Die besten Supermärkte und Food Halls
- Isetan (Shinjuku, Tokio)
- Whole Foods (Los Angeles, Hollywood)
- Harris Farm Markets (Sydney)
- Eataly (Rom)
- La Grande Epicerie (Paris)
Die besten Supermärkte und Food Halls
Der letzte Eintrag aus Berlin. Der Moment, die Stadt zu bewerten ist gekommen.
Ein Monat ist nicht viel Zeit, doch genug, um einen Eindruck zu gewinnen, wie eine Stadt tickt. Deshalb haben wir ein Städterating erarbeitet, das sich von den gängigen Modellen der Mercers dieser Welt unterscheidet. Wir achten weniger auf das Bildungssystem, das politische Umfeld und das Gesundheitssystem, sondern mehr auf Faktoren, die eine Stadt einzigartig machen. Das Rating in neun Kategorien geht von 1 (schlecht) bis 10 (grandios) und spiegelt unser rein subjektives Empfinden:
Die Leute: 6
Der Berliner und seine Berliner Schnauze können manchmal etwas ruppig sein. Doch insgesamt habe ich mich hier schon recht zu Hause gefühlt und es ist schön, hier die eigene Sprache benutzen zu können. Hat Spass gemacht, mit den Berlinern zu “schnauzen”.
Kulturelles Angebot: 10
Hier ist immer was los. Ein Dutzend Weltklassetheater, eine vibrierende Musikszene, internationale Stars en Masse, Underground Kunst und Performances in alten Fabrikgebäuden, besetzten Häusern aber auch in Luxustempeln – jeder kommt hier auf seine Kosten.
Food: 8
Hier gibt es alles und zwar auf Top-Niveau. Dazu kommen deutsche und türkische Spezialitäten à discretion…und zwar nicht nur Kebap und Currywurst. In Berlin gibt es kulinarisch an jeder Ecke was zu entdecken. Überall neue Konzepte. Dass die Note nicht noch höher ist, liegt daran, dass andere Städte wie zum Beispiel Los Angeles noch einen Schritt schneller sind.
Preisniveau: 8
Es ist unglaublich, wie preiswert Berlin ist. Die Hauptstadt eines der reichsten Länder der Wet und so günstig wie manch eine Großstadt in einem Entwicklungsland. Das macht den grossen Unterschied zu Städten wie New York oder Paris aus. Weltklasse auch bei den Preisen.
Öffentlicher Verkehr: 8
Zwar ist alles nicht mehr ganz neu aber das macht gar nichts. Die U-Bahn und die Busse funktionieren klasse, der Verkehr insgesamt hält sich in Grenzen und pünktlich ist sowieso alles. Ein leicht besseres Fahrradsytem wäre wünschenswert.
Wetter/Klima: 5
Wir hatten etwas Pech mit dem Wetter. Richtiger Sommer war das nicht. Doch damit muss man in Berlin rechnen. Der Winter kann kühl werden und der Sommer ist unberechenbar. Doch in einer Stadt wie Berlin ist das nicht so wichtig.
Sicherheit: 8
Wir wohnten im berüchtigten Kreuzberg und fühlten uns immer sicher. Es braucht ein paar Tage, bis man sich an das Wirrwarr der Charakteren gewöhnt. Doch sicher ist man hier auf jeden Fall.
Fun/Feel Good Factor: 8
Berlin ist eine dieser Städte, wo man einfach loslaufen und ne gute Zeit haben kann. Das macht Spass.
Coolness/Kreativität: 10
Hier haben die Coolen und Kreativen Europas ein neues zu Hause gefunden. In Berlin ist noch alles möglich und das spürt man. Inspiration und Faszination an jeder Ecke; man muss nur etwas die Augen öffnen und an den unendlichen Spätkaufs und Kebapbuden vorbeischauen.
Gesamtergebnis: 71 Punkte – DER SPITZENPLATZ
Damit werden Los Angeles und Tokio auf den zweiten Platz verwiesen.
Ein halbe Stunde nördlich von Berlin liegt die Kleinstadt Oranienburg. Vom Bahnhof aus laufe ich zwanzig Minuten durch typisch deutsche Siedlungen und Einfamilienhäuser. Hier scheint die kleinbürgerliche Welt noch in Ordnung zu sein.Die Hecken sind fein säuberlich geschnitten, die Vorhänge gut zugezogen und die Autos fisch gewaschen. Dann eine grosse Betonmauer. “Gedenkstätte Sachsenhausen” steht da drauf.
Hier war das Konzentrationslager Sachsenhausen. Das Kontentrationslager aller Konzentrationslager. Hier befand sich die Schaltzentrale, die über alle Konzentrationslager des Deutschen Reichs bestimmte und sich all die unvorstellbaren Grausamkeiten und Gräueltaten ausdachte, die in Auschwitz, Buechenwald, Dachau und den anderen Lagern ausgeführt wurden. Insgesamt wurden im Holocaust über 5 Millionen jüdische Menschen ermordet.
Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie ich mich hier fühle, als ich durch das Eingangstor mit der Aufschrift “ARBEIT MACHT FREI” gehe. Es ist surreal und doch so wirklich. 200’000 Gefangene waren in Sachsenhausen. Viele haben das nicht überlebt und wer hier lebend rausgekommen ist, der hat das sein Leben lang nicht vergessen.
Das Häftlingslager wurde in Form eines gleichschenkligen Dreiecks angelegt. Alle Gebäude waren symmetrisch um die Mittelachse gruppiert und auf den Turm A, den Sitz der SS-Lagerleitung ausgerichtet. “Geometrie des Terrors” nannte man diese Anordnung. Grausam.
1939 wurde das erste lagereigene Krematorium errichtet. 1942 folgte mit vier Verbrennungsöfen, Leichenhalle, Genickschussanlage und ab 1943 auch mit einer als Bad getarnten Gaskammer.
Die SS hielt den Terror bis Kriegsende aufrecht. Mehr als 30 000 Häftlinge wurden am 21. April 1945 auf Todesmärsche Richtung Nordwesten getrieben.
Wie schlimm es wirklich war kann man heute nur noch erahnen. Doch so richtig vorstellen kann ich es mir nicht. Zu sauber ist es hier mittlerweile. Ein wenig Licht ins Dunkel bringt ein Zitat des evangelischen Pfarrers Martin Niemöller, der als persönlicher Gefangener des Führers in Sachsenhausen festgehalten wurde. Auf die Frage, ob es denn wirklich so schlimm war antwortete er: “Nein, es war noch tausend mal schlimmer.”
Ich weiss, dass es nicht unbedingt der ideale Wochenendausflug ist, mal so zur Erholung ins KZ zu gehen. Doch ab und zu sollte man auch mal was machen, das unangenehm ist und einen noch Tage und Wochen danach beschäftigt. Denn bei allem Guten im Menschen ist es wichtig, immer daran zu denken, dass es auch anders sein kann und dass jeder einzelne von uns das seine dazu beitragen sollte, dass sowas nicht wieder passiert.
Ich war wohl etwa 11 Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit dem deutschen Künstlers Joseph Beuys in Kontakt kam. Ich glaube, es war eine Ausstellung in Düsseldorf und die Geschichte, die am Familientisch erzählt wurde, war die einer mit Fett und Dreck gefüllten Badewanne, die Beuys im Museum aufgestellt hatte und die dann über Nacht vorn einer übereifrigen Putzfrau blitzblank geputzt wurde. Was für ein Scharlatan, dachte ich damals. Kunst ist das sicherlich nicht. Ich habe keine Ahnung, ob die Geschichte mit der Badewanne stimmt, doch so ist sie mir in Erinnerung und so passt sie auch hervorragend zu Joseph Beuys.
Meine frühe Meinung zu Beuys deckt sich mit seiner Eigenen. Der Mann mit dem Hut hatte sich nie als Künstler verstanden. “Erst wenn wir uns alle Künstler nennen, dann bin ich auch ein Künstler” hatte er immer gesagt. Auch mir ging es immer so, dass ich nicht recht wusste, was ich von den grossen Filz- und Fettskulpturen halten sollte, die ich schon so oft im Museum gesehen hatte. War Beuys ein Scharlatan, der seine Person und seine Visionen geschickt verkaufen konnte oder war er ein Genie?
Hier in Berlin im Hamburger Bahnhof gibt es eine der grössten Beuys-Sammlungen zu sehen. Dazu läuft derzeit gerade der Dokumentarfilm Beuys in den Kinos, der einem den Meister näher bringt. Unsere Museumsführerin im Hamburger Bahnhof brachte ein wenig Licht ins Dunkel der Kunst von Joseph Beuys. Die “Richtkräfte einer neuen Gesellschaft” genannten Wandtafeln, die scheinbar wahllos in einem Raum verstreut waren, finde ich seither umwerfend gelungen.
1974 beschriftete Joseph Beuys 100 britische Schultafeln aus den 60er-Jahren mit seinen gesellschaftlichen Theorien für die Ausstellung „Art into Society – Society into Art“ in der Kunsthalle ICA in London. Über die Galerie René Block in New York zog das Kunst-Objekt zur Biennale in Venedig, anschließend nach Berlin in die Neue Nationalgalerie, dann in den Hamburger Bahnhof.
100 Tafeln, bei denen auf einer an den Enden einer Linie die Worte „east“ und „west“ geschrieben waren und in der Mitte über einer Trennlinie die Worte „Eurasia“ und „Berlin wall“ – die Mauer als Linie der Trennung zweier unterschiedlicher Denksphären, die Beuys als „westlichen Privatkapitalismus“ und „östlichen Staatskapitalismus“ bezeichnete. “Show you wound” steht immer wieder auf den Tafeln. Zeige Deine Schwächen”, getrau dich, denn die Schwäche kann deine Stärke sein. Beuys kann man durchaus als Erfinder der Aktionskunst und der multimedialen Kunst sehen.
Beuys war seiner Zeit sowas von voraus. Er hat schon vor 30 Jahren die richtigen Fragen gestellt, weil er in den politischen Raum hineingedacht hat und den Fragen nicht nachgelaufen war. Beuys war “Der Mann am Haupthebel”, der immer Ideen hatte und diese dann auch Konsequent umsetzte und dabei stand er immer auch selbst am Hebel.
“Das erste Produkt menschlicher Kreativität ist der Gedanke” sagt Beuys im Dokumentarfilm “Beuys”. Gedanken = Plastik = Freiheit. Gedanken können die Welt verändern. Das hört sich idealistisch an; stimmt aber.
Beuys stand auch politisch oft direkt am Hebel. Er war Mitgründer der Grünen Partei, warnte vor der eigenständigen Vermehrung des Geldes die Finanzkrise lässt grüssen), sorgte sich um die Umwelt und das Wohl der Allgemeinheit und durchbrach immer wieder Grenzen. Ein kleines Beispiel seiner Sturheit:
Nachdem Kunstprofessor Beuys im Juli 1971 insgesamt 142 von der Akademie abgelehnte Studenten in seine Klasse aufgenommen und das Sekretariat der Kunstakademie besetzt hatte, entließ ihn der damalige Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD). Studenten reagierten mit Hungerstreik und Vorlesungsboykott, Künstler und Schriftsteller wie Heinrich Böll, Martin Walser, David Hockney, Gerhard Richter und Günther Uecker machten sich für seine Wiedereinsetzung stark.
Also, ich habe mich entschieden. Der Mann mit dem Hut ist sicher kein Scharlatan, sondern einer der wichtigsten Deutschen seiner Generation. Jeder, der über Beuys lacht oder verständnislos vor seinen skulpturartigen Werken steht, sollte ihm noch eine Chance geben. Deutschland ist ärmer ohne Beuys. Verstorben ist er 1986 – drei Jahre vor dem Mauerfall. Doch in seiner Kunst (auch wenn er sie selber nicht so nennt) lebt er weiter.
Der Trailer zum Film Beuys:
Eine Fussgängerzone, eine Rockband, die auf einem von Betonwänden umzingelten Platz spielt, Kids, die rumsitzen und am Rande der Siedlung ein grosses, funkelndes Shopping Center. Ich bin in Berlin Marzahn–Hellersdorf – dem Stadtteil im Osten Berlins mit der grössten Plattenbausiedlung der Welt.
Es ist überraschend grün hier in Marzahn. Grosse Wiesen, Wälder rundherum und gar nicht so das düstere Bild, das man von einer Plattenbausiedlung in der Regel hat. Plattenbauten sind für mich der typische Baustil einer Grossstadtsiedlung in der ehemaligen DDR. Doch entstanden ist der Plattenbau weit davor.
Die Abkehr vom Historismus und seinen verspielten Formen und der Verzicht auf Dekoration und die Verwendung einheitlicher Materialien förderte ein uniformes Erscheinungsbild der Gebäude. Einheit und Gleichheit. Das war die Idee des Plattenbaus.
Die ersten Plattenbauten gab es in New York, genauer gesagt in Forrest Hills im Stadtteil Queens. Das war 1910. In Deutschland hielt der Plattenbau 1925 in der Frankfurter Siedlung und ein Jahr später in Berlin-Lichterberg Einzug. Auch Le Corbusier hatte seine Finger im Spiel. Der Verzicht auf Dekoration, fabrikgefertigte Einzelbauteile, die sogenannten Platten, machten den Bau schnell und für die damalige Zeit auch modern.
Viele der ersten Siedlungen sind architektonisch durchaus wertvoll und erinnern an das Prinzip der Funktionalität, das von der Bauhausbewegung gepredigt wurde. Dieses Prinzip nahm sich die Deutsche Demokratische Republik zum Vorbild, trieb es aber einen Schritt zu weit.
Mit dem staatlichen Wohnungsbauprogramm von 1972, das die Beseitigung des Wohnraummangels bis 1990 zum Ziel hatte, wurde der Plattenbau zum wichtigsten Neubautyp erhoben. Neue Stadtteile oder ganze Städte mit bis zu 100.000 Einwohnern, wie Halle-Neustadt, wurden meist gänzlich in Plattenbauweise errichtet. Im Rahmen des Wohnungsbauprogramms wurden insgesamt etwa drei Millionen Wohnungen neu gebaut oder saniert. In der DDR wurden die Bauten übrigens nicht Plattenbau, sondern ganz einfach Neubau genannt.
Während das Plattenbauprinzip im Osten Deutschlands, zumindest was den sozialen Frieden angeht, sehr gut funktioniert, werden die Siedlungen in Westdeutschland schnell zu sozialen Brennpunkten. Die Bewohnerstruktur der Siedlungen zeichnet sich teilweise durch höhere Arbeitslosigkeit sowie verstärkte Migrantenanteile aus. Diese Unterprivilegierung führt meist zu einer überdurchschnittlich hohen Kriminalitätsrate.
In den letzten Jahren werden in Deutschland und Berlin immer mehr Plattenbauten abgerissen und sollen neuen zeitgerechten Bauten weichen. Einige Plattenbauten werden jedoch auch saniert, wie hier in Marzahn. Die Gebäude sind neu verpackt, modernisiert und aufgepeppelt. Es schient gut zu funktionieren. Leere Wohnungen sind hier nicht auszumachen. Zwar steigt die Jugendkriminalität, besonders unter den 8 bis 14-jährigen in Marhzahn-Hellersdorf leicht an, hält sich aber insgesamt noch im Rahmen.
Nochmals zur Ausgangsfrage. Waren Plattenbauten ein architektonisches Verbrechen oder eine geniale Vision der Zukunft? Ich lege mich da mal nicht ganz fest. Optisch finde ich diese riesigen Bauten schon ein Dorn im Auge und somit sind sie visuell sicher mehr Verbrechen als Vision. Doch in der Nachkriegszeit und angesichts der akuten Wohnungsnot gab es wohl keine bessere Lösung.
Noch ein kurzer Seitenblick. Rund um den Alexanderplatz in der Mitte von Berlin gibt es unzählige Plattenbauten. Einige davon sind mittlerweile extrem beliebt. Hipster, Journalisten, Künstler, Harz-4-Empfänger und ein paar Alteingesessene wohnen hier Schulter an Schulter. Die geniale Aussicht, die zentrale Lager und die erschwinglichen Mieten sind kaum zu schlagen. Die Platte und ihre strenge Ästhetik wurde zumindest hier rehabilitiert.
Auf kaum einen Stadtteil in Europa schaut man mit so viel Begeisterung und gleichzeitig Entsetzen wie auf Kreuzberg.
Alles begann 1959 in der Oranienstrasse mit der Galerie „Zinke“, die der Schriftsteller und Maler Robert Wolfgang Schnell, der Lyriker und Holzschneider Günter Bruno Fuchs, der Maler Sigurd Kuschnerus und der Bildhauer Günter Anlauf 1959 gründeten.
Wenn in der „Zinke“ Robert Wolfgang Schnell Dada-Pamphlete vortrug oder der Blechtrommler Günter Grass las – vor Publikum, das aus der ganzen Stadt anrückte, konnte es vorkommen, dass sich übel gesonnene Hausbewohner gegen den Lärm wehrten, in dem sie ihre Plattenspieler laut aufdrehten und der „Babysitter Blues“ durch den Hinterhof dröhnte.
Der „Kreuzberger Montmatre“ war die Begriffsprägung dieser Zeit, die auch international reüssierte und sowas wie den ersten Kreuzberg-Mythos darstellt: das Boheme-Viertel im Kleine-Leute Bezirk, nicht so schick wie sein Pariser Pendant, sondern gekennzeichnet vom Mief und Dunkel der Hinterhäuser und dem Gestank von abgestandenem Bier und kaltem Zigarettenrauch.
Die alten Berliner, häufig selbst einmal aus Schlesien oder Pommern zugezogen oder als Flüchtlinge nach dem Krieg in den Kiez gekommen, zehren von den überkommenen und inzwischen brüchig-gewordenen Strukturen der Stadtteil-Vergangenheit.
Die seit 1964 nach Berlin geholten so genannten „Gastarbeiter“ – mehrheitlich aus der Türkei – holten ihre Familien nach und fanden in den billigen Altbauquartieren Kreubergs Wohnungen auf Zeit. Sie versuchten, in Kreuzberg ihre alte Heimat wieder aufzubauen.
Und dann – im Gefolge von 1968 – kommen jungen Leute nach Kreuzberg, ausgerissen aus der Enge westdeutscher Kleinstädte, angezogen vom revolutionären Gedanken und vom neuen antiautoritären Lebensgefühl in der Mauerstadt: Studenten, Bundeswehrflüchtlinge, Abenteurer, Musiker, Künstler. Anders zu sein als die Eltern, das Neue zu wagen, nie Gekanntes auszuprobieren, gesellschaftliche Zukunftskonzepte ausmalen und sofort und jetzt zu leben.
Das “andere Leben” hier verspricht Selbstverwirklichung. Galerien, Kneipen, Off-Theater – der Kreuzberg-Kosmos. In den 80er Jahren kippt das Image: Kreuzberg steht nun für Randale und Strassenschlachten zum “1. Mai”, für Gewalt und Gegengewalt.
In Kreuzberg treffen Gegensätze aufeinander. Die ehemaligen Gastarbeiter, die mittlerweile in der zweiten und dritten Generation hier sind, die alten Berliner, die hier zu Hause sind und nie wegziehen würden, die Künstler, Hänger, Revoluzzer und Randexistenzen und dann natürlich mittlerweile die Hipster und Kreativen aus ganz Europa, die dem Ganzen eine neue Würze geben.
Ein Melting Pot ist dies dennoch nicht unbedingt. Hier wird eher nebeneinander als miteinander gelebt. Doch das wichtigste: Man lässt sich gegenseitig in Ruhe und lässt Freiräume offen. Toleranz an jeder Ecke. Ich hab hier noch keine Streitereien über die kulturellen Grenzen hinaus gesehen. Kreuzberg lebt, und wie!
Wir wohnen mitten in Kreuzberg und zwar Kreuzberg 36, dem wohl verrufensten und gleichzeitig angesagtesten Kiez in ganz Deutschland. Hier gibt es die kreativsten Restaurants und coolsten Läden der Stadt, gleichzeitig aber auch Bewohner, die sich nichts gefallen lassen und für ihr Recht kämpfen.
Randgruppen aller Art sind hier zu Hause. Demonstriert wird gegen Alles und Jedes und das mit vollem Einsatz. Als hier in der Nähe vor rund einer Woche der Kiezladen Friedel 54 von 500 Polizisten gestürmt wurde, war aber auch für die bis zuletzt ausharrenden Ladenbsitzer (oder waren es Besetzer?) nicht mehr viel auszurichten. Die Räumung war gesetzlich beschlossen und das war (zumindest vorerst) das Ende des Kiezladens.
Wie der Mix aus Interessen, Rassen und Meinungen in Kreuzberg entstanden ist, darauf gehe ich ein anderes Mal ein. Doch auf jeden Fall ist Kreuzberg ein einmaliges Quartier. Hipster und Hippies, Türken und Deutsche, Linke und Konservative, LGBT und Macker – alle leben hier Tür an Tür.
Leben und leben lassen ist das Motto in Kreuzberg. Das ist erfrischend und das habe ich in diesem Ausmass noch nirgends so gesehen. Den schlechten Ruf der ewig angetrunkenen Randalemacher hat Kreuzberg nicht verdient, auch wenn hier und da mal etwas über die Stränge geschlagen wird.
30 Jahre ist es her, seit die Randale am 1. Mai ausser Kontrolle geraten war. Damals hatten sich am Lausitzer Platz linke Autonome spontan versammelt und es kam zu blutigen Strassenschlachten gegen die Polizei – eine der härtesten in der Geschichte Deutschlands. 36 geplünderte Geschäfte, 35 Brände, Hunderte Verletzte.
Seither ist es verhältnismässig ruhig geworden am 1. Mai. Dazu hat auch das friedliche “Mayfest as Myfest”, organisiert von Friedensstiftern aus dem Kiez, von Geschäftsleuten und Bürgerinitiativen, beigetragen.
Ehrlich gesagt bin ich dennoch froh, dass wir am 1. Mai nicht hier waren, auch wenn das alles dies Mal äusserst friedlich verlaufen sein soll. Man soll das Schicksal ja auch nicht herausfordern.
“Wenn Du nicht gleich los fährst, dann hau ich dir eine in die Fresse!” Keine zwei Sekunden war es grün an der Ampel – keine zwei Sekunden und schon drängelt sich der Fahrradfahrer hinter mir an mir vorbei, touchiert mich dabei und schreit mich an wie ein Bekloppter.
Kein Einzelfall in Berlin. Von den Einheimischen wird das immer verniedlichend mit der Berliner Schnauze gerechtfertigt. Man sei hier eben direkt und “no bullshit” und so. Daran müsse man sich gewöhnen. Naja, “dann hau ich dir einn in die Fresse” find ich gar nicht so niedlich und Charme hat das überhaupt keinen.
Anderer Tag, andere Situation. Ich bin im Kaufhaus des Westens, dem Luxus-Shoppingtempel Berlins am Kuhdamm schlechthin. In der wunderschönen Lebensmittelabteilung will ich mir was zu trinken kaufen. Gleich neben der Flasche Mezzo Mix, die ich mir schnappen will, steht ein Angestellter, der gerade das Regal auffüllt. Er rollt erstmal mit den Augen, als ich versuche, mir die Flasche zu nehmen und brummt sich etwas äusserst unfreundliches in den Bart. Wie konnte ich nur wagen, ihn beim Einräumen des Regals zu stören? So eine Unverfrorenheit von mir. Ich bin ja hier nur der Kunde und er arbeitet nicht bei Aldi, sondern im Vorzeigetempel Berlins, dem Kaufhaus des Westens. Am liebsten hätte er mir wohl auch eine in die Fresse gehauen.
Und weil alle guten Dinge drei sind, hier noch ein Beispiel der ach so entzückenden Berliner Schnauze. Ort des Geschehens: Der Supermarkt. Problem: Ich frage, wo denn die Cola steht. “Dahinten” sagt der Verkäufer total genervt. Na das ist ja eine genaue Angabe. Ich nehme doch an, dass es dahinten ist, wenn ich an der Kasse frage, und es sozusagen nur dahinten gibt. Ich gehe nach rechts und werde sofort gestoppt. “Na wie doof biste eigentlich. Nicht rechts, sondern links du Arsch.” Na klar. Berliner Schnauze. Das ist alles nicht so gemeint, sondern gehört zum Charakter.
In allen zehn bisherigen Städten von 12 in 12 zusammen habe ich nicht so aggressive Reaktionen erlebt. Auch nicht in den notorisch als unfreundlich bekannten Städten wie New York und Paris. Was ist denn bloss los, ihr Berliner?
Ja, OK. Jetzt hab ich mir meinen Frust von der Seele geschrieben und muss der Gerechtigkeit halber auch noch sagen, dass die Leute hier auch sehr nett sein können. Die grosse Mehrheit ist total freundlich und nimmt sich im Zeit für dich. Doch einige haben es nicht verstanden, dass wir hier alle zusammen leben und Aggression nicht der Weg ist, durch den Tag zu gehen und die Berliner Schnauze keine Entschuldigung für ungehobeltes Benehmen ist.
Berlin ist so multikulturell wie keine andere deutsche Stadt. Türken, Kurden und Syrer wohnen hier in Kreuzberg Schulter an Schulter. Im Moment laufen in Berlin im Kino zwei Filme, die das Leben in diesen Ländern in einer Form zeigen, wie ich sie noch nicht gesehen habe. Bei beiden Werken bin ich bis zum Ende des Abspanns sitzen geblieben, was ich sonst nie mache. Ich möchte Euch diese Filme gerne ans Herz legen.
Insyriated
Philippe Van Leeuws “Insyriated spielt in Damaskus. Schauplatz ist die Wohnung der Familie Yazan. Nur zweimal wagt sich die Kamera in den Hausflur. Sonst bleibt sie in der Wohnung, deren Vorhänge fast immer ganz geschlossen sind.
Hier leben Oum Yazan, ihr Vater, ihr kleiner Sohn und die beiden Töchter im Teenageralter, der Freund der einen ist zu Besuch, das Hausmädchen kann wegen der Bomben nicht nachhause. Ein junges Paar mit Baby, das über ihnen gewohnt hat, ist nach Bombeneinschlägen auch noch eingezogen. Ansonsten ist das Haus leer. Ringsum fallen die Bomben.
Der Alltag ist schwer in der Wohnung. Todesangst ist allgegenwärtig Gewalt lauert um jede Ecke. Da zuzusehen ist ein beklemmendes Gefühl. Man wähnt sich selber in der Wohnung und stellt sich vor, wie man das alles verarbeiten würde. Das Ende der Welt in einer Wohnung in Damaskus. Dass man so nicht leben kann, ist wohl allen klar, die Insyriated gesehen haben.
Dil Leyla – Ein Dokumentarfilm
Leyla ist Kurdin, hat ihre Heimat als Kleinkind verlassen und ist in Deutschland aufgewachsen. Mit 26 trifft Leyla Imret den Entscheid in ihre Heimat Cizre, eine Kurdenhochburg an der türkischen Grenze zu Irak und Syrien zurückzukehren. Sie zieht für die kurdenfreundliche, linksgerichtete HDP ins kommunale Parlament ein und wird zur jüngsten Bürgermeisterin des Landes gewählt. Voller Hoffnung geht sie ans Werk und lässt Bäume pflanzen und Märkte renovieren. Sie will ihrem Volk, das sich immer nur im Krieg befand, eine bessere Zukunft geben. Bewundernswert. Doch wie das Leben eben so spielt kommt alles anders. Eine wahre, eindrückliche Geschichte.
Die kanadische Band Silver Pools spielt heute Nachmittag im XB in Friedrichshain. Das will ich nicht verpassen. Nirgends steht genau, wann die Sause anfängt und wer der Veranstalter ist. Doch ich glaube, dass es so um 4 Uhr an der Liebigstrasse 34 losgehen wird. Ich schwinge mich aufs Rad und fahre von Kreuzberg über das Warschauer Tor und den Frankfurter Platz zum XB an die Liebigstrasse 34.
Liebigstraße 34. Da ist sie. Das Haus ist anders, als die anderen. Nicht düster und grau, sondern farbenfroh angemalt. Das Xbeliebig sieht aus wie das typische besetzte Haus in Berlin und ist im Prinzip auch eines. Ein grosses Plakat, das zu einer Vordemonstration vor dem G20-Gipfel einlädt, hängt aus dem einen Fenster. Parolen, die gegen eine Schliessung des Xbeliebig ankämpfen und auf der Fassade eine grosse Faust – keine, die schlägt, sondern kämpft für Toleranz und Freiraum. “Wir sind nicht käuflich ” ist in grossen Lettern darunter gemalt.
Na gut, das ist ja auch OK so. Von Äusserlichkeiten lasse ich mich sicher nicht abschrecken. Rein gehen tu ich natürlich trotzdem. Insgesamt macht das Ganze ja auch keinen unfreundlichen Eindruck, auch wenn es im Hof mächtig dunkel ist und ich nicht genau weiss, wo ich lang muss. Aus dem Eingang kommt mir eine der Bewohnerinnen entgegen. Kahl geschoren und mit einem Punk-T-Shirt. “Hallo, wo spielt denn die Musik?” frage ich. “Gleich um die Ecke” sagt sie. Ich gehe um die Ecke und lande in der Bar, an deren Ende eine kleine Bühne aufgebaut ist. “Wer hier diskriminierend behandelt wird, der meldet sich and er Bar. Wir sind für dich da” steht hinter dem Tresen. Die Bar ist noch leer. Ich setzte mich auf ein Sofa und warte. Eine halbe Stunde später. Von Silver Pools ist noch nichts zu sehen, doch auf der kleinen Bühne stehen zwei Transgender Musiker, die wunderschöne sphärische Elektronik spielen und dazu singen.
Mittlerweile habe ich herausgefunden, wo ich mich hier genau befinde. Das Liebig 34 in Berlin-Friedrichshain ist eines der letzten noch existierenden autonomen, separatistischen Frauen, Lesben und Transgender Kollektive in Europa. Das Haus wurde 1991 besetzt und später legalisiert, was jedoch nichts am Selbstverständnis geändert hat, sich als festen Bestandteil des autonom-radikalen Spektrums zu sehen und einzubringen.
Im X-Beliebig kann man auch wohnen – vorausgesetzt man ist eine Frau versteht sich. Das schreibt das Liebig 34 auf ihrer Website über seine Ansprüche:
Das Liebig 34 ist ein Ort, wo wir uns gegenseitig unterstützen und uns offensiv und vielfältig zur wehr setzen im Kampf gegen die allgegenwärtigen Entfremdungs- und Normierungsprozesse der kapitalistischen Gesellschaft. Feminist_in zu sein, bedeutet für uns nicht nur die Unterdrückung von Frauen sondern von allen Menschen, die unter dem heteronormativen Normalzustand dieses Systems zu leiden haben, ernst zu nehmen. Wir verstehen uns als Schutzraum im Kampf gegen Hierarchien, Vorurteile und Unterdrückung.
Die erste Band hat ihr Konzert in der Zwischenzeit beendet und Silver Pools ist dann doch da. Alle hören andächtig zu und keiner schaut mich hier schräg an, obwohl ich nicht so angezogen bin, wie die Meisten hier drin. Ich fühle mich zu keiner Zeit unwohl und durchaus willkommen. Es ist friedlich hier.
Besetzte Häuser und Freiräume. Berlin ist eine der wenigen Grossstädte Westeuropas, die sowas noch bietet. Anders sein ist hier absolut OK und das finde ich schön. Leben und leben lassen ist meine Devise. Solange man die Ansprüche, die man an Andere stellt auch an sich stellt, ist das für mich absolut in Ordnung. Gesetzlich gesehen gibt es in Berlin im Prinzip keine richtigen besetzten Häuser mehr. Irgendwelche Verträge haben die meisten Bauten legalisiert.
Das Xbeliebig ist trotz der Legalisierung wieder bedroht. Ein Investor ist drauf und dran, das Haus zu kaufen. Wenn ihm das gelingt, steht eine Räumungsklage ins Haus. Doch noch gibt es das Liebig 34 und noch wird hier Kunst und Kultur gemacht, die sich an alle richtet. Es würde sicher so manchem von uns mal gut tun, hierher zu kommen, um Vorurteile abzubauen. Es geht hier nicht um Randale, sondern um Akzeptanz. Das hätten sich die Chaoten, die in Hamburg rund um den G20-Gipfel unter dem Vorwand, die Welt retten zu wollen, sinnlos Läden ausgeräumt und Autos angezündet haben, mal als Vorbild nehmen sollen.
Ach ja, und das ist die wunderschöne Musik von Silver Pools, denen ich den Ausflug ins Xbeliebig zu verdanken habe: