ich und verabschiede mich diskret. Ich trete ans Tageslicht auf die Promenade und stelle mir vor, wie hier in den 50ern die Paparazzi auf Romy und Alain gewartet haben.
Das Negresco – ein spezieller Ort für eine andere Generation.
Die Cote d’Azur und insbesondere Nizza ist seit jeher ein Anziehungspunkt für Künstler. Marc Chagall, Henri Matisse und Nikki de Saint Phalle sind nur einige der grossen Namen, die in Nizza zu Hause waren.
Doch für mich gibt es nichts aufregenderes als die Ecole de Nice, jene Ende der 40er Jahre entstandene Vereinigung junger Wilder um Yves Klein und den Dichter Claude Pascal, die mit ihrer Aktionskunst und revolutionären Gedanken eine ganze Generation von Künstlern beeinflusst hat.
Angefangen hatte alles 1947. Yves Klein sass mit Claude Pascal und Arman Fernandez nach einer Trainingssession im Judoclub der Polizei am Strand in Nizza und starrte den Himmel an. Die drei begannen, die Welt unter sich aufzuteilen. Klein nahm für sich den Himmel, Pascal die Luft und Arman das Ufer. Klein machte sich sogleich auf in sein Atelier und versuchte, den Himmel auf die Leinwand zu bringen. Dabei entstand das für ihn so unverwechselbare „Infinite Blue“, das sich von da an wie ein blauer Faden durch die Werke des Künstlers zog.
Von Nouveau Réalisme, zu Fluxus und Supports/Surfaces prägte die Gruppe um Klein und Pascal eine ganze Ära bis Mitte der siebziger Jahre, was 1977 in einer umjubelten Ausstellung im Centre Pompidou in Paris kulminierte. Klein war 1962 verstorben, doch die Bewegung lebte stärker als je zuvor.
A Propos Nice hiess die Ausstellung in Paris. Sie gilt bis heute als eines der grössten Ereignisse der modernen Kunst.
Yves Klein war schon immer jemand, der mich sehr beeindruckt hat. Als ich damals in New York lebte, versuchte ich, seine Körperabdrücke auf Leinwand nachzuahmen und fand dabei heraus, dass das gar nicht so einfach ist. Doch die Ecole de Nice war eine jener Gruppen, der es weniger um Technik, als um die Idee ging. Das war zu jener Zeit revolutionär.
Ein wichtiger Faktor unterscheidet die Ecole de Nice von anderen Bewegungen wie den Blauen Reitern. Sie hatten Spass, wenn sie sich an einem gedeckten Picknicktisch mitten auf die Strasse setzen und den Verkehr auf sich zuraten liessen, sie hatten Spass wenn sie diskutierten über Gott und die Welt und dabei eine immer verschworenere Gemeinschaft wurden, sie hatten Spass wenn sie miteinander die Welt eroberten und Paris Paris sein liessen.
In den 50er Jahren widmete sich Klein übrigens den monochromen Bilder, in denen er zunehmend ein monochromes Ultramarinblau einsetzte, das er sich schliesslich 1960 unter der Bezeichnung International Klein Blue (I.K.B.)patentieren liess. Das Blau hat die unheimliche Wirkung den Betrachter tief und mitten in das Gemälde zu ziehen. Klein ist einer der wenigen Maler, der nicht nur ein grandioses Werk, sondern einen eigene Farbe kreiert hat.
Nochmals zurück zum Spass. Spass geht der modernen Kunst oft ab. Doch die Ecole de Nice hat in Perfektion gezeigt, dass sich Intellekt und Spass nicht zwangsläufig ausschliessen – im Gegenteil.
Spass und Intellekt sind wie Butter und Brot. Das eine ohne das andere ist oft nur schwer geniessbar – das Brot zu trocken und die Butter zu fett. Doch zusammen ist es pure Magie.
Bis Ende Oktober findet übrigens im wiedererblühten Musée d’Art Moderne et d’Art Contemporain in Nizza (MAMAC) die Ausstellung L’Ecole de Nice statt, die äusserst sehenswert ist.
Noch der Vollständigkeit halber. All diese Künstler waren Mitglied der Ecole de Nice:
Als ich ein Teenager war, fuhren wir fast jeden Sommer nach Frankreich. Meist war es Südfrankreich und meist hiess das eine unendlich lange Autofahrt auf dem Rücksitz in der Sommerhitze. Einigs hat sich da in meiner Erinnerung festgebrannt. Die Autoscooter in Cap d’Agde, der intensive Geruch von Lavendel in der Provence, das Zirpen der Grillen in der Nacht, ein Fruchtgetränk namens Oasis und dass mein Vater immer wieder einen Pernod bestellt hat.
Pernod? Oder war es ein Pastis? Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber seit diesen Tagen hat das Getränk, das durch die Zugabe von Wasser diese geheimnisvoll milchig-gelbe Farbe annimmt, einen besondern Platz in meinem Herzen. Doch was ist Pernod bzw. Pastis überhaupt und gibt es da denn einen Unterschied?
Die kurze Antwort: Ja, es gibt einen Unterschied. Doch der Reihe nach:
Beides sind hochprozentige Schnäpse bzw. Liköre (rund 40 Volumenprozent), deren Hauptzutat Anis ist. Vorgänger von Pastis und Pernod ist der Absint ein Thujon-haltiger (Thujon aus der Salbeipflanze) Kräuterlikör mit bis zu 85 Prozent Alkohol der 1915 fast weltweit verboten wurde, da er abhängig machte und Halluzinationen und Wahnvorstellungen hervorrief. In Künstlerkreisen ( Edgar Allen Poe, Oscar Wilde, Pablo Picasso, Vincent van Gogh) war er jedoch weiterhin sehr beliebt. Van Gogh soll im Absintrausch sein Ohr abgeschnitten haben.
In der Provence stellten die Bauern nach dem Verbot von Absint im verborgenen einen Ersatz her. Diese Nachahmung hiess „Pastiche“. Aus Pastiche wurde, ihr hat es erraten, der Pastis. Pastis wurde dann 1922 erlaubt und der Alkoholgehalt bis auf 45 Prozent erhöht.
Pastis wird aus Wasser, Alkohol, Zucker, Fenchel, Süssholz und Anis überwiegend Sternanis hergestellt bzw. aufgesetzt. Pernod wird neben Anis und Fenchel auch Koriander und Minze zugefügt. Der grösste Unterschied ist aber, dass der Pastis seinen Geschmack durch das Einweichen(=Mazerieren) der Zutaten in Alkohol und Öl erhält und KALT hergestellt wird, während Pernod das Ergebnis eines Destillierungsprozesses ist. Das heisst, die Inhaltsstoffe werden aus den Zutaten mittels eines thermischen Prozesses, also Erhitzung, Verdampfung und Abkühlung in einen flüssigen Zustand “herausgezogen”.
Genug der Details der Zubereitung, denn es gibt einen noch viel wichtigeren Unterschied. Pastis – sei es Ricard oder 51 – wird in Marseille hergestellt. In Marseille im Süden Frankreichs. Pernod hingegen wird in Paris fabriziert. Während im Rest von Europa in den Bars meist Pernod dominiert, wird hier im Süden von Frankreich – trotz der Rivalität zwischen Nizza und Marseille – Pastis bevorzugt. Wer einen Pernod bestellt, der outet sich sofort als Tourist. Früher war das Ganze auch eine Frage von Grosskonzern gegen unabhängige Hersteller. Doch mittlerweile gehören beide Marken dem Konzern Pernod Ricard.
Also, die Wahl ist klar. Pastis ist besser als Pernod. Das ist nicht nur wegen der schönen Geschichte so, sondern er schmeckt auch besser. Auf der Terrasse sitzen und langsam an seinem Pastis nippen und ihn wie ein Professor ganz behutsam in seinem Glas mischen, das macht grossen Spass. Dazu ein Berret aufsetzen, ein Baguette unter dem Arm tragen, ein blau-weiss gestreiftes T-Shirt anziehen und leise “Sur le pont d’Avignon” vor sich her singen… und schon seit ihr der perfekte Franzose.
Ach ja, ihr wollt noch wissen, wie man einen Pastis trinkt? Pastis wird nur mit Eis und Wasser getrunken. So bekommt man dann auch bei der Bestellung eines Pastis, ein Pastisglas mit Pastis und Eis und eine Wasserkaraffe. Der Pastis wird dann mit 5 Teilen Wasser aufgefüllt und erhält seine milchig weiße Farbe. Voilà.
Nachtrag: Wer ganz viel auf sich hält und in Nizza einen Pastis bestellt, der sollte den Pastis de Nice bestellen. Den gibt es hier zwar nicht überall, doch der schmeckt besonders lecker – Gemäss Werbung sind sogar die Leute aus Marseille darauf eifersüchtig…
Sieben Kilometer lang ist der Strand in Nizza. Sieben Kilometer wunderschöner Sandstrand. Doch halt. Sandstrand? Nein. Kein Sand weit und breit. Erschüttert stehen die Touristen am Rand der Promenade des Anglais und blicken auf das türkisblaue Wasser und die Ansammlung kleiner gräulicher Steine, die hier aufgehäuft sind.
Galets du Var heissen die runden Dinger, die es unmöglich machen, elegant aus dem Wasser zu stolzieren und das Erbe von Ursula Andres und Daniel Craig anzutreten. Ohne Strandmatte kann man sich hier nicht in der Sonne braten lassen, sonst fühlt man sich wie ein Fakir auf dem Nagelbrett.
„Nizza ist so schön, wenn es doch nur einen Sandstrand geben würde“ höre ich immer wieder. Ich kann ehrlich gesagt nicht verstehen, was der ganze „fuss“ mit dem Sand ist. Was ist den so toll an diesen kleinen Körnern, die sich überall festsetzen, die mir bei der kleinsten Windböe ins Gesicht stäuben und die es unmöglich machen, etwas am Strand zu essen, ohne dass es auf meinen Zähnen knirscht, wenn ich mit riesen Hunger ins gerade frisch gemachte Sandwich beisse. Einfach nur eklig.
Ich mag die Galets du Var. Sie sind wunderschön anzusehen, einfach sauber zu halten, wehen mir nicht die ganze Zeit ins Gesicht und sind der Grund, warum das Wasser so schön türkisblau leuchtet, als ob wir hier mitten in der Karibik schwimmen gehen. Einen sieben Kilometer langen Strand direkt vor der Grossstadt, mit Wasser, das fast das ganze Jahr über 20 Grad warm ist. Das ist in Europa einmalig.
Ich habe nicht alle Tassen im Schrank? Sand gehört einfach dazu, wenn man ins Meer geht und die beige Farbe löst sowas warmes und wohliges aus und lässt einen von fernen Ländern und exotischen Abenteuern träumen? Von mir aus. Zeigt es mir. Sagt mir Eure Meinung!! Doch ich finde, dass Sand total überbewertet ist.
Die Einheimischen sind stolz auf ihre Galets. Seit der Flughafen direkt am Meer gebaut wurde, klappt es jedoch nicht mehr mit dem natürlichen Auffüllen der grossen Kieselsteine, denn die Strömung der Var sorgt nicht mehr automatisch fürs Auffüllen. Tag für Tag verschwinden tausende von Galets im Meer und müssen wieder angeschleppt werden. Es kommt der Stadt teuer zu stehen, die Steine tonnenweise sozusagen per Hand herzukarren. Doch es ist es wert. Die Galets sind mittlerweile zum Wahrzeichen der Stadt geworden – und so soll es auch bleiben.
Anfang 1883 kam der deutsche Philosoph und Philologe Friedrich Nietzsche (Gott ist tot) das erste Mal nach Nizza, wo er den 3. Teil des Zarathustra vollendete. Er blieb fünf Monate, verliebte sich in die Stadt und kam die nächsten vier Winter zurück. Nie sei er seinem Ziel, die Welt zu verändern, so nahe gekommen, wie in Nizza, soll er gesagt haben. Hier dachte er schon über Antisimetismus und die Erstarkung des Deutschnationalismus nach.
An der Rue Catherine Segurane 38, ganz in der Nähe des Hafens, mietete er ein einfaches Zimmer. Er spazierte oft durch die engen Gassen der Stadt und wanderte gerne den Chemin de Nietzsche (damals hiess er natürlich noch nicht so) von Eze Bord de Mer nach Eze Village den Berg hinauf. In der Sommerhitze ist das kein Zuckerschlecken. Doch in den Wintertagen, in denen Nietzsche hier war, kann ich mir so richtig vorstellen, wie gedankenöffnend so ein Spaziergang den steilen Bergweg hinauf gewesen sein dürfte.
Nietzsche widmete sich in Nizza seiner Lieblingsfrage und zwar der Frage des Werts von moralischen Systemen. Oft wird er als der Atheist und Nihilist schlechthin bezeichnet.Das wird allerdings von einigen seiner Kenner vehement bestritten. Doch genug über Nietzsche.
Warum erzähle ich das überhaupt? Was ist die Relevanz dieser kleinen Anekdote und gibt es etwa Parallelen zu meiner eigenen Reise?
Auch ich habe Nizza, wie Nietzsche, ins Herz geschlossen. Seit über zehn Jahren besuche ich die Stadt an der Côte d’Azur mehrere Male im Jahr (take that Mr. Nietzsche). Zwar wurde hier noch kein Weg nach mir benannt und wird das auch nie geschehen. Doch egal. Die Stadt strahlt so eine beruhigende Ruhe aus, die mir gut tut. OK, Nietzsche hat gesagt, dass er nirgends so nahe dran war, die Welt zu verändern, wie in Nizza. Da kann ich nicht mithalten. Doch immerhin kann ich von mir und meiner Beziehung zu Nizza behaupten, dass ich nirgends so nahe dran war, mich selber zu finden, wie in Nizza. Das ist doch auch schon mal was, oder?