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12 in 12 – Bueons Aires: Wir demonstrieren nonstop

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Kaum in Buenos Aires angekommen, mach ich mich auf den Weg zur Plaza Mayor. Dort schlägt das Herz der Stadt und dort ist Präsident Mauricio Macri in der Casa Rosada zu Hause. Buenos Aires ist keine ungefährliche Stadt und angesichts der andauernden Wirtschaftskrise ist das seit meinem letzten Besuch vor zehn Jahren bestimmt nicht besser geworden. Ich bin gespannt auf die Stadt, in die ich mich damals Hals über Kopf verliebt hatte.

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Die U-Bahnstation Catedral liegt direkt unter dem Hauptplatz. Die Treppe rauf und rein ins Getümmel auf der Plaza Mayor. Getümmel in der Tat. Auf dem Platz wehen die Fahnen. Es wird demonstriert. Alles scheint friedlich zu sein. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass hier mehrere Züge miteinander oder aneinander vorbei demonstrieren.  Die einen wollen die Anerkennung von Kriegsveteranen, die anderen unterstützen die La Campora, eine kirchnergtreue Partei, die häufig für Unruhe sorgt, wider andere setzen sich für faire Löhne ein. Alles verläuft friedlich.

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Demonstrieren und politischer Aktivismus ist in Buenos Aires  das wohl beliebteste Hobby – noch vor dem Fussball. Im Oktober wurde in der Stadt so viel demonstriert wie noch nie – insgesamt 158 Demonstrationen. Das macht im Schnitt fünf Kundgebungen pro Tag. Oft geht der Zug von der Plaza Mayor die Avenida Mayor hinunter. Deshalb ist die Casa Rosada immer mit einer mobilen Schutzwand abgesperrt, an der Sprayer ihre Parolen verewigen. Doch auch der Rest der Stadt wird oft von den Kundgebungen lahm gelegt. Für viele Portenos, wie die Bewohner von Buenos Aires genannt werden, ist das auch ein Ärgernis. Dennoch, auf die freie Meinungsäusserung wollen die Argentinier ganz bestimmt nicht verzichten. Mit gutem Grund.

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Mit Demonstrationen wurden in Argentinien schon Präsidenten gestürzt und das mehr als einmal. Zuletzt geschah dies 2011, als Präsident Fernando de la Rúa mit dem Hubschrauber vom Dach der Casa Rosada das Weite suchte. Der Macht des Volkes sind sich die Argentinier sehr bewusst. Die Diktatur der 70er Jahre, die tausenden von Argentiniern das Leben gekostet hat, soll kein Revival erleben.

Wenn die Argentinier etwas berührt, dann gehen sie auf die Strasse. Ende Oktober folgten mehrere hundert Tausend Demonstranten dem Aufruf des Twitter Hashtag #MiércolesNegro, um auf die Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Auslöser war die Verschleppung und Vergewaltigung der 16-jährigen Lucia Perez, in Mar del Plata. Die Regierung hat daraufhin Massnahmen ergriffen.

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Die Argentinier sind politisch sehr interessiert. Hier lässt man sich nur wenig gefallen. Eigentlich haben sie Recht. Wem was nicht passt, der soll es sagen, denn nur so kann verhindert werden, dass es unter der Oberfläche brodelt und später explodiert. Davon können wir ganz bestimmt  was lernen…

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12 in 12 – Das ist Yanira

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„Wann heiratest Du mich nun endlich“, fragt der Gemüsehändler auf dem Campo de’ Fiori. „Ciao bella“ hört man von links und von rechts, „Wo warst Du denn so lange, hast du mich schon vergessen“, einen Stand weiter. Wer mit Yanira unterwegs ist, der kann sich im Hintergrund halten und in Ruhe durch die Strassen schlendern. Die 29-jährige zieht mit ihrer offenen Art und ihrer Ausstrahlung die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich.

Yanira ist aus Buenos Aires und lebt erst seit einem Jahr in Rom. Das römische Lebensgefühl hat sie schon voll und ganz aufgesaugt. “Ja klar, die Männer machen auch hier mal die eine oder andere Bemerkung”, sagt sie. “Doch im Vergleich zu Argentinien, wo Männer einfach keinen Respekt haben und du eine Bulldogge sein musst, damit du sie abwehren und aushalten kannst, ist es hier sehr angenehm.”

In Argentinien fühlte sich Yanira nie sicher, wenn sie die Strasse entlang ging. Unzählige Male wurde sie ausgeraubt. “Egal, wie vorsichtig ich war, jedes Smartphone wurde mir abgenommen.” In Rom hingegen fühlt sich Yanira frei – in jeder Hinsicht. Sie wohnt mit ihrem Freund in einem Studio etwas ausserhalb des Zentrums. “Die meisten anderen mieten sich nur ein Zimmer in einer Wohnung. Doch das wollten wir nicht”, sagt sie.

Yanira hat zwei Universitätsabschlüsse. Sie arbeitet als Übersetzerin für die renommierte Sapienza Universität und als Reiseführerin für Withlocals. Ihr Englisch ist fehler- und akzentfrei. Italienisch spricht sie wie eine Einheimische. Ihre Passion gehört aber dem Tanz. Vor kurzem hat sie ein Stipendium für die Tanzschule La Pirouette ergattert. Jetzt will sie es nochmals wissen. “Jeder denkt, nur weil du aus Argentinien bist, könntest du tanzen, vor allem den Tango . Doch das wird dir nicht einfach in die Wiege gelegt”, sagt sie bestimmt.  Yanira ist sehr glücklich in Rom, hat einen Freund aus Sizilien, will hier eine Familie gründen und ihre Kinder aufziehen. Doch zuvor will sie noch reisen, viel reisen.

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Dass sich Yanira in Italien so wohl fühlt, hat einen guten Grund. Ihre Familie kommt ursprünglich aus Italien, genauer gesagt aus Udine. Ihr Grossvater war, wie so viele andere Italiener, nach Argentinien ausgewandert. Deshalb hat Yanira auch einen italienischen Pass. Vor einem Jahr hatte sie ihre Familie in Udine und danach auch Rom besucht. Sie wusste sofort: das ist mein zu Hause.

Zwei Drittel der Argentinier und damit über 25 Millionen, haben italienische Wurzeln. Nirgends anders gibt es so viele Italienstämmige. Seit dem 19.Jahrhundert wandern Italiener immer dann aus, wenn es dem Land schlecht geht – am liebsten nach Argentinien.

Heute geht der Strom auch in die andere Richtung. Wer italienische Vorfahren hat, kann die Staatsbürgerschaft beantragen. Das machen immer mehr. Zwar geht es Italien nicht unbedingt rosig und wer sich hier umhört, weiss, dass es für die Jugend kaum keine Jobs gibt. Doch besser als in Argentinien, wo die Wirtschaft seit bald 20 Jahren darbt, ist es wohl schon, auch wenn die Löhne in Italien unter Druck sind. Yanira erzählt von einer Freundin aus Argentinien, die drei Universitätsabschlüsse hat und auch nach Italien wollte. Sie hatte ein Jobangebot von einer Sprachschule – für 1300 Euro im Monat. Das war einfach zu wenig. Jetzt lebt sie in Amsterdam.

Was sie nicht mag an Rom? Die Busse. Das sei eine Zumutung mit dem öffentlichen Transport hier und in die hoffnungslos überfüllte U-Bahn musste man sie am Anfang reinschieben. Ach ja und die Bürokratie sei ein Albtraum. “Sie wurde hier erfunden glaube ich”, scherzt sie. Doch nach einer Weile merkt man wie der Hase läuft und dass es nur drauf ankommt, die richtigen Leute zu kennen. Plötzlich gehe alles wie von alleine. Eine richtige Römerin.