Category Archives: Theater-Performance

12 in 12 – Keine Angst vor dem Deutschen Theater

Ich kann die Leute nicht verstehen, die nicht gerne ins Theater gehen. Immer wieder erzählt man mir, dass Theater langweilig sei, zu langatmig, anstrengend, bemühend und auch zu teuer. Wenn ich das höre, dann frage ich mich immer, wann wohl das letzte Mal war, dass diese “Theaterkritiker” tatsächlich im Theater waren. War es zu Schulzeiten, als man mit der ganzen Klasse den Midsummer Night’s Dream von Shakespeare auf Englisch anschauen musste und eigentlich viel lieber zu Hause geblieben wäre, oder war es gerade erst letzte Woche und war es ganz einfach das falsche Theaterstück?

Egal wie es war. Ob Theatermuffel oder  engagierter Theaterhasser. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Euer letzter Besuch im Deutschen Theater in Berlin war, denn das ist nicht nur spannend, sondern auch anregend, aufregend, anziehend, angesagt, anders und ganz bestimmt nicht anstrengend.

Ob die “Glass Menagerie” von Tennessee Williams, “Das Spiel ist aus”von Jean-Paul Sartre, “Ein Käfig ging einen Vogel suchen” von Franz Kafka, “100 Sekunden” unter der Regie von Christoph Rüping oder mein Lieblingsstück “Herbstsonate” nach dem Film von Ingmar Bergmann, all diese Theateraufführungen  haben mich richtig hier in Berlin glücklich gemacht. Ich könnte jeden Tag ins Theater gehen. Ab zehn Euro kriegt man hier Karten. Das ist weniger als ihr für 90 Minuten Volksverdummung, oder auch Transformer 3 genannt, ausgeben würdet. Unter dem Motto “Keine Angst vor dem Theater” kriegt man im Juli einen Platz im Deutschen Theater übrigens noch günstiger.

Auf der Bühne des Deutschen Theaters stehen leibhaftige Schauspieler, die sich nur für mich allein ins Zeug legen, die mir ein Erlebnis schenken, dass keine Kinoleinwand erzeugen kann, die meine Aufmerksamkeit von der ersten Sekunde an haben und deren Worte ich mit einem Genuss verschlinge, als ob ich einen frisch gebackenen Blaubeerpfannekuchen vor mir stehen habe.

Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen im Deutschen Theater nur die Besten der Besten. Anja Schneider, Linn Reusse, Marcel Kohler und Camil Jammal sind einige der Schauspieler, die mir besonders ans Herz gewachsen sind.

Das Deutsche Theater ist Theater, wie es sein soll. Intellektuell stimulierend und dennoch nicht belehrend und fingerzeigend, herausfordernd und dennoch nicht selbstverliebt und nur für Elite und Kritiker inszeniert.

Das ist nicht selbstverständlich. Viele Intendanten der grossen Theater dieser Welt machen genau den Fehler, Theater nur für sich und nicht fürs Publikum aufzuführen. Es muss ja nicht gleich Volkstheater im herkömmlichen Sinne sein. Doch eine gute Balance zu kreieren. Das ist die hohe Kunst.

International kann dem Deutschen Theater nur das Londoner National Theater das Wasser reichen. Da kann man auch blind in irgendeine eine Aufführung gehen und wird immer mit einem Geniestreich beglückt.

Also, überlegt euch doch mal, wann ihr das letzte Mal im Theater wart. Wenn ihr euch nicht mehr genau erinnern könnt, wann das war, dann ist es auf jeden Fall viel zu lange her. Das soll jetzt kein elitäres Geschwätz sein, auch wenn es vielleicht so rüber kommt, sondern ist ganz einfach meine Meinung. Habt keine Angst vor dem Theater

Ich lasse Euch für heute mit einem Zitat von Tennessee Williams aus der Glassmenagerie mal ganz alleine:

“Being disappointed is one thing and being discouraged is something else. I am disappointed but I am not discouraged.”

12 in 12 – Der ungewöhnliche Aufstieg der Misty Copeland

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Mit 13  wohnte Misty Copeland mit ihrer Mutter und fünf Geschwistern  in einem schäbigen Motelzimmer auf engstem Raum. Sie hatte noch nie Ballett getanzt, geschweige denn Unterricht genommen.  Das war 1995.

Fast Foward…12 Jahre später.  Misty Copeland steht in der New Yorker Oper im Lincoln Center in Don Quixote auf der Bühne, ist die allererste schwarze Prima Ballerina des American Ballet Theater und schwebt mit ihrer fragilen und dennoch selbstbewussten Grazie wie auf einer Wolke über die Bühne. Damit zieht sich mich und das gesamte Publikum von der ersten Sekunden an in ihren Bann. Als der Vorhang fällt, springe ich begeistert auf und huldige das Genie Namens Misty Copeland mit einer minutenlangen Standing Ovation. Als ich ich umsehe, bemerke ich , dass sie alle stehen. Misty Copeland ist angekommen und zwar ganz oben.

Wie kam es, dass ein Mädchen, das bis sie 13 Jahre alt war, noch nie Ballett getanzt hatte, so eine Karriere hinlegte? In einem Beruf, wo es als zu spät gilt, wenn man mit 6 Jahren in die Ballettstunde kommt, weil Andere schon mit zwei oder drei Jahren angefangen haben.

Misty wollte Kunstturnerin werden. Seit sie klein war, trainierte sie dafür wie eine Wahnsinnige. Schon damals merkte sie, dass sie den Rhythmus im Blut hatte. Schliesslich war ihre Mutter schon eine Tänzerin. Doch in San Pedro, Kalifornien, mit allen Geschwistern in einem Motelzimmer war an Kunstturnen auf hohem Niveau, geschweige denn and  Ballett im Lincoln Center in New York, nicht  zu denken.

In der Schule besuchte Misty das sogenannte Drill Team, in dem eine Art künstlerisches Exerzieren gibt wurde. Ihre Lehrerin Elisabeth Cantine fiel sofort auf, das Misty anders war, als die anderen und  schlug ihr vor, die Ballettschule ihrer Kollegin Elisabeth Kantine zu besuchen. Misty sah Ballett als Ausweg aus der hoffnungslosen Situation zu Hause und begann zu tanzen. Sie war kräftiger als alle andern Schülerinnen, ihr Füsse grösser, ihre Figur weiblicher und ihre Haut dunkler. Dennoch war sie nach kurzer Zeit Klassenbeste und stellte alle in den Schatten.

Doch dann entschied sich Misty”s Mutter in eine andere Stadt zu ziehen und die Ballettschule war zu weit weg. Sie hatte keine Zeit mehr, Misty dort hinzufahren und verbot ihr, Ballett zu tanzen. Der Traum schien ausgeträumt. Doch ihre Ballettlehrerin liess nicht locker. Misty zog bei ihr und ihrem neuen Ehemann kurzerhand ein und verklagte ihre Mutter, die verlangte, dass Misty sofort nach Hause kommen sollte. Nach jahrelangem hin- und her setzte sich Misty durch, sprach daraufhin 15 Jahre nicht mehr mit ihrer Mutter. Ihre Entschlossenheit zahlte sich aus. Im Jahr 2000 schaffte sie das Undenkbare und wurde ins  American Ballett Theater aufgenommen. 2007 avancierte sie zur Solistin und wurde 2015 als erste schwarze Tänzerin zur Prima Ballerina des American Ballett Theater ernannt.

Der Weg dahin war mehr als nur steinig.  Mittlerweile ist Misty Copeland ein Superstar, der nicht nur auf der klassischen Ballettbühne, sondern auch im der Popkultur und dem modernen Tanz eine der ganz Grossen ist. Den Erfolg hat sie verdient. Was ich an diesem Abend im Lincoln Center gespürt habe, als ich Misty Copeland in Don Quixote auf der Bühne sah, werde ich nie mehr vergessen.

Schaut euch an, was Misty kann. Erst traditionell. dann modern:

https://www.youtube.com/watch?v=PTdeXwZY_sI

P.S. Diese Mal sind die Fotos leider nicht von mir.

12 in 12 – An Hamilton kommt keiner vorbei

Ich hatte meine Chance. Als ich vor zwei Jahren auf einen Zwischenstop nach New York kam, gab es in der Stadt nur einThema: Das Hip-Hop-Musical Hamilton, das alle Regeln der modernen Kunst bricht, sie wider zusammensetzt und niemanden aber auch gar niemanden kalt lässt. Eine Freundin, die fürs Public Theater arbeitet, hatte mir ein Ticket organisiert. Dummerweise hatte ich für den gleichen Abend schon Theaterkarten und zwar für Fish in a Bowl mit Seinfeld-Creator Larry David.  Larry konnte ich einfach nicht im Stich lassen und verzichtete auf Hamilton. Ja, ein Fehler, ich weiss…ziemlich ähnlich wie damals 1991, als ich mich für The Wonder Stuff und gegen Nirvana entschieden hatte, als die beide zeitgleich in Boston auftraten (doch das ist eine andere Geschichte).

Zwei Jahre sind vergangen. Seither ist Hamilton die erfolgreichste Broadway-Aufführung aller Zeiten geworden. Karten sind unmöglich zu kriegen und wenn man sie dennoch unbedingt will, dann kosten auf dem Schwarzmarkt noch immer rund 2000 Dollar.

11 Tony-Awards und einen Pulizer-Preis später weiss in Amerika auch das kleinste Kind, wer Alexander Hamilton war.  Er war einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, massgeblich an der Verfassung des Landes beteiligt und der grosse Denker hinter dem modernen amerikanischen Finanzsystem – genau der Stoff aus dem erfolgreiche Musicals geschneidert werden.

Diese Mal hatte ich es schon aufgegeben. Weder die Lotterie, irgendeine Ticket-Website noch andere Quellenhatten zum Erfolg geführt. Kein Ticket für Hamilton. Die allerletzte Chance war das gute alte Anstehen. Ich hatte gehört, dass die Leute jeweils um 7 Uhr Morgens schon vor der Tür stehen, um dann um acht Uhr Abends endlich drin zu sein. Fast zufällig liefen wir um kurz vor fünf Uhr Nachmittags am Theater vorbei. Da gab es in der Tat eine Schlange. Doch mehr als 15 Leutestanden zu diesem Zeitpunkt noch nicht an.

Ich stell mich mal dazu. Der Polizist, der aufpasst, dass niemand einen Schwarzmarkt eröffnet, sagt: “Zwischen sieben und 20 Leute kriegen jeweils ein Ticket. Ihr habt eine Chance.” Neben mir tritt die Kulturkritikerin des Guardian nervös von einem Bein aufs andere. Sie steht auch an. “Ich kenne alle Publizisten und für Shows wie Groundhog Day habe ich beste Karten umsonst bekommen. Doch als ich nach Hamilton-Karten fragte, haben sie mich ausgelacht,” sagt sie.

Ich mache es kurz. Bis kurz vor acht lief gar nichts. Dann etwas Bewegung. Die Studenten, die ganz vorne in der Schlange stehen, verzichten auf die ersten Karten, da sie auf die günstigen Stehplätze warten. Nur noch 4 Wartende vor mir. Es schlägt acht Uhr. “Bitte an die Kasse”, sagt der Aufpasser. Ich gehe nach vorne, halte meine Kreditkarte hin und will gar nicht wissen, wie teuer der Platz ist. “Das ist die letzte Karte” sagt die Kassiererin. Wow. Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, kurz vor die Tür zu gehen und die Bad News zu verbreiten. Dann ab in den Saal. Fünfte Reihe mittendrin bei Hamilton.

Vorhang auf:

How does a bastard, orphan, son of a whore and a
Scotsman,
dropped in the middle of a forgotten
Spot in the Caribbean
by providence, impoverished, in squalor
Grow up to be a hero and a scholar?

Lin-Manuel Miranda heisst das Genie, das die Idee hatte, ein Musical aus der Geschichte dieses Immigranten zu machen, die Rollen mit einem bunten ethnischen Mischmasch zu besetzten, einen Ohrwurm nach dem anderen mit reinzuschmeissen und alles im Hip-Hop-Style zu schreiben. In punkto Musical wohl das Beste, was ich je gesehen habe.

Damit ihr einen kleinen Eindruck erhaltet, worum es geht und warum der Hype so unendlich gross ist, hier ein Video aus dem Jahre 2009, Jahre bevor das Musical fertig war im White House in Washington. Bitte, schaut Euch das an – ich flehe euch an. Da werden die Tränen kullern. Niemand wusste damals, wer Lin-Manuel Miranda war, geschweige denn Alexander Hamilton. Jeder, der sagt, Musicals seinen nichts für ihn und er sei viel zu männlich für sowas – wait and see:

 

 

12 in 12 – The 14th Factory

Ein verlassenes Lagerhaus in Lincoln Heights, nur wenige Kilometer von Downtown Los Angeles entfernt und dennoch kurz vor dem Zerfall. Die Strassen sind leergefegt und die Gegend ist nicht ganz koscher.

Doch hinter der Tür des Lagerhauses verbirgt sich die beeindruckendste Kunstausstellung, die ich je gesehen habe: 14th Factory von Simon Birch und einer Kollektive von 20 Künstlern, darunter Gary Gun, Doug Foster und Paul Kember. Videoinstallationen, Skulpturen und Bilder, die die Sinne anregen. Ich komme aus dem Staunen kaum noch raus.

Das Ganze ist als Kommentar zu einem Moment in unserer Geschichte, in dem wir so nahe wie noch nie an einem grossen Desaster stehen, zu sehen. Sei es der Umgang mit uns selbst, die Interaktion mit der Welt, die Gewalt, der wir ausgesetzt sind, psychischer oder physischer Art oder die Hilflosigkeit angesichts der Übermächtigkeit der Ungewissheiten – das alles spürt man, wenn man in der 14th Factory steht.

Ich bin überwältigt, als ich mich durch die oft dunklen Räume bewege. Tausende von Gedanken schiessen mir durch den Kopf. Ich bin Neugierig und zögerlich zugleich, fasse Mut, habe Respekt, frage antworte und hinterfrage dann die Antwort.

Ein Autounfall, streitende Arbeiter, Stanley Kubrik, Körper, Gebäude, Höhen und Tiefen, Gigantismus, Bewegung und Stillstand sind nur einige Stichworte. Ich will die einzelnen Werke gar nicht im Einzelnen Beschreiben – auch ein Paar Bilder können nicht erklären, was man hier spürt,

Doch für mich ist das moderne Kunst in seiner Vollendung. Kein simples Abbild der Realität, sondern Inspiration mit einer klaren Handschrift. Bravo.

Ich fühle mich wie in einer Mischung aus Eyes Wide Shut und The Shining. Hier ist alles möglich und zwar in jedem Moment.

Ich bin verwirrt, erleuchtet, traurig, glücklich und ratlos. Was passiert hier gerade mit mir?

Das Projekt soll keinen Gewinn machen. Kunst wird hier keine verkauft. Solange die Leute kommen und das Geld reicht, wird die 14th Factory am Leben bleiben. Wenn alles gut geht, ist das noch bis Ende November.

SImon Birch dreht über die 14th Factory und die Themen drum herum einen Dokumentarfilm, auf den man gespannt sein darf. Ich kann es kaum erwarten.

Das grösste Kunsterlebnis, das ich je hatte. Danke, Simon Birch.

Eine etwas fundiertere Erklärung der 14th Factory als die meine kriegt ihr hier:


 

12 in 12 – Das Spiel mit der fetten Schminke

Ich war mir ziemlich sicher, dass das eine Tortur werden würde. Japanische Schauspieler in fetter Schminke, Kimonos und Masken, die auf der Bühne teilweise Minutenlang regungslos herumstehen, japanisch sprechen und ein traditionelles Drama auf die Bühne zaubern. Das Ganze nennt man Kabuki, wurde 2005 in die  UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen und ist fest in der japanischen Kultur verwurzelt.

Sozusagen das Wembley-Stadion des Kabuki ist das Kabukiza-Theater im Stadteil Ginza, das erst letztes Jahr eröffnet wurde. Ein Prachtbau, der einem den Atem verschlägt. Wie so oft sind wir die einzigen Nicht-Japaner im Publikum und harren der Dinge. Gleich beginnt die Vorstellung.

Als der Vorhang fällt, bin ich von einer Sekunde auf die andere in den Bann gezogen. Zehn Schauspieler, eine Art Orchester und fünf Helfer, die den Stars unbemerkt die Requisiten zustecken, stehen auf der Bühne. Alle sind sie fett geschminkt und alles sind Männer. Im Kabuki werden die Rollen der Frauen meistens  von Männern gespielt. Das allein gibt dem Ganzen schon einen komödiantischen Unterton.

Gesprochen wird zum Glück wenig. Fast alles wird mit Gesten erzählt. Im Stück geht es geht um den Unterschied der Stadt- und Landbevölkerung. Sie machen sich gegenseitig lustig über ihre Unterschiede und Fehler.  Das Publikum lacht, gibt Anfeuerungsrufe, raunt erstaunt und klatscht begeistert. Kabuki macht grossen Spass. Wer hätte das gedacht?  Wenn der Bauer seinen Stadtherrn an den Haaren über die Bühne zieht oder wenn eine Art Tanzduell sowas von schief geht, wenn der Mann, der als Frau verkleidet ist, mit einer schrägen Piepsstimme singt – das ist köstlich.

Kabuki ist das traditionelle japanische Theater des Bürgertums der Edo-Zeit und besteht aus Gesang, Pantomime und Tanz. Kabuki ist eine im Wesentlichen säkulare Kunstform und etwas weniger formell als das ältere, vom Buddhismus geprägte Nō-Theater der Samurai. Begründet wurde die Kunstform 1603 von Okuni vom Izumo-Schrein, einer Miko (Schreinmädchen), als diese zusammen mit anderen Frauen beim Kitano-Schrein in Kyoto Tanz und komödiantische Stücke darbot. Als sich das Ganze über die Jahre mit Prostitution vermischte, wurden Frauen Mitte des 17. Jahrhunderts ausgeschlossen. Diese Tradition hat sich bis heute gehalten, ist aber kein “Gesetz” und wird in Japan keinesfalls als frauenfeindlich aufgefasst.

Die Männer, die Frauen spielen, werden Onnagata genannt. Sie sind meist schon fortgeschrittenen Alters und in Japan grosse Stars. Dank der dick aufgetragenen Schminke, sieht man kaum, wie alt jemand ist.

Meine Befürchtungen, dass ich mich an der Kabuki-Aufführung, die schnell mal fünf Stunden dauern kann, zu Tode langweile haben sich nicht bestätigt. Ich bin ein grosser Fan geworden. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass Vorurteile sehr oft falsch sind und nur darauf basieren, dass man im Prinzip keine Ahnung hat, wovon man spricht, Ein Vorurteil eben.

 

 

12 in 12 – Cinema Farnese – Kapitel 7

Hier ist es endlich. Das letzte Kapitel des Krimis Cinema Farnese:

Cinema Farnese

Ein Fall für Alfredo Conte

Kapitel 7

Inspektor Alfredo Conte hatte die Puzzleteile fein säuberlich zusammengesetzt. So sah es aus.

Stefano Totti hatte seit Jahren ein Auge auf das Cinema Farnese geworfen. Er hatte Novelli immer wieder bearbeitet, ihm das Kino doch für seine neue Trattoria „Stefano“ zu überlassen. Als er ihm dann vor wenigen Monaten anbot, gleichberechtigter Teilhaben zu werden, wurde Novelli schwach und sagte zunächst zu. Doch nach einigen Tagen hatte Novelli, für den das Kino sein ganzes Leben war, seine Meinung geändert. Er hatte im Vertrag, den Conte bei der Hausdurchsuchung von Novellis Büro gefunden hatte, die Klausel entdeckt, dass Totti nach einem Jahr die Option hatte, ihn für 250’000 Euro aus dem Vertrag zu kaufen. Wutentbrannt hatte Novelli beim Grundbuchamt seinen Antrag zurückgezogen. Totti hatte mehrere Male versucht, Novelli umzustimmen – ohne Erfolg.

Totti wusste, dass die Erben von Novelli kein Interesse am Kino hatten. Sie waren schon lange aus Rom nach Mailand gezogen und hatten keine Zeit, sich um das Cinema Farnese zu kümmern. Totti’s Plan war, das Kino nach dem Tod von Novelli kurzerhand zu kaufen. Conte hatte Novelli‘s Tochter Roberta angerufen und von ihr erfahren, dass sich vor einigen Tagen tatsächlich jemand erkundigt hatte, ob sie Pläne für das Kino habe. Das konnte nur Totti gewesen sein.

Auch wusste Totti, dass der Bäckermeister Roberto Ginelli unsterblich in Giulianos Ehefrau Mariella verliebt war. Als Giuliano am Abend vor der Tat in der Bar Peru in aller Öffentlichkeit die Drohung gegen den Kinobesitzer aussprach, kam Totti die glorreiche Idee. Er wusste von einigen feuchtfröhlichen Abenden mit Bruno und Piselli auf der Terrasse der kleinen Wohnung von Ginelli, dass dieser, versteckt in einer kleinen Box, eine Beretta besass. Während Ginelli am Abend vor dem Mord wie immer in der Backstube war, brach Totti in die Wohnung des Bäckers ein und packte sich die Waffe.

Totti hatte mit allen Mitteln versucht, Conte auf die falsche Fährte zu bringen und die Beretta immer wieder ins Spiel gebracht. Doch einmal zu viel. Mit seiner doch sehr bestimmten Vermutung, dass die Beretta von Ginelli verschwunden sei, hatte sich Totti nur noch verdächtiger gemacht.

Nachdem Totti bei Ginelli im Kino mit seinem Plan, eine Trattoria zu eröffnen, ein letztes Mal auf Granit gebissen hatte, erschoss er ihn kaltblütig. Danach ging er direkt zu seinem Freund Piselli. Totti wusste, dass ihm der Hotelbesitzer ein Alibi geben würde. Er nützte die verzweifelte Lage Pisellis mit dem kriselnden Hotel, das baufällig war und nur noch rote Zahlen schrieb, aus. Die Rechnung ging zunächst auf. Piselli gab zu Protokoll, dass die beiden zur Tatzeit den ganzen Abend mit einer Flasche Wein bei ihm auf der Terrasse gesessen seien. Im Gegenzug lieferte Totti Piselli eine halbe Million Euro ab, mit der er dann sein Hotel umbauen konnte.

Genau da lag der Schwachpunkt in Totti‘s Plan. In dem Moment, als er Piselli an Bord holte, gab er die Kontrolle aus der Hand. Piselli konnte Totti nicht ausstehen und das nicht erst, seit er seine finanzielle Notlage ausnutzen wollte, um sich da Hotel unter den Nagel zu reissen. Totti hatte Piselli immer wieder spüren lassen, dass er ein Versager war und ihm bei jeder Gelegenheit vorgehalten, welche Fehler er mit seinem Hotel gemacht hatte. Dazu kam, dass Piselli die Geduld fehlte, mit dem Umbau seines Hotels zu warten. Er gab Totti’s Geld gleich aus, statt still zu halten, bis Gras über die Sache gewachsen war.

Piselli war es denn auch, der Alfredo Conte die Nachricht mit dem Grundbuchamt zukommen liess und den Inspektor damit auf die richtige Fährte gebracht hatte. Dabei hatte der Hotelbesitzer wohl nicht damit gerechnet, dass Conte  im Grundbuchamt auch auf seine Pläne für den Umbau des Wintergartens stossen würde. Conte hatte Piselli durchschaut und ihm das bei seinem Besuch schonungslos offenbart. Womit Conte nicht gerechnet hatte war, dass Piselli  ihm bei dieser Gelegenheit gleich noch das letzte Puzzleteil zur Lösung des Falls präsentieren würde.

Totti hatte Piselli in der Nacht nach der Tat eine weitere Aufgabe übertragen: Er sollte die Beretta verschwinden lassen. Doch das hatte Piselli nie getan. Die Forensiker identifizierten die Beretta schnell als Tatwaffe und fanden, obschon Totti die Waffe gut abgewischt hatte, noch Fragmente seiner Fingerabdrücke. Das hatte auch die letzte Zweifel an der Schuld von Stefano Totti aus dem Weg geräumt.

Inspektor Conte hatte einen weiteren Fall gelöst. Ein Fall, der ihm sehr nahe ging. Als er am nächsten Mittag seine Pizza Rosso bei Roberto Ginelli holte, kam ihm Mariella Novelli entgegen. In einer Tasche trug sie eine frische Crostata. Seit 30 Jahren war sie nicht mehr im Forno bei Roberto gewesen.  Zu schmerzhaft wäre der Besuch für beide gewesen. Sie hatte ein Lächeln auf den Lippen, drehte sich um, und warf Roberto einen scheuen Blick zu, ehe sie erhobenen Hauptes über dden Campo de Fiori stolzierte.

12 in 12 – Hoch lebe die Hochkultur für alle

“Hola, was kosten zwei Karten für das Galakonzert zum Tag des Tangos mit den beiden Tangolegenden Raúl Lavié y María Graña?” frage ich am Schalter im Centro Cultural Kirchner. Die Dame schaut mich etwas verwirrt an und antwortet: “Die sind umsonst” und drückt mir die Karten in die Hand.

Umsonst? Das kann doch nicht sein. Ist ihr da ein Fehler unterlaufen? Und die Vorführung vom Orchester unter der Leitung von Nicolas Ledesma? Auch umsonst.

Pahh. In der Tat. Im Centro Cultural Kirchner ist immer alles umsonst. Ob die neue Ausstellung von Brian Eno, das Gastspiel von Ute Lemper oder der grosse Auftritt des argentinischen Nationalorchsters. Umsonst. Bis zu zehn Veranstaltungen, von Lesungen über Konzerte und Workshops, im Centro Cultural Kirchner, das letztes Jahr in der alten Post eröffnet wurde, zahlt man nie was.

Das ist kaum zu fassen. In einem Land, wo der Staatshaushalt so gut wie immer in Schieflage ist, kann man Kultur gratis und franko satt haben und zwar nicht nur im Centro Cultural Kirchner, sonder so gut wie überall. Die neue argentinische Superband Ovvol spielt im Centro Cultural Recoleta ohne Eintritt zu verlangen, das internationale Tanzfestival, das in der ganzen Stadt eine volle Woche lang stattfindet – all free. Filmvorführungen in alten Kinos, Theater, Tanzstunden, Jazz, moderne Kunst, Comedy…was immer das Herz begehrt. Wie gesagt, umsonst.

Allein ins atemberaubende Kirchner-Zentrum kommen jeden Tag rund 10’000 Zuschauer, was die Institution sozusagen über Nacht zur viertgrössten Kulturstätte der Welt gemacht hat. Kultur wird in Argentinien als Grundrecht angesehen und die Ausgaben für die Institutionen als Investition und nicht als Kosten. Das sehe ich auch so. Wer sieht, wie glücklich die Leute sind, die hier herkommen und wie sie es schätzen, wie sie gespannt zuhören und miteinander über das Gebotene diskutieren, der merkt, dass Kunst und Kultur nicht nur was für ein paar abgehobene Intellektuelle ist, sondern was fürs Volk – man muss ihnen nur den Zugang dazu geben.

Warum ich Euch das alles erzähle? Ich frage mich, warum sowas wie hier in Buenos Aires nicht auch in unseren Breitengraden möglich ist. Warum kann es nicht Räume geben, in denen sich die Masse ganz  ohne Zwang auf Kultur und Kunst einlassen kann? Ja klar gibt es Kunstförderung, Tage an denen Museen umsonst oder verbilligt sind, Jugendrabatt, Theaterclubs, mal eine Opernübertragung auf dem grossen Platz  und sonst auch alles Mögliche. Doch das ist nicht dasselbe.

Kultur als Grundrecht ohne tief in die Tasche greifen zu müssen. Das trägt dazu bei, in unseren manchmal doch allzu kühlen und unpersönlichen Gesellschaft etwas Zusammenhalt und Wärme zu schaffen. Ich ziehe den Hut vor Argentinien, Buenos Aires und ganz besonders vor dem Centro Cultural Kirchner My new favorite place und ein Vorbild für uns alle.

12 in 12 – Art Deco und Art Nouveau in Mexico City

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Heute nur mal eine kleine Beobachtung. Die Architektur in Mexico City ist von Art Deco und Art Nouveau geprägt. Es soll weltweit die grösste Ansammlung dieser Stilrichtungen sein. Hunderte, wenn nicht tausende Gebäude – eines schöner als das andere – reihen sich hier aneinander. Besonders im Stadtteil Condesa gibt Art Deco den Ton an. Hier durch die Strassen zu laufen, ist wie von einer Sekunde auf die andere in eine andere Epoche einzutauchen.

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Das Prunkstück, das Art Deco und Art Nouveau so schön vereint, wie kein Anderes, ist der 1934 eröffnete Palacio de Bellas Artes, in dem schon Maria Callas aufgetreten ist. Von Aussen ist das Gebäude Art Nouveau (Architekt Adam Boari), während innen Art Deco dominiert (Federico Mariscal).

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Der Palacio de Bellas Artes steht mitten im Stadtzentrum und hat 1987 den Status eines UNESCO-Erbes erlangt. Heute befinden sich neben einer wunderschönen Konzerthalle noch zwei grossartige Museen im Palacio. Für mich waren bisher immer New York, Miami und Paris die klassischen Art Deco-Art Nouveau Protagonisten. Doch Mexico City kann das noch besser – wer hätte das gedacht.

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12 in 12 – Cinema Farnese – Kapitel 3

Cinema Farnese
Ein Fall für Alfredo Conte

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Kapitel 3

Als Inspektor Conte von der Piazza Santa Caterina della Rota auf das Caffe Peru zusteuert, sieht er sie schon dort sitzen. Theatermaestro Emanuele Bruno, Hotelbesitzer Mauro Piselli und Gastrokönig Stefano Totti. Der vierte Platz ist leer. Conte kannte Piselli und Totti gut. Er war mit ihnen zur Schule gegangen. Die Beiden waren in der Klasse über ihm und fanden schon deshalb, sie seien ihm weit überlegen. Das hatte sich in den letzten 30 Jahren nicht geändert.

„Ist der Stuhl noch frei?“ fragt Conte und setzt sich ohne auf einen Antwort zu warten hin. „Schlimme Sache“ bricht Emanuele Bruno das etwas zu lange andauernde Schweigen. Die beiden anderen nicken. „Was erzählt man sich denn so im Quartier?“, versucht Conte das Gespräch anzukurbeln. Wieder ist es Bruno, der zuerst antwortet. „ Dies und das. Nichts Konkretes.“

Conte merkt, dass er heute ausnahmsweise nicht auf die Redseligkeit der Gruppe zählen kann. Er ändert die Strategie. „Wir wissen, dass Novelli von jemandem erschossen wurde, der ihn gut kannte. Der Mörder sass direkt neben Novelli, wohl in ein Gespräch verwickelt, zog seine Pistole und schoss ihn eiskalt in die Schläfe“. Das sitzt. Die drei gut betuchten älteren Herren rutschen unruhig auf ihrem Stuhl hin- und her und schauen sich gegenseitig an. „Na gut, sie werden es ja ohnehin von jemandem erfahren. Da kann es ja auch von mir sein“ ergreift Mauro Piselli das Wort. „Roberto Ginelli kam vorgestern Abend so um 6 Uhr hier im Caffe vorbei. Wir sassen zu viert am Tisch und spielten Karten. Roberto nahm sich einen Stuhl, setzte sich zu uns, schaute eine Weile stumm zu und dann schrie er Giuliano an – aus heiterem Himmel. Er habe sein Leben zerstört, ihn verraten und getäuscht und dafür werde er büssen, schwer büssen. Dann stand er auf und machte sich aus dem Staub.“

Na, das war doch schon mal was, denkt sich Conte. Doch irgendwie war das alles viel zu einfach. „Da fällt mir ein, dass Ginelli immer schon eine Beretta hatte“ doppelt Totti nach. „Vielleicht kann man da mal nachhaken.“ „Vielen Dank, das werde ich tun“ entgegnet Conte.

Ein Alibi hatten die drei. Piselli sei mit Totti und einer Flasche Wein bis spät in die Nacht auf dessen Terrasse gewesen, Emanuele Bruno mit seiner Frau in der Pizzeria Montecarlo. Da gäbe es genügend Tischnachbarn, die dies bezeugen können.

Bevor sich der Inspektor verabschiedet, fragt er Totti noch, wie es den Plänen für seine neue Osteria gehe. Die Vierte im Quartier,  die ihm gehören würde. Warum er dies wissen wolle, fragt Totti forsch. Ach, nur so, sei nicht weiter wichtig . „Ich habe einen Standort im Auge, doch im Moment liegt die Sache auf Eis“ erklärt Totti in wieder etwas freundlicherem Ton.

Conte ordnet seine Gedanken. Das Alibi von Bruno schien wasserdicht. Totti und Piselli hingegen deckten sich gegenseitig. Piselli hatte Geldsorgen. Das wusste Conte. Das Hotel Lunetti war langsam baufällig, eine Renovation unausweichlich. Doch die Banken bockten. Totti hatte Piselli deshalb angeboten, das Hotel zu kaufen und ihn dann als Geschäftsführer einzusetzen. Doch das liess sein Stolz nicht zu.

Wenn es um Novelli ging, war Totti immer etwas distanziert. Bei den grossen Premieren im Cinema Farnese  blieb er selten bis zum Schluss und auch im Caffe Peru war er nur dabei, wenn Pieselli und Bruno auch mit am Tisch sassen. Doch das musste nichts bedeuten. Erstmal war es die Plicht des Inspektors, sich nochmals Bäckermeister Ginelli vorzuknöpfen. Warum hatte der ihm nichts vom Vorfall im Caffe Peru erzählt und wo war seine Beretta?

Link zu Kapitel 1
Link zu Kapitel 2

12 in 12 – Das ist Inna

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Das ist Inna. Sie ist Anfang 30, lebt in Moskau und produziert Theaterstücke – nicht für irgendeine Bühne, sondern für das avantgardistische und vom Kreml immer wieder kritisierte Gogol Theater. Inna hat lange, gewellte blonde Haare und immer ein charmantes Lächeln auf den Lippen. Sie strahlt Ruhe und Bescheidenheit aus. Dass sie beim Theater gelandet ist, war nie ihr Plan, erzählt sie uns im Foyer des Gogol Center in perfektem Englisch. Ihre erste Liebe galt dem Film. Innas Eltern hatten im Kino gearbeitet. In diese Welt wollte sie nach Ihrem Journalismus-Studium an der Moscow State University eintauchen. Es kam anders.

Sie erinnert sich noch gut „Es war Winter. Ich war zu spät fürs Theater und musste deshalb in der letzten Reihe Platz nehmen. Da es ein rundes Globe-Theater war, sass ich auf Augenhöhe mit den Bühnenarbeitern, die künstlichen Schnee nach unten rieseln liessen. Das war so schön und ich dachte: Das will ich auch.“ Eine Woche später rief eine Freundin an und bot Inna einen Job im Theater an. „Es war genau dieses Theater. Ich traute meinen Ohren nicht“, erzählt Inna strahlend. „Ich war zwar nicht für den Schnee verantwortlich, sondern für die Pressearbeit.“

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Innas Verhältnis zu Moskau ist eine Hassliebe. Sie ist hier geboren, wohnte mit ihren Eltern in einer schönen stalinistischen Siedlung mitten im Zentrum und kennt in Moskau jede noch so entlegene Ecke. Zwar stellt sie klar, dass das hier ihre Stadt und ihr zu Hause ist. Doch sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie erzählt, was ihr gar nicht passt:  „Das einzige, was in Moskau zählt, ist Geld. Immer nur Geld. Die Leute haben kein ‚Art de Vivre‘ und nehmen sich für nichts Zeit. Moskau braucht so viel Energie und saugt einen aus“. Eine angenehmen Stadt zum Leben sei das hier nicht.

Inna  wünscht sich, das sich die Leute mehr Zeit nehmen würden, nur einfach mal sich selbst sein, spazieren gehen und das Leben geniessen. „Wenn ich ehrlich bin, dann bin auch ich etwas so wie die anderen. Denn das ist der einzige Weg, um zu überleben. Das gilt auch fürs Theater“ sagt sie. Inna gehört zu einer neuen Generation von Moskauern, für die vieles möglich ist, die sich nichts gefallen lassen, die sich nicht um Politik und alte Apparatschiks  scheren, die weit gereist sind, mehrere Sprachen sprechen und ihre Freiheit in vollen Zügen geniessen.

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Inna erinnert sich an die neunziger Jahre in Moskau. Eine wilde Zeit. Alles wurde aufgesogen und ausprobiert. Das war Freiheit. „Wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Land für 80 Jahre keine richtige Kunstszene besass, dann kann man sich vorstellen, was da plötzlich zum Ausdruck kam.” Wenn sie Moskau heute anschaut, dann wird sie nachdenklich. Sie findet es schade, dass die Leute alle so konform geworden sind und nach den gleichen langweiligen Idealen streben. „Das Leben muss sich verändern, man muss sich weiter entwickeln. Das passiert hier im Moment nicht richtig“ sagt sie.

Als Theaterproduzentin ist Veränderung für Inna Pflicht.  Einer ihrer grossen Erfolge war die Aufführung des Stücks „Maschine Müller“ nach Briefen des Deutschen Autors Heiner Müller – mit 80 Nackten auf der Bühne. Da hatte das Theater erst gar nicht erst versucht, staatliche Unterstützung zu kriegen. Alles wurde mit privaten Sponsoren finanziert. Abend für Abend stellte das Theater vier Sicherheitskräfte an, um darauf vorbereitet zu sein, aufgebrachte Zuschauer zurückzuhalten.

„Im Moment bin ich glücklich hier“ sagt Inna. Sie mag ihre Arbeit und ihr Theater. Dennoch kann sie sich nicht vorstellen, noch viele Jahre hier zu arbeiten. Auch Moskau möchte sie irgendwann hinter sich lassen. Genaue Pläne hat sie keine. Improvisieren ist ihr Lebensmotto. Damit ist sie bisher gut gefahren.