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12 in 12 – Irgendwas stimmt hier nicht

Es ist halb zehn Uhr Abends. Im Hinterhofclub La Loge im 11e Arrondissement steht gleich die französische Hipsterentdeckung Pi Ja Ma auf der Bühne. Ich stehe am Rand des Saals und schaue mir das Publikum an. Sie sehen nicht viel anders aus als in Berlin oder in London. Viele haben ein Bier in der Hand, tragen Stan Smith und vornehmlich schwarze Kleidung. Doch irgendwas ist dennoch anders. Irgendwas.

Da es bestimmt noch 20 Minuten geht, bis Pi Ja Ma ihren grossen Auftritt hat, nehme ich mal mein iPhone aus der Tasche. Es kann ja sein, dass ich eine total wichtige Nachricht verpasst habe. Nicht auszudenken, wenn ich die nicht gleich sehe…

Genau in diesem Moment geht mir ein Licht auf. Ich weiss jetzt, was hier anders ist, als überall anders. Ausser mir spielt hier niemand mit seinem Handy. Kein Einziger hat das Verlangen, mit der Aussenwelt verbunden zu sein. Kein Einziger starrt in seinen Screen und kein Einziger tippt wie wild, um allen via Instagram, Snapchat, Facebook oder Twitter zu zeigen, wie toll sein Leben ist.

Mann ist das erfrischend. Das Ganze strahlt so eine uhnheimliche Ruhe aus. Ich checke kurz, ob das alles nur daran liegt, dass hier im Saal kein guter Empfang ist. Doch nein, der Empfang ist klasse. Das Publikum verzichtet also ganz freiwillig auf das Smartphone. Dass ich das noch erleben darf… Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben.

Jetzt ist es endlich so weit. Pi Ja Ma steht auf der Bühne. Sie legt los und ist klasse. Sie singt, malt und bezirzt. Das Publikum ist begeistert und dennoch halten nicht alle wie blöd ihr Phone in die Höhe und nehmen eine Show auf, die sie bestimmt nie mehr wieder anschauen werden. Bien fait, Paris. Je vous adore.

Falls ihr Euch fragt, wer diese Pi Ja Ma eigentlich ist. Voilà:

 

12 in 12 – Der ungewöhnliche Aufstieg der Misty Copeland

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Mit 13  wohnte Misty Copeland mit ihrer Mutter und fünf Geschwistern  in einem schäbigen Motelzimmer auf engstem Raum. Sie hatte noch nie Ballett getanzt, geschweige denn Unterricht genommen.  Das war 1995.

Fast Foward…12 Jahre später.  Misty Copeland steht in der New Yorker Oper im Lincoln Center in Don Quixote auf der Bühne, ist die allererste schwarze Prima Ballerina des American Ballet Theater und schwebt mit ihrer fragilen und dennoch selbstbewussten Grazie wie auf einer Wolke über die Bühne. Damit zieht sich mich und das gesamte Publikum von der ersten Sekunden an in ihren Bann. Als der Vorhang fällt, springe ich begeistert auf und huldige das Genie Namens Misty Copeland mit einer minutenlangen Standing Ovation. Als ich ich umsehe, bemerke ich , dass sie alle stehen. Misty Copeland ist angekommen und zwar ganz oben.

Wie kam es, dass ein Mädchen, das bis sie 13 Jahre alt war, noch nie Ballett getanzt hatte, so eine Karriere hinlegte? In einem Beruf, wo es als zu spät gilt, wenn man mit 6 Jahren in die Ballettstunde kommt, weil Andere schon mit zwei oder drei Jahren angefangen haben.

Misty wollte Kunstturnerin werden. Seit sie klein war, trainierte sie dafür wie eine Wahnsinnige. Schon damals merkte sie, dass sie den Rhythmus im Blut hatte. Schliesslich war ihre Mutter schon eine Tänzerin. Doch in San Pedro, Kalifornien, mit allen Geschwistern in einem Motelzimmer war an Kunstturnen auf hohem Niveau, geschweige denn and  Ballett im Lincoln Center in New York, nicht  zu denken.

In der Schule besuchte Misty das sogenannte Drill Team, in dem eine Art künstlerisches Exerzieren gibt wurde. Ihre Lehrerin Elisabeth Cantine fiel sofort auf, das Misty anders war, als die anderen und  schlug ihr vor, die Ballettschule ihrer Kollegin Elisabeth Kantine zu besuchen. Misty sah Ballett als Ausweg aus der hoffnungslosen Situation zu Hause und begann zu tanzen. Sie war kräftiger als alle andern Schülerinnen, ihr Füsse grösser, ihre Figur weiblicher und ihre Haut dunkler. Dennoch war sie nach kurzer Zeit Klassenbeste und stellte alle in den Schatten.

Doch dann entschied sich Misty”s Mutter in eine andere Stadt zu ziehen und die Ballettschule war zu weit weg. Sie hatte keine Zeit mehr, Misty dort hinzufahren und verbot ihr, Ballett zu tanzen. Der Traum schien ausgeträumt. Doch ihre Ballettlehrerin liess nicht locker. Misty zog bei ihr und ihrem neuen Ehemann kurzerhand ein und verklagte ihre Mutter, die verlangte, dass Misty sofort nach Hause kommen sollte. Nach jahrelangem hin- und her setzte sich Misty durch, sprach daraufhin 15 Jahre nicht mehr mit ihrer Mutter. Ihre Entschlossenheit zahlte sich aus. Im Jahr 2000 schaffte sie das Undenkbare und wurde ins  American Ballett Theater aufgenommen. 2007 avancierte sie zur Solistin und wurde 2015 als erste schwarze Tänzerin zur Prima Ballerina des American Ballett Theater ernannt.

Der Weg dahin war mehr als nur steinig.  Mittlerweile ist Misty Copeland ein Superstar, der nicht nur auf der klassischen Ballettbühne, sondern auch im der Popkultur und dem modernen Tanz eine der ganz Grossen ist. Den Erfolg hat sie verdient. Was ich an diesem Abend im Lincoln Center gespürt habe, als ich Misty Copeland in Don Quixote auf der Bühne sah, werde ich nie mehr vergessen.

Schaut euch an, was Misty kann. Erst traditionell. dann modern:

https://www.youtube.com/watch?v=PTdeXwZY_sI

P.S. Diese Mal sind die Fotos leider nicht von mir.

12 in 12 – Das vergessene Stadion ist auferstanden

Nothing ever happens in Queens. Der New Yorker Stadtteil, der gleich viele Einwohner wie Manhattan und Brooklyn hat, ist langweilig. Der Ruf eilt Queens oft zu Recht voraus. Zwar gibt es schöne “Pockets” wie Jackson Heights, Astoria oder Flushing, Doch insgesamt kann man Queens durchaus links liegen lassen….bis vor Kurzem.

Der Grund, warum Queens wieder von sich Reden macht, ist das Forrest Hills Stadium, dieses Amphitheater des West Side Tennis Clubs im Stadtteil Forrest Hills vor den Toren der Stadt. 68 Mal wurde hier das US Open ausgetragen (Flushing Meadows eat your heart out), 10 Mal der Davis Cup Final und in den 60er und 70er Jahren traten hier die Beatles, die Stones, Frank Sinatra, Barbara Streisand, Jimmy Hendrix und Bob Dylan in legendären auf.

Doch seit 2011 stand das Amphitheater, das für 14000 Zuschauern Platz bietet, leer und drohte zu verfallen. Bis sich eine Gruppe findiger Unternehmer zusammensetzte, ignorierte, dass das Stadium in langweiligen Queens steht und kurzerhand die Renovation beschloss.

Jetzt tritt hier wieder auf, was Rang und Namen hat – im schönsten Stadion New Yorks, ja vielleicht sogar Amerikas. Jeder Platz bietet erstklassige Sicht, der Sound ist grandios und die Infrastruktur hält die Balance zwischen Modern und Vintage wie nirgends anders.

Als The XX auf die Bühne treten und ihr Song Crystalized aus den Lautsprechern schallt, weiss ich, dass das heute ein besonderer Abend wird. Forrest Hills Stadium und The XX. Ein weiterer historischer Abend im Forrest Hills Stadium

12 in 12 – Freude am Glück der Anderen

Es gibt für mich nichts Schöneres, als einer Person in genau dem Moment zuzusehen, wo sich ihr Leben verändert und zwar so, dass bald nichts mehr so ist, wie es mal war und idealer bald alles besser ist. Genau deshalb macht es mir so viel Spass, noch unbekannten Künstlern zuzusehen, wie sie sich vor einem kleinem Publikum die Finger wund spielen und mit aller Kraft versuchen, aus der Obskurität des Übungsraums ans Licht der Weltöffentlichkeit zu gelangen.

Meist muss man Dutzende oder gar Hunderte von Konzerten warten, bis sowas passiert. Gestern war es wieder mal so weit. Im Legendären Club Echo in Silver Lake steht eine junge Frau auf der Bühne: Sie ist nicht als Haupt-Act gebucht, sondern hat die oft undankbare Aufgabe einer sogenannten Support Band. Sie heisst Alina Bea und ihre Songs auf Youtube haben gerade mal zwischen 10 und 40 Hits. Niemand im Saal kennt sie und niemand wartet auf sie.

Doch in dem Moment, wo sie mit ihrem Oberteil, das an die Jedi-Ritter aus Star Wars erinnert, auf die Bühne kommt, und die ersten Akkorde spielt, hat sie den ganzen Saal verzaubert. Kreativ wie Bjork und mit der Stimme und Energie von Kate Bush hat sie das Publikum auf ihrer Seite. Jeder Einzelne ist plötzlich ein Fan und sich bewusst, dass das hier kein normales Konzert ist, sondern dass hier gerade ein Star geboren wird. Nach jedem Song wird der Applaus stärker. Das Wort tosend als Bezeichnung für den Beifall zu gebrauchen, ist sicher nicht übertrieben. Auch Alina weiss, dass heute ein besonderer Tag war. Sie hat einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Irgendein guter Produzent wird sicher im Publikum gewesen sein. Schliesslich sind wir hier in Los Angeles. Nach dem letzten Song hüpft Alina vor Freude auf der Bühne herum. Ihre unnahbare Persona lässt sie links liegen, ist einfach nur glücklich und strahlt mit den Scheinwerfern um die Wette.

Ein paar Minuten später treffe ich Alina am T-Shirt-Stand. Ich sage ihr, wie toll ihr Auftritt war und dass ich ihr viel Glück für die Zukunft wünsche. Sie lacht mich an und bedankt sich. Alina Bea, merkt Euch diesen Namen. Wenn sich das richtige Label um die junge Frau aus Los Angeles kümmert, dann kann sie durchaus in die Fusstapfen einer Lykke Li oder Aurora treten.

Auch wenn Alina viel Potential hat, ist der Weg zum Erfolg noch weit. Nächstes Jahr dürfte sie in Austin beim SXSW-Festival auftreten, danach, wenn sie viel Glück hat, eine US-Tour gebucht bekommen, im Jahr darauf  kümmert sich vielleicht eine richtige Plattenfirma um sie und frühestens 2019 ist sie dann in Europa gefragt. Good Luck Alina. Ich drücke dir die Daumen – alle beide.

12 in 12 – Oper erst ab 50

Placido Domingo steht auf der Bühne. Ja, genau, DER Placido Domingo. Zusammen mit der wundervollen Sondra Radvanovsky singt er  “Orfanella Il tetto umile” aus Giuseppe Verdi‘s Simon Boccanegra, möglicherweise das schönste Duett aus Verdi’s Feder.

Man könnte eine Stecknadel fallen hören in der Oper von Los Angeles. Die Chemie zwischen dem 76-jährigen Tenor und Radvanovsky stimmt. Es ist ein Genuss, den beiden zuzuhören. Als sie später noch “Lippen schweigen, ‘s flüstern Geigen”  aus der Operette Lustige Witwe von Franz Lehar singen, ist das Publikum seelig.

Ich bin kein Opern-Spezialist und habe immer gesagt, dass ich  erst mit 50 so richtig anfangen werde, mich für Oper zu interessieren. Dazu habe ich ja noch ein paar Jahre Zeit. Doch schön war’s schon, heute Abend mit Placido und Sondra. Auch das Ave Maria in Rom in der Kirche, die Kremelsänger in Moskau, die Tenöre in Buenos Aires und die versammelten  Stars der japanischen Opernwelt in Tokio haben mir viel Spass bereitet.  Sollte ich mein Mantra, dass mich Oper erst nach 50 interessiert, nochmals überdenken?

Der Vorhang ist gefallen, Placido Domingo hat sich verabschiedet. Ich steige ins Auto und fahre aus Downtown Los Angeles Richtung Echo Park, wo ich noch ein spätes Konzert gebucht habe. Dort spielt die britische Rockband Wire, die schon Ende der siebziger Jahre mit ihren schrägen Klängen für Aufsehen und Beifall der Kritiker gesorgt hatte.

Als ich im Echoplex ankomme, hat Wire schon angefangen. Das Konzert läuft auf Hochtouren. Der Raum ist dunkel und die Decke tief. Ich habe keinen reservierten Sitzplatz und Champagner wird hier im Gegensatz zur Oper auch nicht gereicht. Ich schlängle mich durch die Menge und stehe wenige Meter von der Bühne entfernt. Colin Newman ist vol in seinem Element und singt, was das Zeug hält. Ja, seine Stimme ist nie und nimmer so gut wie die von Placido Domingo. Doch das muss sie auch nicht sein. Ich stehe im Saal und bin gefesselt. Hier und da läuft mir ein kalter Schauer den Rücken herunter und es kribbelt am ganzen Körper. Ich freue mich und bin glücklich. Solche Momente gibt es für mich nur, wenn ich kreativ gefordert und angeregt bin. Ich schwebe und lasse mich nur noch treiben.

Musik und das Empfinden, wenn man Musik hört, ist subjektiv. Wenn ich jetzt sage, dass Wire besser ist, als Placido Domingo, dann ist das nur dumm. Doch für mich persönlich muss Musik etwas ganz tief in mir drinnen auslösen und das hat Wire geschafft, während ich bei Domingo und Radvanovsky mehr mit offenem Mund staunend dasass und nicht wirklich mittendrin war.

Wenn ich sage, dass ich lieber Erdbeer-Eis als Vanille-Eis esse, dann heisst das ja nicht, dass ich nie Vanille-Eis esse, sondern mehr, dass wenn ich die Wahl habe, dass ich dann Erdbeer wähle. Wenn ich die Wahl habe, dann wähle ich Wire und nicht Domingo. Also, ich behalte mein Mantra doch weiter bei, dass ich mich so richtig erst nach 50 für Oper interessieren werde – vielleicht auch 55.

Hier einer der zugänglicheren Songs von Wire von ihrem 1988 Album “A Bell Is A Cup Until It Is Struck” – Kidney Bingo

12 in 12 – Welcome to the Hotel California

“Hotel California” von den Eagles aus dem Jahr 1976. Wer bringt mit diesem Song nicht irgendeine unsägliche Schülerparty, eine unendlich lange Autofahrt oder eine durchzechte Nacht in Verbindung. Ich habe eine extreme Hassliebe gegenüber dem Song entwickelt. Ja, es ist ein grossartiger Song, doch ich habe ihn zu oft gehört.

Wie oft habt ihr den Song schon gehört? Zehn Mal? Hudert Mal? oder gar Tausend Mal? Und worum geht es in dem Song? Wisst ihr das? Die meisten Leute meinen, es geht um das unbeschwerte Leben in Kalifornien, um Sonne, Strand und Palmen. Weit gefehlt.

Es geht um die vermeintlichen Ideale des American Dream, um die Dekadenz und den Verfall des American Way of Life in den 70er Jahren, um Süchte, Sehnsüchte und vielleicht auch um den Teufel…

Lest Euch mal diese Textzeile aus dem Song durch. Tausend mal gehört und tausend mal ist nichts passiert:

Last thing I remember, I was
Running for the door
I had to find the passage back to the place I was before
‘Relax’ said the night man,
‘We are programmed to receive.
You can check out any time you like,
But you can never leave!’

YOU CAN CHECK OUT ANY TIME YOU LIKE
BUT YOU CAN NEVER LEAVE

Für mich persönlich ist das die perfekte Charakterisierung von Los Angeles. Du wirst wie ein Magnet von dieser Stadt angezogen und Du kannst die Stadt auch wieder verlassen, doch loslassen wird sie dich nie.

Einige Interpretationen gehen deutlich weiter. Beim Hotel California soll es sich um eine Hippie-Sekte, eine Gemeinschaft von Satanisten um Anton Szandor LaVey oder um eine geschlossene psychiatrische Einrichtung handeln, aus der kein Entkommen möglich ist. Auch wenn Don Henley von den Eagles das immer dementiert, würde das auch gut zum Song passen.

Das Hotel California per se gibt es übrigens nicht. Auf dem Plattencover ist das legendäre Beverly Hilton in Los Angeles abgebildet. Auch das Chateau Marmont in L.A. wird oft als Referenz herangezogen. Für mich kann es so gut wie jedes Motel oder Hotel in Los Angeles sein. Es gibt kaum eines, das nicht seine kleinen Geheimnisse hat.

Dann noch diese Strophe:

Her mind is Tiffany-twisted, she got the Mercedes bends
She got a lot of pretty, pretty boys, that she calls friends
How they dance in the courtyard, sweet summer sweat
Some dance to remember, some dance to forget

Hier wird die  Oberflächlichkeit des Lebens im Luxus charakterisiert (pretty boys, that she calls friends) zudem haben die Zeilen etwas geheimnisvoll/mystisches (some dance to remember, some dance to forget) – Da ist mehr drin, als man denkt.

Ach ja, noch kurz zum Satan. Auf dem Cover des Albums steht ein Wesen im ersten Stock in den Arkaden, das vage an den Teufel erinnert.

Die Songzeilen

They stab it with their steely knives
But they just can’t kill the beast

soll die Resistenz und Übermächtigkeit des Teufels beschreiben…und dann natürlich wieder

YOU CAN CHECK OUT ANY TIME YOU LIKE
BUT YOU CAN NEVER LEAVE

Für die, die sich nicht mehr erinnern können: Der Song:
https://www.youtube.com/watch?v=jFi2ZM_7FnM

12 in 12 – Perfekt, perfekter, Japan

Es ist bereits dunkel in Tokio. Wir biegen im Stadtteil Shibuya in eine schummrige Gasse ein und laufen den Bahngleisen entlang.  Ein leerer Zug rattert vorbei. Kaum ein Licht brennt in den Fenstern der kleinen, dicht aneinandergereihten, Häuser. Weit und breit keine Menschenseele.  Die Athmosphäre ist gespenstig. Endlich. Da ist sie, die kleine Tür mit dem Graffiti, genau so wie sie mir Tomoko beschrieben hatte. Hinter dieser Tür soll sich der legendäre Underground-Rock-Club Circus befinden und hier soll gleich die japanische Band Cinnamons auftreten.Die Tür ist zu. Keine Klingel. Ich klopfe. Die Tür geht auf. Eine junge Frau steht dahinter und begrüsst uns. Sie ist munter und fidel. 4000 Yen Eintritt und wir sind drin. Sie gibt uns noch einen Getränkegutschein, den wir an der Bar einlösen können.

Was von aussen dunkel und ich gebe es zu, durchaus etwas gefährlich aussah, entpuppt sich von innen als ultracooler Rockclub, in dem alles äusserst gesittet zu und her geht. Wir sind hier ja schliesslich in Japan. Das Konzert hat schon angefangen. Trotzdem halte ich noch kurz an der Bar und bestelle wie meist einen Gin und Tonic. Spätestens seit Oasis die legendären Songzeilen:

I need to be myself
I can’t be no one else
I’m feeling supersonic
Give me gin and tonic

1994 mit ihrem allerersten Song Supersonic unsterblich gemacht haben, ist G&T mein Getränk.

Keine Plastikbecher, keine Sodapistole mit Chlorgeschmack, kein billiger Gin und kein Cocktail, der nur aus Eis besteht. Nachdem ich dem Barkeeper klar gemacht habe, dass ich kein Ginger Ale, sondern einen Gin and Tonic will, ist er in seinem Element.  Er nimmt ein gut gekühltes, wohl geformtes Glas aus dem Kühlschrank. Es könnte durchaus handgeblasen sein. Die Eiswürfel sind gross, denn sie sollen kühlen und das Getränk nicht verwässern.  Der Gin ist von Sipsmith und kommt, wie es sich bei einem G&T gehört, aus dem Tiefkühler. Das Tonic schüttet er aus der kleinen, traditionellen 19cl-Flasche dazu. Das Verältnis stimmt. Drei Teile Tonic, ein Teil Gin. Dann natürlich noch ein Schnitz frisch geschnittene Limette; ja, unbedingt Limette und keine Zitrone, denn die ist etwas zu süss. Mit einem weiteren Limettenschnitz reibt der Barkeeper, der übrigens blond gefärbte Haare hat, ein schwarzes Metallica-T-Shirt trägt und wohl knapp über 20 ist, den Glasrand ein. So verspürt man beim Trinken zu allererst einen leicht limettigen Geschmack.  Dann noch kurz umgerührt und fertig ist der Gin and Tonic.

Ich habe mittlerweile zwar einen Song der Cinnamons verpasst. Doch das war es wert. Der perfekte Gin and Tonic in einem Rockklub an den Bahngleisen von  Shibuya. Wer hätte das gedacht

Unten im Konzertsaal spielen die  Cinnamons. Ich stehe da und höre zu. Ich weiss gar nicht, woran ich mich mehr efreuen soll, an der japanischen Indie-Musik, die so was von gute Laune macht oder an meinem perfekten Gin and Tonic. Perfekt, perfekter Japan.

12 in 12 – Australia rocks!

Australien braucht den Vergleich mit England oder den USA nicht zu scheuen, wenn es um gute Musik geht. Über die letzten Wochen habe ich coole australische Bands und Künstler gesehen, in mindestens so coolen Venues in Sydney wie der Oxford Art Factory, dem Newtown Social Club, der Recital Hall, der St. Stephen’s Uniting Church, dem Metro Theater, der Record Crate oder in Melbourne in der Sydney Meyer Music Bowl und dem Northcote Social Club. Das sind die Bands und Songs, die ich Euch gerne näher bringen möchte:

Mein Lieblingssong im Moment von Olympia alias Olivia Bartely heisst Smoke Signals und ist ein Ohrwurm der klassischen Art. Noch ist Olymipa Grassroots, hat aber grosses Potenzial. Hier die Live-Version von Smoke Signals für den Radiosender Triple-J:

Dann die Stimme der umwerfenden Wafia, die vor einer grossen Karriere steht. Adele meets Weyes Blood. Etwas Schmalz aber was fürs Herz.

Middle Kids sind eine coole Rockband, die mit dem Song “Edge of Town” im Radio hier viel Airplay kriegen.:

Ein grosses Talent ist Owen Rabbit. Ein Soundtüftlter erster Klasse:

Dann noch der neuste Song von Methyl Ethel. Die Band mit ihrem zweiten Album, das zeigt, dass die Jungs nicht stehen geblieben sind:

D.D. Dumbo ist das wohl kreativste, was Australien im Moment zu bieten hat. Sein Debut-Album, das auf dem legendären Label 4AD erschienen ist, ist ein “Grower”. Erinnert mich an The Police, falls euch das noch was sagt…:

Dann noch was, das ich Euch mit einem Augenzwinkern ans Herz lege. Live echt ein Erlebnis. Donny Benét wie er leibt und lebt. Very 80’s:

12 in 12 – It Takes Two to Tango

“Tango is a vertical expression of a horizontal desire”,  hat schon der englische Schriftsteller George Bernard Shaw gesagt. Das übersetze ich jetzt nicht und lasse es einfach mal so stehen.

Ich will mir gar nicht anmassen, in nur einem Monat zum Tangoexperten avanciert zu sein. Ich bin weit davon entfernt, besonders wenn es um die eigenen Fähigkeiten des Tango tanzen geht. Meilenweit um ehrlich zu sein. Doch eins weiss ich: Tango ist eine Kunstform, die der klassischen Musik und dem Ballett nicht im Geringsten nachsteht.

Ich habe die Grössen des Tangos singen gehört, die Meister des Bandoneons spielen sehen dürfen, Milongas, wie die Tangoparties hier heissen,  besucht und Tanzprofis bestaunt. Tango ist grossartig. Ich hatte bis jetzt immer gedacht, das Bandoneon sei ein unnützes Instrument, das nur für Schunkelveranstaltungen geeignet ist. Doch da muss ich meine Meinung aber sowas von revidieren. Wer ein Tango-Orchester live erlebt und die Leidenschaft, Lust und das Feuer spürt, der weiss, dass das Bandoneon seinen Platz gefunden hat und zwar im Tango.

Tango-Tänzer strahlen Stolz aus, wie kaum jemand anderes. Ein alter Mann, der zuvor gebrechlich auf seinem Stuhl sitzt, ist wie verwandelt, wenn er über die Tanzfläche stolziert. Aus einer verlorenen Seele wird ein feuriger Draufgänger. Der Kampf zwischen Mann und Frau, das hin- und her, die Verzweiflung und die Sehnsucht, das Verlangen und die Wut, das Anklagen und das Flehen, die Herausforderung und die Zurückweisung, der Misserfolg und der Erfolg. Das alles spürt man, wenn man den Tango erlebt und zwar schon beim Zuschauen.

Entstanden ist der Tango übrigens Ende des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires. Seit 2009 ist er sogar UNESCO-Weltkulturerbe. So richtig los ging es in den 30er Jahren, als Carlos Gardel den Tango der Welt nahe brachte. Argentinien boomte damals als Getreide- und Fleischlieferant für Europa. Die Leute hatten genügend Geld, das Radio verbreitete die Musik bis ins hinterste und letzte Dorf und an jeder Ecke schossen die Tangoclubs aus dem Boden. Bis heute ist Tango im Blut jedes Argentiniers.

Richtig Tango tanzen werde ich wohl nie können. Doch der Tango hat  einen Patz in meinem Herzen sicher. Astor Piazolla und Carlos Gardel “worked their magic.”

Und hier noch Tango-Stunden mit Barack Obama:

12 in 12 – Es wird Musik gemacht

Die Tür der U-Bahn, die in Buenos Aires Subte heisst,  geht auf. Ein junger Typ steigt ein, wohl Mitte 20 mit langem, etwas zotteligem Haar. Er hat eine Gitarre und einen kleinen Verstärker dabei und stellt sich im ohnehin schon vollen Wagen auf. Er legt gleich los und spielt eine jämmerliche Version von Hey Jude, die bei Paul, George, John und Ringo wohl Kopfschmerzen verursacht hätte.

Hoffentlich ist das bald vorbei, denke ich. “And anytime you feel the pain, hey Jude, refrain”. schallt es mir entgegen. Ja genau, ich spüre den Schmerz, doch ich halte mich zurück, den Blick gesenkt zum Boden. Es kann ja nicht mehr lange dauern. “Take a sad song and make it better”…leider nicht.

Und jetzt noch das “Nah nah nah nah nah nah, nah nah nah, hey Jude
Nah nah nah nah nah nah, nah nah nah, hey Jude”. Tribunales – die nächste Haltestelle kommt und Hey Jude nimmt ein abruptes Ende. Ich schaue in die Runde und fange die Blicke ein. Doch meine Mitfahrer scheinen im Gegensatz zu mir überhaupt nicht genervt zu sein. Im Gegenteil. Sie applaudieren anständig und kramen aus ihren Portemonnaies etwas Geld. Der Sänger sammelt seine Beute dankend ein, verlässt den Wagen und steigt einen weiter hinten wieder ein.

Komischerweise bin ich überhaupt nicht erleichtert, dass der Beatles-Impersonator nicht mehr da ist. Im Gegenteil. Ich fühle mich etwas schuldig. Die Toleranz und die freundliche, soziale Einstellung meiner Sitznachbarn hat mich beeindruckt. Das kennen wir gar nicht mehr so richtig. Wenn bei uns jemand Musik macht in der U-Bahn oder sonst wo, dann muss der so richtig gut sein, sonst wird er meistens mit verachtenden Blicken gestraft. Hier hingegen gibt es Anerkennung und Mitgefühl – egal wie gut einer ist.

Ich bleibe zwar dabei, dass die Version von Hey Jude, die der Crooner hier hingelegt hat, lausig war. Doch nach dem Motto “leben und leben lassen” ist es schön, dass man hier in die Schuhe des anderen schlüpft und Respekt zeigt. In einem U-Bahn-Wagen zu singen, ist ja schliesslich auch kein einfacher Job. Schon etwas fehl am Platz, so wie ich den Miesepeter zu spielen.

PS. In der Subte gibt es übrigens Musik an jeder Ecke. Meistens sind die Performer auch echt gut. Es gibt Leute, die sagen, nirgends seien die Strassenmusiker von so hoher Qualität wie hier. Und noch ein grosses Plus: Bisher habe ich in Buenos Aires noch keine Panflöte gehört!!!