Je süsser desto besser. Damit meine ich nicht die Bäckereien, die in Tokio wohl besser sind als irgendwo anders auf der Welt, sondern den Drang der Japaner alles knuddelig und allerliebst zu gestalten. Ein Maskottchen hier, ein Schlüsselanhänger da. Alles soll zauberhaft und liebenswert sein. Heile Welt wird in Japan gross geschrieben. Jedes Geschäft hat seine eigene putzige Comic-Figur und jedes Schild wird mit einem Cartoon ergänzt.
Der neuste Schrei in Tokio ist das Eulen-Café. Nachdem das Katzen-Café, von denen es in Tokio über 60 gibt und in dem du mit der Katze deiner Wahl Kaffee trinken kannst, schon wieder out ist, haben die Japaner die Eulen entdeckt. Wer wie Harry Potter mit einer Eule auf dem Arm seinen Kaffee oder Tee schlürfen will, der findet in Tokio unzählige Eulen-Cafés. Keine Ahnung, was die Tierschützer dazu sagen würden, doch den Japanern scheint es zu gefallen. Die stoischen Eulen lassen sich streicheln und machen gute Miene zum doch etwas bösen Spiel. So süss die Eulen sind. Die Animierdame vor dem Café schafft es nicht, mich zu begeistern. Ich lasse das Eulen-Café aus.
Wer lieber mit einem anderen Tier Kaffee trinken will, der wird in Tokio ebenfalls fündig. Im Igel-Café kriegt man eine Box mit einem kleinen Igel auf den Tisch gestellt. Den kann man dann (meist beim Schlafen) beobachten, so lange es einem Spass macht. Wer Eule und Igel langweilig findet, für den gibt es auch ein Café mit Falken, Kaninchen, Schlangen, Ziegen, Hunden und Frettchen.
All das ist nicht ganz so schlimm, wie es sich anhört. Die Tierhaltung ist den Umständen entsprechend sachgerecht und die Japaner gehen sehr behutsam mit ihren Kaffee-Gästen um. Doch schräg ist es auf jeden Fall.
Menschen tun immer wieder Sachen, die sie eigentlich nicht tun sollten. Mit Haien schwimmen gehen, Free Climbing, Base Jumping, Fallschirmspringen, Drogen nehmen und und und… Die Suche nach dem nächsten Nervenkitzel ist für viele ein Lebenselixier. Gehört ihr auch dazu?
Ich würde mich nicht unbedingt als Draufgänger bezeichnen. Doch hin und wieder packt mich auch der Wahnsinn. Schon als Teenager hatte ich von dem sagenumwobenen Fisch namens Fugu gehört, den die Japaner essen, obwohl er das Gift Tetrodotoxin in sich trägt, das bis zu 1000 Mal stärker ist Zyanid und unweigerlich zum Tod führt. In Japan gibt es nur wenige Spezialisten, die den Fisch sezieren können, ohne dass sich Gift und Fleisch vermischen. Zwei Jahre Training und dann eine enorm schwierige Prüfung sind die Voraussetzung für den Job. In Europa ist der Verkauf des Fisches denn auch in den meisten Ländern verboten.
Fugu essen gilt als Mutprobe aber auch als Delikatesse. Er soll zudem eine aphrodisierende und berauschende Wirkung haben. Doch schon nur das Gift in der Menge eines Stecknadelkopfes führt in kürzester Zeit zum Tod, einem unangenehmen Tod, in dem man gelähmt wird und dann sozusagen im Wachschlaf leidet, bis man nicht mehr kann. Toll, warum will das jemand freiwillig ausprobieren, ja warum?
In Tokyo gibt es eine ganze Reihe von Fugu-Restaurants und auch auf dem Fischmarkt gibt es einige Spezialisten, die Fugu-Sashimi zubereiten. Mit einem speziellen Messer sezieren sie den Fisch und schneiden hauchdünne Scheiben ab. Sie wissen, was sie machen und haben einen guten “Track Record”. Die meisten Unfälle mit Fugu passieren denn auch nicht, wenn ein Spezialist am Werk ist, sondern wenn ein Angler sich den Fugu selbst zubereiten will.
Im Prinzip wollte ich keinen Fugu essen. Doch als mich ein Freund darauf ansprach, ob ich denn schon Fugu gegessen hätte, packte mich doch die Neugierde. Für weniger als 20 Franken ist eine kleine Portion superfrisches Fugu-Sashimi zu haben. Wie schlimm kann den das schon sein? Da will ich mich mal nicht lumpen lassen und kaufe gleich mal eine Portion. In gebrochenem Englisch erklärt mir der Verkäufer, Fugu sei auf dem Teller nicht gefährlich, sondern nur lebend im Aquarium. Ich solle Tiger-Fugu kaufen, denn der sei der Beste. Jaja, der sei auch giftig, schmeckt dafür aber besonders gut.
Dem Rat folge ich denn auch. Tiger-Fugu soll es sein. Mit der Beute im Rucksack mache ich mich auf den Weg nach Hause. Im japanischen Zimmer wird die Köstlichkeit ausgepackt. Etwas Bedenken habe ich schon. Jahr für Jahr beissen einige Japaner ins Gras, die vom Fugu Wunderdinge erwarten. Erst soll es auf der Zunge etwas kribbeln, dann wird sie betäubt und nach und nach setzen die Funktionen im ganzen Körper aus.
Mhhh….jetzt könnte ich noch zurück. Niemand treibt mich, Fugu zu essen. Es steht keine Wette aus und der Stolz würde nicht verletzt, wenn ich es nicht tue. Doch neugierig bin ich schon, wie so ein Fugu schmeckt. OK, ich tue es. Es ist so weit. Damit ihr ganz nahe dabei sein könnt, habe ich den Moment auf Video aufgenommen. Will he eat it or not, will he die or will he survive? Schaut Euch das Video an, dann wisst ihr mehr:
Ich war mir ziemlich sicher, dass das eine Tortur werden würde. Japanische Schauspieler in fetter Schminke, Kimonos und Masken, die auf der Bühne teilweise Minutenlang regungslos herumstehen, japanisch sprechen und ein traditionelles Drama auf die Bühne zaubern. Das Ganze nennt man Kabuki, wurde 2005 in die UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen und ist fest in der japanischen Kultur verwurzelt.
Sozusagen das Wembley-Stadion des Kabuki ist das Kabukiza-Theater im Stadteil Ginza, das erst letztes Jahr eröffnet wurde. Ein Prachtbau, der einem den Atem verschlägt. Wie so oft sind wir die einzigen Nicht-Japaner im Publikum und harren der Dinge. Gleich beginnt die Vorstellung.
Als der Vorhang fällt, bin ich von einer Sekunde auf die andere in den Bann gezogen. Zehn Schauspieler, eine Art Orchester und fünf Helfer, die den Stars unbemerkt die Requisiten zustecken, stehen auf der Bühne. Alle sind sie fett geschminkt und alles sind Männer. Im Kabuki werden die Rollen der Frauen meistens von Männern gespielt. Das allein gibt dem Ganzen schon einen komödiantischen Unterton.
Gesprochen wird zum Glück wenig. Fast alles wird mit Gesten erzählt. Im Stück geht es geht um den Unterschied der Stadt- und Landbevölkerung. Sie machen sich gegenseitig lustig über ihre Unterschiede und Fehler. Das Publikum lacht, gibt Anfeuerungsrufe, raunt erstaunt und klatscht begeistert. Kabuki macht grossen Spass. Wer hätte das gedacht? Wenn der Bauer seinen Stadtherrn an den Haaren über die Bühne zieht oder wenn eine Art Tanzduell sowas von schief geht, wenn der Mann, der als Frau verkleidet ist, mit einer schrägen Piepsstimme singt – das ist köstlich.
Kabuki ist das traditionelle japanische Theater des Bürgertums der Edo-Zeit und besteht aus Gesang, Pantomime und Tanz. Kabuki ist eine im Wesentlichen säkulare Kunstform und etwas weniger formell als das ältere, vom Buddhismus geprägte Nō-Theater der Samurai. Begründet wurde die Kunstform 1603 von Okuni vom Izumo-Schrein, einer Miko (Schreinmädchen), als diese zusammen mit anderen Frauen beim Kitano-Schrein in Kyoto Tanz und komödiantische Stücke darbot. Als sich das Ganze über die Jahre mit Prostitution vermischte, wurden Frauen Mitte des 17. Jahrhunderts ausgeschlossen. Diese Tradition hat sich bis heute gehalten, ist aber kein “Gesetz” und wird in Japan keinesfalls als frauenfeindlich aufgefasst.
Die Männer, die Frauen spielen, werden Onnagata genannt. Sie sind meist schon fortgeschrittenen Alters und in Japan grosse Stars. Dank der dick aufgetragenen Schminke, sieht man kaum, wie alt jemand ist.
Meine Befürchtungen, dass ich mich an der Kabuki-Aufführung, die schnell mal fünf Stunden dauern kann, zu Tode langweile haben sich nicht bestätigt. Ich bin ein grosser Fan geworden. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass Vorurteile sehr oft falsch sind und nur darauf basieren, dass man im Prinzip keine Ahnung hat, wovon man spricht, Ein Vorurteil eben.
Von mir gibt es eine Fotoserie, wie ich als Baby auf dem “Töpfchen” sitze und so tue, als ob ich eine grosse Rede schwinge. Damals muss ich mich in dem Moment wie ein kleiner König gefühlt haben.
In Japan bin ich jeden Tag ein König, wenn ich aufs “Töpfchen” gehe. Wie so vieles im Land der aufgehenden Sonne ist auch die Toilette perfektioniert. Das fängt damit an, dass der Klodeckel automatisch nach oben klappt, sobald man sich der Toilette nähert. Der Sitz ist bereits vorgeheizt. Besonders an kalten Wintertagen ist das willkommen. Alles ist supersauber. Meist spielt beruhigende Musik, die einen so richtig entspannen lässt.
Wer zum ersten Mal eine japanische Toilette besucht, ist total überfordert. Schwer zu verstehende Zeichen und dutzende von Knöpfen weisen darauf hin, was das Klo alles kann. Man hat Angst überhaupt einen Knopf zu drücken. Doch wenn man sich etwas Zeit nimmt, dann wird schnell klar, wie es funktioniert.
Wer das Geschäft verrichtet hat, der greift nicht zum WC-Papier, sondern drückt auf den Knopf, der einen sanften Wasserstrahl auslöst, der alles fein säuberlich und automatisch putzt. Die Stärke wird individuell angepasst und die Temperatur ist genau die Richtige. Japanische Forscher haben herausgefunden, dass die bevorzugte Strahltemperatur knapp über der Körpertemperatur liegt – etwa bei 38 °C. Die Düsenposition lässt sich ebenfalls manuell ändern. Spitzenmodelle bieten sogar vibrierende und pulsierende Wasserstrahlen, die nach Angaben der Hersteller gegen Verstopfung und Hämorrhoiden wirksam sein sollen. Die neuesten Typen können sogar Seife in den Wasserstrahl mischen, um bessere Reinigungsergebnisse zu erreichen. Eine andere weitverbreitete Funktion ist das Warmluftgebläse, meist zwischen 40 und 60 °C variierbar, um die mit dem Wasserstrahl gereinigten Körperregionen zu trocknen.
Zum Schluss wird das ganze WC automatisch geputzt und desinfiziert. Auch der Geruch verschwindet einfach so und völlig magisch. Topmodelle sind gar in der Lage, den Stuhl und Urin zu analysieren und vor sich anbahnenden Krankheiten zu warnen.
Ich hatte solche Toiletten zwar auch schon mal gesehen, doch ich dachte immer, das wäre nur ein Gimmick, den kaum ein Japaner wirklich benutzt. Doch eine Statistik zeigt, dass 78% der Japaner so ein Ding zu Hause haben. In Restaurants und öffentlichen Toiletten sind die Alleskönner sogar die absolute Regel.
Mit den Toiletten ist es mit so vielem im Leben. So lange man es nicht kennt, vermisst man es auch nicht. Doch wenn man es einmal erlebt hat, dann kann man nur schwer zurück – oder könnt ihr Euch vorstellen ohne Internet, Geschirrspüler oder, um eine extremes Beispiel zu wählen, Strom zu leben?
Und noch was. In Japan begann das Zeitalter der High-Tech-Klos im 1980 mit der Einführung der Washlet G-Serie durch Toto. Das Washlet basierte ursprünglich auf einer Erfindung des Schweizers Hans Maurer, der 1957 das Dusch-WC unter dem Namen Closomat erfand und im europäischen Markt ohne grossen Erfolg einführte.
Ach ja und einen Vorteil hab ich fast vergessen. Einen Vorteil, der viele Beziehungskrisen verhindert und für Harmonie sorgt. Der WC-Deckel schliess am Ende des Besuchs automatisch!
Ob ihr es glaubt, oder nicht, es ist gar nicht so einfach, sich auf so einer Reise mal so richtig zu entspannen, runter zu kommen, die Gedanken des Alltags beiseite zu legen und einfach nur zu sein. Ich weiss nicht wie es euch geht, doch ich stehe ständig unter Strom und habe das Gefühl, ich müsse jetzt gleich was tun.
Die Japaner haben ein gutes Mittel gegen diese innere Unruhe und das heisst Onsen. Onsen ist die japanische Bezeichnung für eine heisse Quelle. Ganz Japan befindet sich auf vulkanisch aktivem Gebiet und deshalb gibt es fast überall im Land unzählige Onsen. Ja, ich weiss, was ihr jetzt denkt. Jetzt ist der Schwalbe richtig alt geworden. Er geht in ein Thermalbad und pflegt dort seine alten Knochen. Jaja, schon gut. Wartet doch einen Augenblick.
Also, zurück zum Onsen. Die schönsten Onsen gibt es in Hakone, rund zwei Stunden Zugfahrt von Tokio entfernt. In den Wäldern unweit des Mount Fuji gibt es vulkanische Quellen, die magische Heilwirkung haben sollen. Fast jedes Hotel hat sein eigenes Onsen und hütet es wie seinen Augapfel.
Ein Onsen zu besuchen ist ein kleines Abenteuer. Natürlich ist man hier die einzige Langnase und Englisch ist für die meisten ein Fremdwort. Das wäre ja im Prinzip auch nicht weiter schlimm. Doch da es im Onsen unzählige Verhaltensregeln gibt, bewegt man sich in den ersten Minuten wie auf Eierschalen.
Alles ist nach Geschlechtern getrennt. Die Schuhe müssen sofort ausgezogen und in einen Sack gesteckt werden. Dann zieht man sich aus und schreitet nur mit einem Waschlappen bewaffnet, in den Baderaum. Es dampft überall. Erst wäscht man sich kräftig. Man rubbelt und schrubbt und kriegt dazu alle erdenklichen Hilfsmittel. In der Regel gibt es zwei oder drei Badebecken drinnen, eine Sauna und einige Becken draussen, meist mitten im Wald mit viel Bambus und Naturstein und atemberaubender Aussicht.
Man schaut mit einem Auge, wie die ebenfalls nur mit einem Waschlappen bewaffneten Einheimischen die Sache angehen und macht einfach alles nach. Vor allem wird sich im Onsen so richtig entspannt. Das hört sich genau so an wie im Thermalbad, sagt ihr jetzt bestimmt und habt damit auch nicht ganz unrecht.
Doch dann macht es plötzlich “klick”. Auf einen Schlag fühle ich mich wie in einer anderen Welt. Der Bambuswald rückt näher, das Sulfat des Wassers steigt mir zu Kopf, ich höre sanfte Klänge, die direkt aus dem Wald kommen und der Naturstein wärmt sich langsam auf. Der ganze Ballast löst sich und ich schwebe im Wasser. Es ist schön hier im Onsen. Ich vergesse die Zeit und auch den Raum und lasse mich von meinen Gedanken treiben. Ich weiss nicht, ob es die Dämpfe des Bads sind, die Umgebung oder ob es nur an meiner positiven Einstellung liegt, doch ich habe mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.
Im Onsen hier in Hakone habe ich meine innere Ruhe gefunden. Danke Hakone. Wenn ich zurück in Tokio bin, dann werde ich bestimmt dem Sento in unserer Strasse einen Besuch erstatten. Ein Sento ist sozusagen der kleinere Bruder des Onsen und ihn gibt es in Japan in jedem Quartier. Im Gegensatz zum Onsen muss ein Sento das Wasser nicht von einer Heilquelle beziehen, funktioniert sonst aber nach dem gleichen Prinzip. Ein Sento ist wie wie der Onsen ein Ort der Entspannung, wo der strikte Verhaltenskodex, der das soziale Leben regelt, gelockert ist und die Hierarchien eingeebnet sind. Im Sento schwitzt der kleine Angestellte gleichberechtigt neben dem Firmenboss – in Japan sonst ein nur selten anzutreffendes Bild.
Im Stadtteil Shibuya leuchten die Neonschilder um die Wette und die Menschenmassen strömen in die unzähligen Kaufhäuser. Alles ist bunt und irgendwie verrückt. In Mitten dieses Wahnsinns erblicke ich eine Bronzestatue. Ein Hund thront dort erhaben und stolz auf einem Sockel und schaut dem Treiben gelassen zu.
Ich frage einen Passanten, was es mit der Statue auf sich hat. Er schaut mich entgeistert an, als habe ich ihn gerade gefragt, ob man Fussball mit einem Ball spielt oder ob wir hier in Tokio sind. “Das ist unser Hachiko” sagt er. Ich überspiele gekonnt, dass mir der Name Hachiko nichts sagt und ziehe erstmal von dannen. Später erfahre ich, dass Hachiko nicht nur Japans berühmtester Hund, sondern wohl der berühmteste und meist geliebte Japaner überhaupt ist. Das hat seinen guten Grund.
Hachiko gehörte dem Universitätsprofessor Hidesaburo Ueno. In den Zwanziger Jahren holte der Hund der Rasse Akita sein Herrchen jeden Tag vom Bahnhof in Shibuya ab. Er sass am Gleis Nummer sieben und wusste genau, wann der Professor ankommt. Als dieser 1925 während einer Vorlesung an einer Hirnblutung starb, zog die Witwe aus Tokio fort. Hachiko fand bei Verwandten in einem anderen Stadtteil ein neues zu Hause. Doch da hielt es ihn nicht lange.
Nach wenigen Tagen machte sich Hachiko auf den Weg nach Shibuya. Jeden Nachmittag setzte er sich dort am Bannhof auf das Perron des Gleis Nummer sieben und wartete geduldig auf sein Herrchen. Anfangs wurde er am Bahnhof als Störenfried betrachtet und von den Stationsvorstehern immer wieder verjagt. Passagiere beschwerten sich beim Personal, Bahnmitarbeiter misshandelten ihn sogar. Der Hund wurde geschlagen, manchmal mit Farbe beschmiert. Davon liess sich Hachiko aber nicht abhalten. Jeden Tag kehrte er zurück und wartete – vergebens.
Nach drei Jahren hatte der Stationsvorsteher erbarmen und baute Hachiko ein kleines Ruheplätzchen. An einem Herbsttag 1928 erkannte ein ehemaliger Student von Professor Ueno den Hund wieder. Er schrieb gerade eine Arbeit über Akita-Hunde. 1932 veröffentlichte er einen Artikel zu Hachiko und dessen Leidensweg, der den treuen Hund über Nacht zum Liebling der Nation machte. 1934 wurde Hachiko dann die Bronzestatue am Bahnhof von Shibuya errichtet. Hachiko sass teilnahmslos mit traurigen Hundeaugen daneben, als die Statue eingeweiht wurde. Nach der Zeremonie zottelte er wieder von dannen, steuerte auf das Gleis Nummer sieben zu und wartete.
1935 wurde Hachiko in einer Strasse in Shibuya Tod aufgefunden. Er war an Lungen- und Herzkrebs gestorben. Ob Sonne, Regen oder Schnee. Hachiko hatte zehn Jahre lang jeden Tag auf sein Herrchen gewartet. Das Land trauerte um Hachiko. Sein Körper befindet sich heute präpariert im Nationalmuseum der Naturwissenschaften im Tokioter Bezirk Ueno, wo ihn Tag für Tag Schulklassen bestaunen.
Hunde sind ein Phänomen. Es ist schon unglaublich, wie treu und loyal die Vierbeiner sein können. Egal, wie sie behandelt werden, sie wissen, wo sie hingehören. Schon herzzerreissend. In Tokio hinterlässt Hachiko noch heute seine Spuren. Eine der wichtigsten Buslinien ist die Hachiko-Linie, überall werden T-Shirts und kleine Figuren mit seinem Antlitz verkauft und wenn in Spielfilmen oder Werbeclips ein Hund vorkommt, dann ist es bestimmt ein Akita.
Auch berühmte und weniger berühmte Poeten haben sich Hachiko’s Geschichte zu Herzen genommen. Ein kleines Beispiel:
I will see him again, in heaven I will,
Our adventures will never end, the end, until.
They take one more picture, they all start to cry,
I will wait for you until the day I die.
Ach ja, selbstverständlich hat sich auch schon Hollywood der Geschichte bedient. “A Dog’s Tale” hiess der Film. Lasse Halström führte Regie und Richard Gere übernahm die Rolle des Professors. Natürlich spielte der Film nicht in Japan, sondern in Amerika…
Doch die Tränendrüsen werden auch auf Amerikanisch kräftig gedrückt. Schaut Euch die Szene an und sagt mir mit gutem Gewissen, dass ihr da keine Träne verdrückt habt:
Der nächste Beitrag aus der Serie: Schwalbe fliegt nach… in der NZZ ist erschienen. Klickt hier drauf, um den Artikel zu lesen. Für die NZZ bzw. NZZ Bellevue nehme ich Objekte und Zeichen unter die Lupe, die für die locals alltäglich erscheinen, dem Besucher aber ins Auge springen. Daraus soll eine Art Atlas des Corporate Designs von zwölf Weltstädten und Stadtkulturen entstehen. Diese Episode beschäftigt sich mit Bangkok. Wie immer auch hier auf Trendengel sind die Fotos von mir selber geschossen und exklusiv. Viel Spass.
Es ist bereits dunkel in Tokio. Wir biegen im Stadtteil Shibuya in eine schummrige Gasse ein und laufen den Bahngleisen entlang. Ein leerer Zug rattert vorbei. Kaum ein Licht brennt in den Fenstern der kleinen, dicht aneinandergereihten, Häuser. Weit und breit keine Menschenseele. Die Athmosphäre ist gespenstig. Endlich. Da ist sie, die kleine Tür mit dem Graffiti, genau so wie sie mir Tomoko beschrieben hatte. Hinter dieser Tür soll sich der legendäre Underground-Rock-Club Circus befinden und hier soll gleich die japanische Band Cinnamons auftreten.Die Tür ist zu. Keine Klingel. Ich klopfe. Die Tür geht auf. Eine junge Frau steht dahinter und begrüsst uns. Sie ist munter und fidel. 4000 Yen Eintritt und wir sind drin. Sie gibt uns noch einen Getränkegutschein, den wir an der Bar einlösen können.
Was von aussen dunkel und ich gebe es zu, durchaus etwas gefährlich aussah, entpuppt sich von innen als ultracooler Rockclub, in dem alles äusserst gesittet zu und her geht. Wir sind hier ja schliesslich in Japan. Das Konzert hat schon angefangen. Trotzdem halte ich noch kurz an der Bar und bestelle wie meist einen Gin und Tonic. Spätestens seit Oasis die legendären Songzeilen:
I need to be myself
I can’t be no one else
I’m feeling supersonic
Give me gin and tonic
1994 mit ihrem allerersten Song Supersonic unsterblich gemacht haben, ist G&T mein Getränk.
Keine Plastikbecher, keine Sodapistole mit Chlorgeschmack, kein billiger Gin und kein Cocktail, der nur aus Eis besteht. Nachdem ich dem Barkeeper klar gemacht habe, dass ich kein Ginger Ale, sondern einen Gin and Tonic will, ist er in seinem Element. Er nimmt ein gut gekühltes, wohl geformtes Glas aus dem Kühlschrank. Es könnte durchaus handgeblasen sein. Die Eiswürfel sind gross, denn sie sollen kühlen und das Getränk nicht verwässern. Der Gin ist von Sipsmith und kommt, wie es sich bei einem G&T gehört, aus dem Tiefkühler. Das Tonic schüttet er aus der kleinen, traditionellen 19cl-Flasche dazu. Das Verältnis stimmt. Drei Teile Tonic, ein Teil Gin. Dann natürlich noch ein Schnitz frisch geschnittene Limette; ja, unbedingt Limette und keine Zitrone, denn die ist etwas zu süss. Mit einem weiteren Limettenschnitz reibt der Barkeeper, der übrigens blond gefärbte Haare hat, ein schwarzes Metallica-T-Shirt trägt und wohl knapp über 20 ist, den Glasrand ein. So verspürt man beim Trinken zu allererst einen leicht limettigen Geschmack. Dann noch kurz umgerührt und fertig ist der Gin and Tonic.
Ich habe mittlerweile zwar einen Song der Cinnamons verpasst. Doch das war es wert. Der perfekte Gin and Tonic in einem Rockklub an den Bahngleisen von Shibuya. Wer hätte das gedacht
Unten im Konzertsaal spielen die Cinnamons. Ich stehe da und höre zu. Ich weiss gar nicht, woran ich mich mehr efreuen soll, an der japanischen Indie-Musik, die so was von gute Laune macht oder an meinem perfekten Gin and Tonic. Perfekt, perfekter Japan.
Sushi oder genauer gesagt Nigiri Sushi essen ist einfach. Das kleine Päckchen mit Fisch und Reis mit den Stäbchen greifen, kräftig in Soja-Sauce gemischt mit Wasabi tunken, abbeissen und dann einen Haufen Ingwer hinterher. Haaaaaaaaaaaalt! So geht das auf keinen Fall. So werdet ihr in Tokio bestimmt aus dem Restaurant geworfen – na gut, das vielleicht nicht, weil die Japaner viel zu höflich sind – aber auf jeden Fall werdet ihr dort nicht viele Punkte sammeln.
Hier ein paar nützliche Grundregeln:
Das Sushi nie von oben mit den Stäbchen greifen, sondern immer von der Seite. So zerfällt der Reis nicht. Entgegen der landläufigen Meinung ist guter Sushireis nicht extrem klebrig und kalt, sondern eher locker und noch leicht warm. Deshalb zerfällt das Sushi auch gerne mal, wenn man es von oben packt. Es gibt übrigens auch eine Sushi-Schule, die untersagt, überhaupt Stäbchen zu verwenden. Deshalb ist es auch im besten Sushi-Restaurant mehr als nur OK das Sushi mit den Händen zu essen. Keine Angst, ich lege euch damit nicht rein, damit ihr euch das nächste Mal bei Nobu lächerlich macht. Indianerehrenwort.
Sushi nie in Soja-Sauce tunken. OK, mit billigem Sushi vom Take Away könnt ihr das gerne mal machen, aber bitte nicht mit Qualitäts-Sushi. Warum wollt ihr wissen? Der Reis ist wichtiger Bestandteil des Sushi. Taucht man ihn in Soja saugt er sich voll und man schmeckt ihn nicht mehr richtig. Zudem wird der Geschmack des Fischs übertüncht. Falls der Sushi-Chef vergisst, etwas Soja über den Fisch zu streichen und du starkes Verlangen nach Soja hast, dann nimm den Shoga (das ist der eingelegte Ingwer), tauche ihn in Soja und streiche ihn sanft über den Fisch. Das reicht. Hat da jemand Wasabi gesagt? Ja genau, dafür gilt die gleiche Regel.
Nicht vom Sushi abbeissen, schon gar nicht, wenn noch ein Topping drauf ist. Sushi ist so zubereitet, dass es genau in den Mund passt. Alle Zutaten sind exakt aufeinander abgestimmt.
Keine Berge des Shoga bzw. Gari (Ingwer) essen. Shoga ist dazu da, den Gaumen zu reinigen, um den Geschmack des nächsten Stücks würdigen zu können, Dazu reicht ein ganz kleines Stück. Wer zu viel Ingwer isst, der schmeckt danach gar nichts mehr. Als Gaumenreiniger ist auch der Grüntee gedacht. Warm wirkt er am besten.
Wenn Du das Sushi in den Mund nimmst, liegt der Fisch unten, damit er direkt mit der Zunge in Berührung kommt. Nur so kommt der Geschmack richtig zur Geltung.
Als Bauernregel gilt: Erst den weissen Fisch essen, dann den Thunfisch, dann Lachs, dann das Ding mit dem Ei drauf sozusagen als Nachtisch und am Schluss noch eine kleine Rolle. So signalisiert man dem Sushi-Chef, dass man fertig bestellt hat.
Ach ja, noch ein paar Kleinigkeiten. Die Miso-Suppe trinkt man direkt aus der Schale, die Stäbchen reibt man nicht aneinander, da das als Affront für das Restaurant gilt (billige Stäbchen), der Wasabi wird nicht mit Soja verrührt auch nicht bei Billig-Sushi und Ketchup gehört auch nicht auf den Fisch (Hinweis: Letzteres war nur ein Scherz).
P.S. Sushi ist übrigens immer Fisch mit Reis drunter. Ist es nur roher Fisch, dann heisst das Sashimi und wenn es gerollt ist mit dem Algenblatt nach aussen, dann heisst es Maki, wenn der Reis aussen ist, dann ist es Uramaki.
Itadakimasu (das heisst guten Appetit und das sagt man mit einer kleinen Verbeugung zu sich selbst und nicht den anderen)
Es ist 9 Uhr morgens in der U-Bahn in Tokio. Ich stehe auf dem Gleis und steche aus der Menge hervor. Das liegt nicht nur daran, dass ich der einzige Gaijin bin, sondern auch daran, dass ich keine chirurgische Maske trage. Was wir in Europa nur von Michael Jackson oder dem einen oder anderen asiatischen Touristen kennen, ist hier ganz normal. Ja klar, auch in anderen asiatischen Städten trägt der eine oder andere eine Gesichtsmaske. Doch in Tokio ist es wohl fast jeder Zweite. Ein schräger Anblick.
Die Gründe dafür sind nicht ganz die, die ihr euch vielleicht vorstellt. Wie so vieles in Japan rührt der Ursprung des Maskentragens von den vielen Verhaltensregeln, die uns völlig fremd sind. Als Höflichkeit gegenüber seinen Mitarbeitern ist es in Japan seit Jahrzehnten üblich, dass der kranke Mitarbeiter, der eine Grippe wegen seines dicht gedrängten Terminkalenders einfach nicht zu Hause auskurieren kann, eine Gesichtsmaske trägt. So soll verhindert werden, dass sich die anderen anstecken. Kein Schutz für sich selber also, sondern ein Schutz der anderen.
In den letzten Jahren hat sich das geändert. Eine Maske zu tragen ist in Tokio total normal und hat das Stigma eines Kranken verloren. Einige tragen die Maske, da man so auf das Make-Up verzichten kann. Bei Hautproblemen wird der Fokus so auf die Augen gerichtet. Einige tragen eine Maske, weil sie sich so besser konzentrieren können und andere, weil sie im Winter so schön wärmt.
Dann gibt mittlerweile natürlich auch den Selbstschutz. Schweine- und Vogelgrippe haben bestimmt auch das ihrige dazu beigetragen, dass die Japaner heute ein Volk der Maskenträger sind. Die neueren Masken halten Pollen fern und helfen bei Asthma. Einige Japaner tragen die Maske 24 Stunden lang, da sie Atembeschwerden auch im Bett lindern soll. In vielen Schulen werden die Kinder dazu angehalten, mit Gesichtsschutz zur Schule zu kommen. Vorschrift ist es allerdings noch nicht.
Mittlerweile gilt die Maske gerade bei Teenagern als Mode-Accessoire. Es gibt Masken mit Tiergesichtern und Mustern und dann – das ist kein Scherz – gibt es Gesichtssutz mit Geschmack – also genauer gesagt Masken, die nach etwas Schönem riechen. Zuckerwatte ist besonders populär.
Ich bin gespannt, wie lange es gehen wird, bis die Maske Europa erreicht. Ich hoffe, dass es noch lange dauert, bis nicht nur der Velokurier mit dem Ding herumfährt. Wir kapseln uns Tag für Tag schon genug ab, sei das mit unserem Smart Phone, Kopfhörern oder dem Tablet. Ich sage nein zur Maske.