Ihr habt bestimmt auch schon mal davon gehört, dass man in Japan so gut wie immer die Schuhe ausziehen muss, wenn man einen Raum betritt. Das ist keine Sage, sondern das ist tatsächlich so. Wer in Japan ein Haus betritt, der zieht seine Schuhe aus. Meist stehen für die Gäste Hausschuhe bereit, oder man läuft ganz einfach in Socken oder Barfuss herum. Als ich hier in unserer Wohnung am ersten Tag die Treppe rauf rennen wollte, schrie Tomoko ganz entsetzt: “Halt, du hast die Schuhe noch an”….und als ich bei Uniqlo in die Umkleidekabine gehen wollte, um eine Hose anzuprobieren, rannte der Verkäuferwie von der Tarantel gestochen herbei, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass die Schuhe vor der Kabine bleiben müssen.
Während es bei uns als engstirnig und penibel angesehen wird, wenn jemand seine Gäste darum bittet, die Schuhe auszuziehen, gilt es in Japan als respektlos, die Schuhe anzulassen.
Jeder hält sich daran. Sogar Einbrecher, die danach das ganze Haus leer räumen, ziehen zu allererst mal die Schuhe aus – hat man mir zumindest erzählt… Doch woher kommt dieser Brauch? Wisst ihr es? Ich dachte immer, dass die Sache mit den Schuhen einen ganz tiefgründigen philosophischen Grund haben muss. Irgendwas mit Zen oder Buddhismus oder Shinto muss das doch sein.
Weit gefehlt. Der Grund, warum man in Japan die Schuhe ausziehen muss, ist rein hygienischer Art. Man will damit die Wohnung schonen. Wer einige Hundert Jahre zurückdenkt, der versteht, warum das so ist. Japanische Häuser sind oft mit Strohmatten, den sogenannten Tatami ausgelegt. Wer dann von draussen mit seinen dreckigen Schuhen aus Matsch und Schlamm kam, der tat wohl daran, die Schuhe auszuziehen. Das hat sich bis heute so eingebürgert. In Mietverträgen gibt es gar eine Klausel, die das Schuhe tragen verbietet.
Ich habe mich daran gewöhnt, immer ohne Schuhe herumzulaufen, ja es gefällt mir. Vielleicht mache ich das zu Hause von jetzt an auch so – vielleicht…
Ich weiss nicht genau warum. Doch ich hätte mein ganzes Vermögen darauf gewettet, dass es in Japan keine Obdachlosen gibt. In einer Gesellschaft, die so gut durchorganisiert ist und in der viel getan wird, um den Schein zu wahren, hatte ich irgendwie vermutet, dass man das Problem der Obdachlosen unter den Teppich kehrt bzw. kurzer Hand beseitigt, was das auch immer heissen mag.
Umso überraschter war ich, als ich einen Steinwurf vom Imperial Palace einige Obdachlose im Park übernachten sah. In Plastikplanen eingewickelt mit Wucherbart und wirrem Haar, froren die sich bei rund 6 Grad einen ab. Das ist kein Einzelfall. Als ich gestern auf der Suche nach den Kirschblüten durch den Yoyogi-Park schlenderte, fielen mir unzählige Zelte auf, die im Bambuswald verstreut waren. Manche hatten ein Fahrrad vor der Tür und andere waren grösser, als die kleinen Zehn-Quadratmeter-Wohnungen, in denen die meisten Japaner leben.
Obdachlosigkeit gilt in Tokio als Schande. Die meisten, die hier ihr Zelt aufgeschlagen haben, verheimlichen ihren Status vor Freunden und Familie so gut das geht. Die meisten Obdachlosen sind über 70. Sie sind zu alt, um einen Job zu finden und zu arm, um sich eine Wohnung zu leisten. Gemäss inoffiziellen Statistiken gibt es in Tokio rund 6000 Obdachlose – offiziell sind es weit weniger als 1000. In den japanischen Zeitungen werden sie “die Unsichtbaren” genannt, da sie sich hüten, auf den Strassen zu betteln und sich zurückziehen soweit das nur geht.
Die Regierung unternimmt mittlerweile einiges, um das Problem in den Griff zu bekommen. Auch immer mehr Non Profit Organisationen nehmen sich dem Schicksal der Homeless an. Den Japanern graust es davor, 2020, wenn die Olympischen Sommerspiele in Tokio stattfinden, Bilder mit Obdachlosen in den schönen Parks um die Welt zu schicken. Auch wenn das eine scheinheilige Motivation ist, im Endeffekt wird es helfen. Wenn sich die Japaner was vornehmen, dann schaffen sie es auch.
Traditionelle japanische Kunst ist zwar zum sterben schön, doch kann auch etwas langweilig sein. Immer wieder die gleichen Kampfszenen der Samurai, Frauen im Kimono , Tempel, Hügellandschaften und Kirschblüten, ja natürlich Kirschblüten.
Doch was ist mit der modernen japanischen Kunst? Was hat Japan ausser Takashi Murakami und Yayoi Kusama noch zu bieten? Kein Event bietet dazu eine bessere Übersicht als die International Tokyo Art Fair, an der 150 japanische Top-Gallerien teilnehmen und ihr bestes Pferd im Stall ins Rennen schicken.
Dabei will ich euch gar nicht zu stark mit Namen langweilen und Euch einfach visuell zeigen, was es zu sehen gab. Ich bin beileibe kein Kunstkritiker und bitte, sagt mir wenn ihr das anders seht. Doch ich habe meine Eindrücke in drei Kategorien aufgeteilt: “Das ist Kunst”, “Das ist keine Kunst” und “Ist das Kunst?”
Je süsser desto besser. Damit meine ich nicht die Bäckereien, die in Tokio wohl besser sind als irgendwo anders auf der Welt, sondern den Drang der Japaner alles knuddelig und allerliebst zu gestalten. Ein Maskottchen hier, ein Schlüsselanhänger da. Alles soll zauberhaft und liebenswert sein. Heile Welt wird in Japan gross geschrieben. Jedes Geschäft hat seine eigene putzige Comic-Figur und jedes Schild wird mit einem Cartoon ergänzt.
Der neuste Schrei in Tokio ist das Eulen-Café. Nachdem das Katzen-Café, von denen es in Tokio über 60 gibt und in dem du mit der Katze deiner Wahl Kaffee trinken kannst, schon wieder out ist, haben die Japaner die Eulen entdeckt. Wer wie Harry Potter mit einer Eule auf dem Arm seinen Kaffee oder Tee schlürfen will, der findet in Tokio unzählige Eulen-Cafés. Keine Ahnung, was die Tierschützer dazu sagen würden, doch den Japanern scheint es zu gefallen. Die stoischen Eulen lassen sich streicheln und machen gute Miene zum doch etwas bösen Spiel. So süss die Eulen sind. Die Animierdame vor dem Café schafft es nicht, mich zu begeistern. Ich lasse das Eulen-Café aus.
Wer lieber mit einem anderen Tier Kaffee trinken will, der wird in Tokio ebenfalls fündig. Im Igel-Café kriegt man eine Box mit einem kleinen Igel auf den Tisch gestellt. Den kann man dann (meist beim Schlafen) beobachten, so lange es einem Spass macht. Wer Eule und Igel langweilig findet, für den gibt es auch ein Café mit Falken, Kaninchen, Schlangen, Ziegen, Hunden und Frettchen.
All das ist nicht ganz so schlimm, wie es sich anhört. Die Tierhaltung ist den Umständen entsprechend sachgerecht und die Japaner gehen sehr behutsam mit ihren Kaffee-Gästen um. Doch schräg ist es auf jeden Fall.
Menschen tun immer wieder Sachen, die sie eigentlich nicht tun sollten. Mit Haien schwimmen gehen, Free Climbing, Base Jumping, Fallschirmspringen, Drogen nehmen und und und… Die Suche nach dem nächsten Nervenkitzel ist für viele ein Lebenselixier. Gehört ihr auch dazu?
Ich würde mich nicht unbedingt als Draufgänger bezeichnen. Doch hin und wieder packt mich auch der Wahnsinn. Schon als Teenager hatte ich von dem sagenumwobenen Fisch namens Fugu gehört, den die Japaner essen, obwohl er das Gift Tetrodotoxin in sich trägt, das bis zu 1000 Mal stärker ist Zyanid und unweigerlich zum Tod führt. In Japan gibt es nur wenige Spezialisten, die den Fisch sezieren können, ohne dass sich Gift und Fleisch vermischen. Zwei Jahre Training und dann eine enorm schwierige Prüfung sind die Voraussetzung für den Job. In Europa ist der Verkauf des Fisches denn auch in den meisten Ländern verboten.
Fugu essen gilt als Mutprobe aber auch als Delikatesse. Er soll zudem eine aphrodisierende und berauschende Wirkung haben. Doch schon nur das Gift in der Menge eines Stecknadelkopfes führt in kürzester Zeit zum Tod, einem unangenehmen Tod, in dem man gelähmt wird und dann sozusagen im Wachschlaf leidet, bis man nicht mehr kann. Toll, warum will das jemand freiwillig ausprobieren, ja warum?
In Tokyo gibt es eine ganze Reihe von Fugu-Restaurants und auch auf dem Fischmarkt gibt es einige Spezialisten, die Fugu-Sashimi zubereiten. Mit einem speziellen Messer sezieren sie den Fisch und schneiden hauchdünne Scheiben ab. Sie wissen, was sie machen und haben einen guten “Track Record”. Die meisten Unfälle mit Fugu passieren denn auch nicht, wenn ein Spezialist am Werk ist, sondern wenn ein Angler sich den Fugu selbst zubereiten will.
Im Prinzip wollte ich keinen Fugu essen. Doch als mich ein Freund darauf ansprach, ob ich denn schon Fugu gegessen hätte, packte mich doch die Neugierde. Für weniger als 20 Franken ist eine kleine Portion superfrisches Fugu-Sashimi zu haben. Wie schlimm kann den das schon sein? Da will ich mich mal nicht lumpen lassen und kaufe gleich mal eine Portion. In gebrochenem Englisch erklärt mir der Verkäufer, Fugu sei auf dem Teller nicht gefährlich, sondern nur lebend im Aquarium. Ich solle Tiger-Fugu kaufen, denn der sei der Beste. Jaja, der sei auch giftig, schmeckt dafür aber besonders gut.
Dem Rat folge ich denn auch. Tiger-Fugu soll es sein. Mit der Beute im Rucksack mache ich mich auf den Weg nach Hause. Im japanischen Zimmer wird die Köstlichkeit ausgepackt. Etwas Bedenken habe ich schon. Jahr für Jahr beissen einige Japaner ins Gras, die vom Fugu Wunderdinge erwarten. Erst soll es auf der Zunge etwas kribbeln, dann wird sie betäubt und nach und nach setzen die Funktionen im ganzen Körper aus.
Mhhh….jetzt könnte ich noch zurück. Niemand treibt mich, Fugu zu essen. Es steht keine Wette aus und der Stolz würde nicht verletzt, wenn ich es nicht tue. Doch neugierig bin ich schon, wie so ein Fugu schmeckt. OK, ich tue es. Es ist so weit. Damit ihr ganz nahe dabei sein könnt, habe ich den Moment auf Video aufgenommen. Will he eat it or not, will he die or will he survive? Schaut Euch das Video an, dann wisst ihr mehr:
Ich bin kein religiöser Mensch und wenn ich mir die neue TV-Serie mit Jude Law als Young Pope ansehe, dann frage ich mich schon, ob Katholizismus das gelbe vom Ei ist.
Auch wenn ich mich wohl als Atheist bezeichnen würde, stelle ich mir manchmal die Frage, ob es einen Gott gibt und was das mit uns Menschen alles so auf sich hat. Eine Antwort darauf habe ich selbstverständlich keine. Da muss ich euch enttäuschen. Doch hier in Japan bin ich zumindest einen Schritt näher gekommen, wenn es darum geht, Religion zu verstehen und zu akzeptieren. Hier gibt es zwei Religionen, die eng miteinander verwandt sind. Einmal der Buddhismus, genauer gesagt der Mahayana-Budismus, der verschiedenen Buddhas huldigt und dann ist da noch der Shintoismus.
Ich bin absolut kein Experte und die Feinheiten der Shinto-Religion sind mir noch immer fremd. Doch das Grundkonzept finde ich gar nicht so abwegig. Im Shinto gibt es keinen Gründer, keinen richtigen Gott, sondern nicht so eng definierte Kamis und keine heilige Schrift im engeren Sinne.
Die beiden Schriften Kojiki und Nihonshoki sind eher historisch-mythologische Zeugnisse. Shinto basiert auf dem Prinzip, in Harmonie mit der Natur zu leben. Man strebt nach einem “Magokoro”, was soviel bedeutet wie ein aufrichtiges Herz zu haben.
Ein aufrichtiges Herz. Das hört sich doch gut an. Einer der wichtigsten Schreine des Shinto-Glaubens ist der Meji-Schrein in Tokio. Wer im Yoyogi-Park die Anlage betritt, den überfällt eine stoische Ruhe, die sehr angenehm ist.
Shinto stellt die Rücksichtnahme auf die natürliche sowie die eigene soziale Umwelt und Ordnung in den Mittelpunkt. In dieser Betonung einer auf gegenseitiger Hilfe beruhenden Harmonie, die auch auf die Welt als Ganzes ausgedehnt werden kann, lässt sich ein Bekenntnis zu menschlicher Solidarität finden, wie es auch den universalistischen Weltreligionen zu eigen ist.
Wie gesagt, ich bin kein religiöser Mensch. Doch die menschliche Solidarität als Mantra zu haben und daran zu arbeiten, dass man mit gutem Gewissen sagen kann, man habe ein aufrichtiges Herz , das würde uns doch allen gut tun. Gerade in weltpolitisch schwierigen Zeiten. Religion hin oder her.
Ich war mir ziemlich sicher, dass das eine Tortur werden würde. Japanische Schauspieler in fetter Schminke, Kimonos und Masken, die auf der Bühne teilweise Minutenlang regungslos herumstehen, japanisch sprechen und ein traditionelles Drama auf die Bühne zaubern. Das Ganze nennt man Kabuki, wurde 2005 in die UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen und ist fest in der japanischen Kultur verwurzelt.
Sozusagen das Wembley-Stadion des Kabuki ist das Kabukiza-Theater im Stadteil Ginza, das erst letztes Jahr eröffnet wurde. Ein Prachtbau, der einem den Atem verschlägt. Wie so oft sind wir die einzigen Nicht-Japaner im Publikum und harren der Dinge. Gleich beginnt die Vorstellung.
Als der Vorhang fällt, bin ich von einer Sekunde auf die andere in den Bann gezogen. Zehn Schauspieler, eine Art Orchester und fünf Helfer, die den Stars unbemerkt die Requisiten zustecken, stehen auf der Bühne. Alle sind sie fett geschminkt und alles sind Männer. Im Kabuki werden die Rollen der Frauen meistens von Männern gespielt. Das allein gibt dem Ganzen schon einen komödiantischen Unterton.
Gesprochen wird zum Glück wenig. Fast alles wird mit Gesten erzählt. Im Stück geht es geht um den Unterschied der Stadt- und Landbevölkerung. Sie machen sich gegenseitig lustig über ihre Unterschiede und Fehler. Das Publikum lacht, gibt Anfeuerungsrufe, raunt erstaunt und klatscht begeistert. Kabuki macht grossen Spass. Wer hätte das gedacht? Wenn der Bauer seinen Stadtherrn an den Haaren über die Bühne zieht oder wenn eine Art Tanzduell sowas von schief geht, wenn der Mann, der als Frau verkleidet ist, mit einer schrägen Piepsstimme singt – das ist köstlich.
Kabuki ist das traditionelle japanische Theater des Bürgertums der Edo-Zeit und besteht aus Gesang, Pantomime und Tanz. Kabuki ist eine im Wesentlichen säkulare Kunstform und etwas weniger formell als das ältere, vom Buddhismus geprägte Nō-Theater der Samurai. Begründet wurde die Kunstform 1603 von Okuni vom Izumo-Schrein, einer Miko (Schreinmädchen), als diese zusammen mit anderen Frauen beim Kitano-Schrein in Kyoto Tanz und komödiantische Stücke darbot. Als sich das Ganze über die Jahre mit Prostitution vermischte, wurden Frauen Mitte des 17. Jahrhunderts ausgeschlossen. Diese Tradition hat sich bis heute gehalten, ist aber kein “Gesetz” und wird in Japan keinesfalls als frauenfeindlich aufgefasst.
Die Männer, die Frauen spielen, werden Onnagata genannt. Sie sind meist schon fortgeschrittenen Alters und in Japan grosse Stars. Dank der dick aufgetragenen Schminke, sieht man kaum, wie alt jemand ist.
Meine Befürchtungen, dass ich mich an der Kabuki-Aufführung, die schnell mal fünf Stunden dauern kann, zu Tode langweile haben sich nicht bestätigt. Ich bin ein grosser Fan geworden. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass Vorurteile sehr oft falsch sind und nur darauf basieren, dass man im Prinzip keine Ahnung hat, wovon man spricht, Ein Vorurteil eben.
Von mir gibt es eine Fotoserie, wie ich als Baby auf dem “Töpfchen” sitze und so tue, als ob ich eine grosse Rede schwinge. Damals muss ich mich in dem Moment wie ein kleiner König gefühlt haben.
In Japan bin ich jeden Tag ein König, wenn ich aufs “Töpfchen” gehe. Wie so vieles im Land der aufgehenden Sonne ist auch die Toilette perfektioniert. Das fängt damit an, dass der Klodeckel automatisch nach oben klappt, sobald man sich der Toilette nähert. Der Sitz ist bereits vorgeheizt. Besonders an kalten Wintertagen ist das willkommen. Alles ist supersauber. Meist spielt beruhigende Musik, die einen so richtig entspannen lässt.
Wer zum ersten Mal eine japanische Toilette besucht, ist total überfordert. Schwer zu verstehende Zeichen und dutzende von Knöpfen weisen darauf hin, was das Klo alles kann. Man hat Angst überhaupt einen Knopf zu drücken. Doch wenn man sich etwas Zeit nimmt, dann wird schnell klar, wie es funktioniert.
Wer das Geschäft verrichtet hat, der greift nicht zum WC-Papier, sondern drückt auf den Knopf, der einen sanften Wasserstrahl auslöst, der alles fein säuberlich und automatisch putzt. Die Stärke wird individuell angepasst und die Temperatur ist genau die Richtige. Japanische Forscher haben herausgefunden, dass die bevorzugte Strahltemperatur knapp über der Körpertemperatur liegt – etwa bei 38 °C. Die Düsenposition lässt sich ebenfalls manuell ändern. Spitzenmodelle bieten sogar vibrierende und pulsierende Wasserstrahlen, die nach Angaben der Hersteller gegen Verstopfung und Hämorrhoiden wirksam sein sollen. Die neuesten Typen können sogar Seife in den Wasserstrahl mischen, um bessere Reinigungsergebnisse zu erreichen. Eine andere weitverbreitete Funktion ist das Warmluftgebläse, meist zwischen 40 und 60 °C variierbar, um die mit dem Wasserstrahl gereinigten Körperregionen zu trocknen.
Zum Schluss wird das ganze WC automatisch geputzt und desinfiziert. Auch der Geruch verschwindet einfach so und völlig magisch. Topmodelle sind gar in der Lage, den Stuhl und Urin zu analysieren und vor sich anbahnenden Krankheiten zu warnen.
Ich hatte solche Toiletten zwar auch schon mal gesehen, doch ich dachte immer, das wäre nur ein Gimmick, den kaum ein Japaner wirklich benutzt. Doch eine Statistik zeigt, dass 78% der Japaner so ein Ding zu Hause haben. In Restaurants und öffentlichen Toiletten sind die Alleskönner sogar die absolute Regel.
Mit den Toiletten ist es mit so vielem im Leben. So lange man es nicht kennt, vermisst man es auch nicht. Doch wenn man es einmal erlebt hat, dann kann man nur schwer zurück – oder könnt ihr Euch vorstellen ohne Internet, Geschirrspüler oder, um eine extremes Beispiel zu wählen, Strom zu leben?
Und noch was. In Japan begann das Zeitalter der High-Tech-Klos im 1980 mit der Einführung der Washlet G-Serie durch Toto. Das Washlet basierte ursprünglich auf einer Erfindung des Schweizers Hans Maurer, der 1957 das Dusch-WC unter dem Namen Closomat erfand und im europäischen Markt ohne grossen Erfolg einführte.
Ach ja und einen Vorteil hab ich fast vergessen. Einen Vorteil, der viele Beziehungskrisen verhindert und für Harmonie sorgt. Der WC-Deckel schliess am Ende des Besuchs automatisch!
Ob ihr es glaubt, oder nicht, es ist gar nicht so einfach, sich auf so einer Reise mal so richtig zu entspannen, runter zu kommen, die Gedanken des Alltags beiseite zu legen und einfach nur zu sein. Ich weiss nicht wie es euch geht, doch ich stehe ständig unter Strom und habe das Gefühl, ich müsse jetzt gleich was tun.
Die Japaner haben ein gutes Mittel gegen diese innere Unruhe und das heisst Onsen. Onsen ist die japanische Bezeichnung für eine heisse Quelle. Ganz Japan befindet sich auf vulkanisch aktivem Gebiet und deshalb gibt es fast überall im Land unzählige Onsen. Ja, ich weiss, was ihr jetzt denkt. Jetzt ist der Schwalbe richtig alt geworden. Er geht in ein Thermalbad und pflegt dort seine alten Knochen. Jaja, schon gut. Wartet doch einen Augenblick.
Also, zurück zum Onsen. Die schönsten Onsen gibt es in Hakone, rund zwei Stunden Zugfahrt von Tokio entfernt. In den Wäldern unweit des Mount Fuji gibt es vulkanische Quellen, die magische Heilwirkung haben sollen. Fast jedes Hotel hat sein eigenes Onsen und hütet es wie seinen Augapfel.
Ein Onsen zu besuchen ist ein kleines Abenteuer. Natürlich ist man hier die einzige Langnase und Englisch ist für die meisten ein Fremdwort. Das wäre ja im Prinzip auch nicht weiter schlimm. Doch da es im Onsen unzählige Verhaltensregeln gibt, bewegt man sich in den ersten Minuten wie auf Eierschalen.
Alles ist nach Geschlechtern getrennt. Die Schuhe müssen sofort ausgezogen und in einen Sack gesteckt werden. Dann zieht man sich aus und schreitet nur mit einem Waschlappen bewaffnet, in den Baderaum. Es dampft überall. Erst wäscht man sich kräftig. Man rubbelt und schrubbt und kriegt dazu alle erdenklichen Hilfsmittel. In der Regel gibt es zwei oder drei Badebecken drinnen, eine Sauna und einige Becken draussen, meist mitten im Wald mit viel Bambus und Naturstein und atemberaubender Aussicht.
Man schaut mit einem Auge, wie die ebenfalls nur mit einem Waschlappen bewaffneten Einheimischen die Sache angehen und macht einfach alles nach. Vor allem wird sich im Onsen so richtig entspannt. Das hört sich genau so an wie im Thermalbad, sagt ihr jetzt bestimmt und habt damit auch nicht ganz unrecht.
Doch dann macht es plötzlich “klick”. Auf einen Schlag fühle ich mich wie in einer anderen Welt. Der Bambuswald rückt näher, das Sulfat des Wassers steigt mir zu Kopf, ich höre sanfte Klänge, die direkt aus dem Wald kommen und der Naturstein wärmt sich langsam auf. Der ganze Ballast löst sich und ich schwebe im Wasser. Es ist schön hier im Onsen. Ich vergesse die Zeit und auch den Raum und lasse mich von meinen Gedanken treiben. Ich weiss nicht, ob es die Dämpfe des Bads sind, die Umgebung oder ob es nur an meiner positiven Einstellung liegt, doch ich habe mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.
Im Onsen hier in Hakone habe ich meine innere Ruhe gefunden. Danke Hakone. Wenn ich zurück in Tokio bin, dann werde ich bestimmt dem Sento in unserer Strasse einen Besuch erstatten. Ein Sento ist sozusagen der kleinere Bruder des Onsen und ihn gibt es in Japan in jedem Quartier. Im Gegensatz zum Onsen muss ein Sento das Wasser nicht von einer Heilquelle beziehen, funktioniert sonst aber nach dem gleichen Prinzip. Ein Sento ist wie wie der Onsen ein Ort der Entspannung, wo der strikte Verhaltenskodex, der das soziale Leben regelt, gelockert ist und die Hierarchien eingeebnet sind. Im Sento schwitzt der kleine Angestellte gleichberechtigt neben dem Firmenboss – in Japan sonst ein nur selten anzutreffendes Bild.
Im Stadtteil Shibuya leuchten die Neonschilder um die Wette und die Menschenmassen strömen in die unzähligen Kaufhäuser. Alles ist bunt und irgendwie verrückt. In Mitten dieses Wahnsinns erblicke ich eine Bronzestatue. Ein Hund thront dort erhaben und stolz auf einem Sockel und schaut dem Treiben gelassen zu.
Ich frage einen Passanten, was es mit der Statue auf sich hat. Er schaut mich entgeistert an, als habe ich ihn gerade gefragt, ob man Fussball mit einem Ball spielt oder ob wir hier in Tokio sind. “Das ist unser Hachiko” sagt er. Ich überspiele gekonnt, dass mir der Name Hachiko nichts sagt und ziehe erstmal von dannen. Später erfahre ich, dass Hachiko nicht nur Japans berühmtester Hund, sondern wohl der berühmteste und meist geliebte Japaner überhaupt ist. Das hat seinen guten Grund.
Hachiko gehörte dem Universitätsprofessor Hidesaburo Ueno. In den Zwanziger Jahren holte der Hund der Rasse Akita sein Herrchen jeden Tag vom Bahnhof in Shibuya ab. Er sass am Gleis Nummer sieben und wusste genau, wann der Professor ankommt. Als dieser 1925 während einer Vorlesung an einer Hirnblutung starb, zog die Witwe aus Tokio fort. Hachiko fand bei Verwandten in einem anderen Stadtteil ein neues zu Hause. Doch da hielt es ihn nicht lange.
Nach wenigen Tagen machte sich Hachiko auf den Weg nach Shibuya. Jeden Nachmittag setzte er sich dort am Bannhof auf das Perron des Gleis Nummer sieben und wartete geduldig auf sein Herrchen. Anfangs wurde er am Bahnhof als Störenfried betrachtet und von den Stationsvorstehern immer wieder verjagt. Passagiere beschwerten sich beim Personal, Bahnmitarbeiter misshandelten ihn sogar. Der Hund wurde geschlagen, manchmal mit Farbe beschmiert. Davon liess sich Hachiko aber nicht abhalten. Jeden Tag kehrte er zurück und wartete – vergebens.
Nach drei Jahren hatte der Stationsvorsteher erbarmen und baute Hachiko ein kleines Ruheplätzchen. An einem Herbsttag 1928 erkannte ein ehemaliger Student von Professor Ueno den Hund wieder. Er schrieb gerade eine Arbeit über Akita-Hunde. 1932 veröffentlichte er einen Artikel zu Hachiko und dessen Leidensweg, der den treuen Hund über Nacht zum Liebling der Nation machte. 1934 wurde Hachiko dann die Bronzestatue am Bahnhof von Shibuya errichtet. Hachiko sass teilnahmslos mit traurigen Hundeaugen daneben, als die Statue eingeweiht wurde. Nach der Zeremonie zottelte er wieder von dannen, steuerte auf das Gleis Nummer sieben zu und wartete.
1935 wurde Hachiko in einer Strasse in Shibuya Tod aufgefunden. Er war an Lungen- und Herzkrebs gestorben. Ob Sonne, Regen oder Schnee. Hachiko hatte zehn Jahre lang jeden Tag auf sein Herrchen gewartet. Das Land trauerte um Hachiko. Sein Körper befindet sich heute präpariert im Nationalmuseum der Naturwissenschaften im Tokioter Bezirk Ueno, wo ihn Tag für Tag Schulklassen bestaunen.
Hunde sind ein Phänomen. Es ist schon unglaublich, wie treu und loyal die Vierbeiner sein können. Egal, wie sie behandelt werden, sie wissen, wo sie hingehören. Schon herzzerreissend. In Tokio hinterlässt Hachiko noch heute seine Spuren. Eine der wichtigsten Buslinien ist die Hachiko-Linie, überall werden T-Shirts und kleine Figuren mit seinem Antlitz verkauft und wenn in Spielfilmen oder Werbeclips ein Hund vorkommt, dann ist es bestimmt ein Akita.
Auch berühmte und weniger berühmte Poeten haben sich Hachiko’s Geschichte zu Herzen genommen. Ein kleines Beispiel:
I will see him again, in heaven I will,
Our adventures will never end, the end, until.
They take one more picture, they all start to cry,
I will wait for you until the day I die.
Ach ja, selbstverständlich hat sich auch schon Hollywood der Geschichte bedient. “A Dog’s Tale” hiess der Film. Lasse Halström führte Regie und Richard Gere übernahm die Rolle des Professors. Natürlich spielte der Film nicht in Japan, sondern in Amerika…
Doch die Tränendrüsen werden auch auf Amerikanisch kräftig gedrückt. Schaut Euch die Szene an und sagt mir mit gutem Gewissen, dass ihr da keine Träne verdrückt habt: