Ich war wohl etwa 11 Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit dem deutschen Künstlers Joseph Beuys in Kontakt kam. Ich glaube, es war eine Ausstellung in Düsseldorf und die Geschichte, die am Familientisch erzählt wurde, war die einer mit Fett und Dreck gefüllten Badewanne, die Beuys im Museum aufgestellt hatte und die dann über Nacht vorn einer übereifrigen Putzfrau blitzblank geputzt wurde. Was für ein Scharlatan, dachte ich damals. Kunst ist das sicherlich nicht. Ich habe keine Ahnung, ob die Geschichte mit der Badewanne stimmt, doch so ist sie mir in Erinnerung und so passt sie auch hervorragend zu Joseph Beuys.
Meine frühe Meinung zu Beuys deckt sich mit seiner Eigenen. Der Mann mit dem Hut hatte sich nie als Künstler verstanden. “Erst wenn wir uns alle Künstler nennen, dann bin ich auch ein Künstler” hatte er immer gesagt. Auch mir ging es immer so, dass ich nicht recht wusste, was ich von den grossen Filz- und Fettskulpturen halten sollte, die ich schon so oft im Museum gesehen hatte. War Beuys ein Scharlatan, der seine Person und seine Visionen geschickt verkaufen konnte oder war er ein Genie?
Hier in Berlin im Hamburger Bahnhof gibt es eine der grössten Beuys-Sammlungen zu sehen. Dazu läuft derzeit gerade der Dokumentarfilm Beuys in den Kinos, der einem den Meister näher bringt. Unsere Museumsführerin im Hamburger Bahnhof brachte ein wenig Licht ins Dunkel der Kunst von Joseph Beuys. Die “Richtkräfte einer neuen Gesellschaft” genannten Wandtafeln, die scheinbar wahllos in einem Raum verstreut waren, finde ich seither umwerfend gelungen.
1974 beschriftete Joseph Beuys 100 britische Schultafeln aus den 60er-Jahren mit seinen gesellschaftlichen Theorien für die Ausstellung „Art into Society – Society into Art“ in der Kunsthalle ICA in London. Über die Galerie René Block in New York zog das Kunst-Objekt zur Biennale in Venedig, anschließend nach Berlin in die Neue Nationalgalerie, dann in den Hamburger Bahnhof.
100 Tafeln, bei denen auf einer an den Enden einer Linie die Worte „east“ und „west“ geschrieben waren und in der Mitte über einer Trennlinie die Worte „Eurasia“ und „Berlin wall“ – die Mauer als Linie der Trennung zweier unterschiedlicher Denksphären, die Beuys als „westlichen Privatkapitalismus“ und „östlichen Staatskapitalismus“ bezeichnete. “Show you wound” steht immer wieder auf den Tafeln. Zeige Deine Schwächen”, getrau dich, denn die Schwäche kann deine Stärke sein. Beuys kann man durchaus als Erfinder der Aktionskunst und der multimedialen Kunst sehen.
Beuys war seiner Zeit sowas von voraus. Er hat schon vor 30 Jahren die richtigen Fragen gestellt, weil er in den politischen Raum hineingedacht hat und den Fragen nicht nachgelaufen war. Beuys war “Der Mann am Haupthebel”, der immer Ideen hatte und diese dann auch Konsequent umsetzte und dabei stand er immer auch selbst am Hebel.
“Das erste Produkt menschlicher Kreativität ist der Gedanke” sagt Beuys im Dokumentarfilm “Beuys”. Gedanken = Plastik = Freiheit. Gedanken können die Welt verändern. Das hört sich idealistisch an; stimmt aber.
Beuys stand auch politisch oft direkt am Hebel. Er war Mitgründer der Grünen Partei, warnte vor der eigenständigen Vermehrung des Geldes die Finanzkrise lässt grüssen), sorgte sich um die Umwelt und das Wohl der Allgemeinheit und durchbrach immer wieder Grenzen. Ein kleines Beispiel seiner Sturheit:
Nachdem Kunstprofessor Beuys im Juli 1971 insgesamt 142 von der Akademie abgelehnte Studenten in seine Klasse aufgenommen und das Sekretariat der Kunstakademie besetzt hatte, entließ ihn der damalige Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD). Studenten reagierten mit Hungerstreik und Vorlesungsboykott, Künstler und Schriftsteller wie Heinrich Böll, Martin Walser, David Hockney, Gerhard Richter und Günther Uecker machten sich für seine Wiedereinsetzung stark.
Also, ich habe mich entschieden. Der Mann mit dem Hut ist sicher kein Scharlatan, sondern einer der wichtigsten Deutschen seiner Generation. Jeder, der über Beuys lacht oder verständnislos vor seinen skulpturartigen Werken steht, sollte ihm noch eine Chance geben. Deutschland ist ärmer ohne Beuys. Verstorben ist er 1986 – drei Jahre vor dem Mauerfall. Doch in seiner Kunst (auch wenn er sie selber nicht so nennt) lebt er weiter.
Der Trailer zum Film Beuys: