Die normale Berichterstattung macht eine Woche Pause – ich muss mal kurz nach New York… Dafür geb ich allen Listen-Liebhabern etwas Diskussionsmaterial.
Erste Liste:
Die fünf besten Stadtparks
Chapultepec ist grösser als der Central Park in New York und bietet mindestens so viel Action. Holzachterbahn, Treetboote, Theater, Schlösser, Jogging a discretion, die besten Strassenverkäufer und und und…
Der letzte Eintrag aus Berlin. Der Moment, die Stadt zu bewerten ist gekommen.
Ein Monat ist nicht viel Zeit, doch genug, um einen Eindruck zu gewinnen, wie eine Stadt tickt. Deshalb haben wir ein Städterating erarbeitet, das sich von den gängigen Modellen der Mercers dieser Welt unterscheidet. Wir achten weniger auf das Bildungssystem, das politische Umfeld und das Gesundheitssystem, sondern mehr auf Faktoren, die eine Stadt einzigartig machen. Das Rating in neun Kategorien geht von 1 (schlecht) bis 10 (grandios) und spiegelt unser rein subjektives Empfinden:
Die Leute: 6
Der Berliner und seine Berliner Schnauze können manchmal etwas ruppig sein. Doch insgesamt habe ich mich hier schon recht zu Hause gefühlt und es ist schön, hier die eigene Sprache benutzen zu können. Hat Spass gemacht, mit den Berlinern zu “schnauzen”.
Kulturelles Angebot: 10
Hier ist immer was los. Ein Dutzend Weltklassetheater, eine vibrierende Musikszene, internationale Stars en Masse, Underground Kunst und Performances in alten Fabrikgebäuden, besetzten Häusern aber auch in Luxustempeln – jeder kommt hier auf seine Kosten.
Food: 8
Hier gibt es alles und zwar auf Top-Niveau. Dazu kommen deutsche und türkische Spezialitäten à discretion…und zwar nicht nur Kebap und Currywurst. In Berlin gibt es kulinarisch an jeder Ecke was zu entdecken. Überall neue Konzepte. Dass die Note nicht noch höher ist, liegt daran, dass andere Städte wie zum Beispiel Los Angeles noch einen Schritt schneller sind.
Preisniveau: 8
Es ist unglaublich, wie preiswert Berlin ist. Die Hauptstadt eines der reichsten Länder der Wet und so günstig wie manch eine Großstadt in einem Entwicklungsland. Das macht den grossen Unterschied zu Städten wie New York oder Paris aus. Weltklasse auch bei den Preisen.
Öffentlicher Verkehr: 8
Zwar ist alles nicht mehr ganz neu aber das macht gar nichts. Die U-Bahn und die Busse funktionieren klasse, der Verkehr insgesamt hält sich in Grenzen und pünktlich ist sowieso alles. Ein leicht besseres Fahrradsytem wäre wünschenswert.
Wetter/Klima: 5
Wir hatten etwas Pech mit dem Wetter. Richtiger Sommer war das nicht. Doch damit muss man in Berlin rechnen. Der Winter kann kühl werden und der Sommer ist unberechenbar. Doch in einer Stadt wie Berlin ist das nicht so wichtig.
Sicherheit: 8
Wir wohnten im berüchtigten Kreuzberg und fühlten uns immer sicher. Es braucht ein paar Tage, bis man sich an das Wirrwarr der Charakteren gewöhnt. Doch sicher ist man hier auf jeden Fall.
Fun/Feel Good Factor: 8
Berlin ist eine dieser Städte, wo man einfach loslaufen und ne gute Zeit haben kann. Das macht Spass.
Coolness/Kreativität: 10
Hier haben die Coolen und Kreativen Europas ein neues zu Hause gefunden. In Berlin ist noch alles möglich und das spürt man. Inspiration und Faszination an jeder Ecke; man muss nur etwas die Augen öffnen und an den unendlichen Spätkaufs und Kebapbuden vorbeischauen.
Gesamtergebnis: 71 Punkte – DER SPITZENPLATZ
Damit werden Los Angeles und Tokio auf den zweiten Platz verwiesen.
„DU BIST VERRÜCKT MEIN KIND, DU MUSST NACH BERLIN.“
sagte der österreichische Dichter und Komponist Franz von Suppé schon im 19. Jahrhundert und das gilt noch immer. Bist du auch verrückt? Dann muss du auch nach Berlin. Hier sind ein paar Tipps:
Markthalle Neun
Ja, ich weiss, die Markthalle Neun steht in jedem Trendführer. Doch das hat seinen guten Grund. Hier gibt es den besten Street Food in Berlin und dazu noch tolle Marktstände. Die Focaccia von Sironi, das BBQ von Big Stuff Smoked BBQ, das frisch gebraute Bier von Heidenpeters, die immer wechselnden Gerichte von Bone und die deutschen Spezialitäten des Weltrestaurant Markthalle. Alles ist absolute Perfektion. Kleiner Tipp: Kommt nicht am Donnerstag Abend, wenn hier die Party steigt, denn da bricht die Halle aus allen Nähten.
Spindler
Hier geht ihr nur zum Brunch hin. Direkt am Paul-Linke-Ufer in Kreuzberg könnt ihr bei Spindler wunderschön draussen sitzen. Doch der Hauptgrund, warum ihr hier seid, ist der Blueberry Pancake. Ja, ihr habt richtig gehört, ein Pancake American style. Best ever sag ich da nur.
T’unas Gemüsekebap
Gemüsekebap ist der König von Berlin. Die Meisten gehen zu Mustafa’s am Mehringdamm . Der schmeckt zwar auch super, doch wer will schon eine Stunde Schlange stehen. T’unas Gemüsekebap ist mindestens so gut und man kriegt ihn ohne Anstehen gleich beim Schlesischen Tor. Gemüse ist übrigens nicht wirklich viel drin in dem Kebap. Doch die Gewürzmischung, das Hühnchen, das frische Brot und die Saucen sind einmalig – und das alles für 3.20 Euro.
Der Hahn ist Tot!
Hier wird mit Liebe gekocht. Das Menu für unter 30 Euro ist ein genialer Deal. Gute Stimmung ist garantiert. Alles regional und einfach nur Wohlfühlfood – das ist Der Hahn ist Tot!
Burgermeister
Der Klassiker unter den Berliner Burger-Schuppen. Burgermeister ist der einzige Burgerladen, der es mit IN N OUT aufnehmen kann. Die Lage könnte nicht cooler sein. In einer alten Toilette am Schlesischen Tor. Ich empfehle den Hausmeister.
Concierge Coffee
Den wohl besten Espresso der Stadt gibt es bei Concierge Coffee. Fast etwas dickflüssig und mit der sauren Note, die guten Espresso ausmacht. WOW.
Dazu noch
Es gibt zu viel entdecken in Berlin. Deshalb noch ein paar Namen, die ihr dann googeln müsst: La Lucha (Mexikanisch mit Twist), Cocolo Ramen (Erstklassiger Ramen in Mitte und Kreuzberg), Zola (Pizza Napoli Style), Geist im Glas (Huevos Rancheros), 3 Schwestern (schönste Terrasse und leckere Käsespätzle)
Pandafieber in Berlin. Die Pandadame Mengmeng isst genüsslich Bambushalme in ihrem Gehege im Zoo. Seit ein paar Wochen hat der Berliner Zoo zwei Pandas. Ob ihrs glaubt oder nicht, die beiden Bären sind DAS Stadtgespräch.
Auch ich habe Pandafieber. So stehe ich in der ersten Reihe vor dem riesigen offenen Pandagehege. Die Berlinerin neben mir ist ganz entzückt: “Ich habe mir sofort eine Jahreskarte gekauft, als ich das mit den Pandas gehört habe und bin jeden Tag zweimal hier. Mengmeng ist mir schon so richtiges Herz gewachsen.”
Ich war überrascht zu hören, dass es in Europa neben Berlin nur in drei weiteren Zoos Grosse Pandas gibt und zwar in Wien, Edinburgh und Beauval. Die Berliner Pandas gehören übrigens weiterhin China und sind nur ausgeliehen. Trotz der Artenschutz in China sind Pandas vom Aussterben bedroht.
Seelenruhig lässt sich das sechs Jahre alte Männchen Jiao Qing hinter Glas fotografieren. Ab und zu dreht er eine kleine Runde durch sein 80 Quadratmeter grosses „Wohnzimmer“, um sich danach wieder auf seinen Holzthron zu hocken, Bambus zu knabbern und den Menschen hinter der Glasscheibe zuzusehen.
Mengmeng ist gerade vier Jahre alt geworden und ist deutlich aktiver. Sie klettert gerne auf die kleine Eiche, was den Zoowärtern gar nicht so passt, und ist auch sonst für jeden Schabernack zu haben; ausser natürlich, wenn sie Bambus isst, dann ist Mengmeng hoch konzentriert.
Dass es immer noch so wenige Pandas gibt – es sind unter 2000 – liegt nicht zuletzt daran, dass die Paarung in der freien Wildbahn schwierig ist. Die Weibchen sind nur 2 bis 7 Tage im Jahr Empfangsbereit und dann ist oft das Problem, dass sie nicht genau wissen, wo die Männchen sich so rumtreiben. Abholzung, Verkehr und Landwirtschaft haben die Lebensräume der Pandas zerstückelt. Pandas leben nur in China und zwar mitten im Land .Das Habitat der Pandas sind subtropische Berghänge mit dichter Bewaldung. Hier leben sie im Sommer in Höhen von 2700 bis 4000 Metern, im Winter wandern sie in tiefergelegene, oft rund 800 Meter hohe Gebiete ab.
30 Kilo Bambus pro Tag futtern die Pandas. Richtig verdauen können sie das Gestrüpp aber nicht. Nur 20% wird verarbeitet und Nährwert hat Bambus auch kaum. Das ist auch der Grund, warum der Panda oft faul herumliegt. Er muss Energie sparen. Kein Faulpelz also, sondern ein schlauer Fuchs.
Mengmeng ist in der Zwischenzeit wieder auf die Eiche geklettert. Das braucht bestimmt die ganze Energie von 5 Kilo Bambus. Doch das ist ihr egal. Sie wollte auf den Baum und da ist sie jetzt auch drauf. Sie scheint sich wohl zu fühlen in Berlin.
Es ist Freitag Abend kurz vor zehn. Ich fahre auf meinem silbernen 80er Jahre Rennrad der Marke “Motobecane” vom Schlesischen Tor Richtung Lausitzer Platz, als ein ohrenbetäubendes Geschrei losbricht. Was ist da bloss los? Streitet sich da jemand, gibt es eine Prügelei, wird demonstriert oder ist es ein freudiges Ereignis? Ein Polterabend, eine grosse Party, gibt es was umsonst?
Ich halte an und schaue mich um. Woher kommen die Stimmen? Es ist definitiv kein Streit, sondern ein ausgelassenes Rufen, Schreien und Grölen, wie ich es nur vom Fussball kenne. Doch im Moment ist Sommerpause. Da kann eskaum ein Fussballspiel sein; oder jubeln die Berliner der deutschen Frauennationalmannschaft an der EM oder der Hertha im Freundschaftsspiel gegen Liverpool zu?
Ich sehe eine Menschentraube vor einer Bar. Ich schliesse mein Fahrrad ab und gehe auf das Oberbaumeck an der Bevernstrasse zu. Die Bar ist gerammelt voll. Auf zwei Grossbildschrimen läuft tatsächlich Fussball. weitere dreissig bis vierzig Typen, die drinnen keinen Platz mehr haben, stehen mit einer Flasche Bier draussen und starren durch das Fenster des Oberbaumecks gebannt auf die Mattscheibe. WM-Feeling pur. Jetzt will ich aberendlich wissen, was hier gespielt wird, bzw. wer hier spielt.
VfL Bochum – St. Pauli 0:1 – steht oben links auf dem Screen. Was? 2. Bundesliga? St. Pauli in Berlin? Ich traue meinen Augen nicht. Doch es ist tatsächlich so. In Kreuzberg gibt es für die Meisten nur einen Verein und der ist nicht etwa die Hertha aus Berlin und auch nicht der 1.FC Union, sondern St. Pauli aus Hamburg. Der Verein, der durch seine Authentizität und richtigen handgemachten Fussball ohne Grossinvestoren glänzt, ist für viele Kreuzberger das einzige, was zählt. Hamburg als Stadt können sie zwar nicht riechen, aber St. Pauli, das ist Herzenssache.
“Der Buchmann hat ne unglaubliche Kiste reingeballert” sagt der Typ neben mir. “Das war so geil” meint sein Kumpel. Wenn St. Pauli spielt, dann ist in Kreuzberg Ausnahmezustand. Ich kann es kaum fassen. Es sind 75 Minuten gespielt und St. Pauli führt noch immer 1:0 und das Auswärts. Ich schwinge mich wieder auf mein Motobecane und radle Richtung Wohnung.
An unserer Hausecke komme ich an der “Weissen Taube”, eine Bar oder treffender eine Kneipe, die in Kreuzberg zum Inventar gehört, vorbei. In der Weissen Tauber läuft meistens Heavy Metal, haben Hipster Hausverbot und sowohl Fipperkasten als auch Kicker haben Hochkonjunktur. Wenn Fussball läuft, dann gilt in der Weissen Taube: 10 Cent Getränkezuschlag und Kaffee kriegt man dann ganz bestimmt keinen – das geht zu lange sagt der Barkeeper. Auch in der Weissen Taube gibt es heute nur ein Thema. Das Spiel St. Pauli gegen Bochum. Es läuft die 84. Spielminute. Die Paulianer verteidigen mit Mann und Maus. Ein Raunen geht durch die Menge, als Hornschuh noch gerade so mit dem Kopf klären kann.
Schlusspfiff. Das Spiel ist aus, St. Pauli gewinnt und ist der erste Tabellenführer der gerade angepfiffenen Zweitligasaison. Berlin hat einen Grund zum Feiern. Der Barkeeper kann sich vor Bestellungen kaum retten. Ohne den Getränkezuschlag kostet das Bier jetzt nur noch 2.20 Euro. Hummel Hummel…Mors Mors.
Ein halbe Stunde nördlich von Berlin liegt die Kleinstadt Oranienburg. Vom Bahnhof aus laufe ich zwanzig Minuten durch typisch deutsche Siedlungen und Einfamilienhäuser. Hier scheint die kleinbürgerliche Welt noch in Ordnung zu sein.Die Hecken sind fein säuberlich geschnitten, die Vorhänge gut zugezogen und die Autos fisch gewaschen. Dann eine grosse Betonmauer. “Gedenkstätte Sachsenhausen” steht da drauf.
Hier war das Konzentrationslager Sachsenhausen. Das Kontentrationslager aller Konzentrationslager. Hier befand sich die Schaltzentrale, die über alle Konzentrationslager des Deutschen Reichs bestimmte und sich all die unvorstellbaren Grausamkeiten und Gräueltaten ausdachte, die in Auschwitz, Buechenwald, Dachau und den anderen Lagern ausgeführt wurden. Insgesamt wurden im Holocaust über 5 Millionen jüdische Menschen ermordet.
Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie ich mich hier fühle, als ich durch das Eingangstor mit der Aufschrift “ARBEIT MACHT FREI” gehe. Es ist surreal und doch so wirklich. 200’000 Gefangene waren in Sachsenhausen. Viele haben das nicht überlebt und wer hier lebend rausgekommen ist, der hat das sein Leben lang nicht vergessen.
Das Häftlingslager wurde in Form eines gleichschenkligen Dreiecks angelegt. Alle Gebäude waren symmetrisch um die Mittelachse gruppiert und auf den Turm A, den Sitz der SS-Lagerleitung ausgerichtet. “Geometrie des Terrors” nannte man diese Anordnung. Grausam.
1939 wurde das erste lagereigene Krematorium errichtet. 1942 folgte mit vier Verbrennungsöfen, Leichenhalle, Genickschussanlage und ab 1943 auch mit einer als Bad getarnten Gaskammer.
Die SS hielt den Terror bis Kriegsende aufrecht. Mehr als 30 000 Häftlinge wurden am 21. April 1945 auf Todesmärsche Richtung Nordwesten getrieben.
Wie schlimm es wirklich war kann man heute nur noch erahnen. Doch so richtig vorstellen kann ich es mir nicht. Zu sauber ist es hier mittlerweile. Ein wenig Licht ins Dunkel bringt ein Zitat des evangelischen Pfarrers Martin Niemöller, der als persönlicher Gefangener des Führers in Sachsenhausen festgehalten wurde. Auf die Frage, ob es denn wirklich so schlimm war antwortete er: “Nein, es war noch tausend mal schlimmer.”
Ich weiss, dass es nicht unbedingt der ideale Wochenendausflug ist, mal so zur Erholung ins KZ zu gehen. Doch ab und zu sollte man auch mal was machen, das unangenehm ist und einen noch Tage und Wochen danach beschäftigt. Denn bei allem Guten im Menschen ist es wichtig, immer daran zu denken, dass es auch anders sein kann und dass jeder einzelne von uns das seine dazu beitragen sollte, dass sowas nicht wieder passiert.
Ich war wohl etwa 11 Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit dem deutschen Künstlers Joseph Beuys in Kontakt kam. Ich glaube, es war eine Ausstellung in Düsseldorf und die Geschichte, die am Familientisch erzählt wurde, war die einer mit Fett und Dreck gefüllten Badewanne, die Beuys im Museum aufgestellt hatte und die dann über Nacht vorn einer übereifrigen Putzfrau blitzblank geputzt wurde. Was für ein Scharlatan, dachte ich damals. Kunst ist das sicherlich nicht. Ich habe keine Ahnung, ob die Geschichte mit der Badewanne stimmt, doch so ist sie mir in Erinnerung und so passt sie auch hervorragend zu Joseph Beuys.
Meine frühe Meinung zu Beuys deckt sich mit seiner Eigenen. Der Mann mit dem Hut hatte sich nie als Künstler verstanden. “Erst wenn wir uns alle Künstler nennen, dann bin ich auch ein Künstler” hatte er immer gesagt. Auch mir ging es immer so, dass ich nicht recht wusste, was ich von den grossen Filz- und Fettskulpturen halten sollte, die ich schon so oft im Museum gesehen hatte. War Beuys ein Scharlatan, der seine Person und seine Visionen geschickt verkaufen konnte oder war er ein Genie?
Hier in Berlin im Hamburger Bahnhof gibt es eine der grössten Beuys-Sammlungen zu sehen. Dazu läuft derzeit gerade der Dokumentarfilm Beuys in den Kinos, der einem den Meister näher bringt. Unsere Museumsführerin im Hamburger Bahnhof brachte ein wenig Licht ins Dunkel der Kunst von Joseph Beuys. Die “Richtkräfte einer neuen Gesellschaft” genannten Wandtafeln, die scheinbar wahllos in einem Raum verstreut waren, finde ich seither umwerfend gelungen.
1974 beschriftete Joseph Beuys 100 britische Schultafeln aus den 60er-Jahren mit seinen gesellschaftlichen Theorien für die Ausstellung „Art into Society – Society into Art“ in der Kunsthalle ICA in London. Über die Galerie René Block in New York zog das Kunst-Objekt zur Biennale in Venedig, anschließend nach Berlin in die Neue Nationalgalerie, dann in den Hamburger Bahnhof.
100 Tafeln, bei denen auf einer an den Enden einer Linie die Worte „east“ und „west“ geschrieben waren und in der Mitte über einer Trennlinie die Worte „Eurasia“ und „Berlin wall“ – die Mauer als Linie der Trennung zweier unterschiedlicher Denksphären, die Beuys als „westlichen Privatkapitalismus“ und „östlichen Staatskapitalismus“ bezeichnete. “Show you wound” steht immer wieder auf den Tafeln. Zeige Deine Schwächen”, getrau dich, denn die Schwäche kann deine Stärke sein. Beuys kann man durchaus als Erfinder der Aktionskunst und der multimedialen Kunst sehen.
Beuys war seiner Zeit sowas von voraus. Er hat schon vor 30 Jahren die richtigen Fragen gestellt, weil er in den politischen Raum hineingedacht hat und den Fragen nicht nachgelaufen war. Beuys war “Der Mann am Haupthebel”, der immer Ideen hatte und diese dann auch Konsequent umsetzte und dabei stand er immer auch selbst am Hebel.
“Das erste Produkt menschlicher Kreativität ist der Gedanke” sagt Beuys im Dokumentarfilm “Beuys”. Gedanken = Plastik = Freiheit. Gedanken können die Welt verändern. Das hört sich idealistisch an; stimmt aber.
Beuys stand auch politisch oft direkt am Hebel. Er war Mitgründer der Grünen Partei, warnte vor der eigenständigen Vermehrung des Geldes die Finanzkrise lässt grüssen), sorgte sich um die Umwelt und das Wohl der Allgemeinheit und durchbrach immer wieder Grenzen. Ein kleines Beispiel seiner Sturheit:
Nachdem Kunstprofessor Beuys im Juli 1971 insgesamt 142 von der Akademie abgelehnte Studenten in seine Klasse aufgenommen und das Sekretariat der Kunstakademie besetzt hatte, entließ ihn der damalige Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD). Studenten reagierten mit Hungerstreik und Vorlesungsboykott, Künstler und Schriftsteller wie Heinrich Böll, Martin Walser, David Hockney, Gerhard Richter und Günther Uecker machten sich für seine Wiedereinsetzung stark.
Also, ich habe mich entschieden. Der Mann mit dem Hut ist sicher kein Scharlatan, sondern einer der wichtigsten Deutschen seiner Generation. Jeder, der über Beuys lacht oder verständnislos vor seinen skulpturartigen Werken steht, sollte ihm noch eine Chance geben. Deutschland ist ärmer ohne Beuys. Verstorben ist er 1986 – drei Jahre vor dem Mauerfall. Doch in seiner Kunst (auch wenn er sie selber nicht so nennt) lebt er weiter.
Eine Fussgängerzone, eine Rockband, die auf einem von Betonwänden umzingelten Platz spielt, Kids, die rumsitzen und am Rande der Siedlung ein grosses, funkelndes Shopping Center. Ich bin in Berlin Marzahn–Hellersdorf – dem Stadtteil im Osten Berlins mit der grössten Plattenbausiedlung der Welt.
Es ist überraschend grün hier in Marzahn. Grosse Wiesen, Wälder rundherum und gar nicht so das düstere Bild, das man von einer Plattenbausiedlung in der Regel hat. Plattenbauten sind für mich der typische Baustil einer Grossstadtsiedlung in der ehemaligen DDR. Doch entstanden ist der Plattenbau weit davor.
Die Abkehr vom Historismus und seinen verspielten Formen und der Verzicht auf Dekoration und die Verwendung einheitlicher Materialien förderte ein uniformes Erscheinungsbild der Gebäude. Einheit und Gleichheit. Das war die Idee des Plattenbaus.
Die ersten Plattenbauten gab es in New York, genauer gesagt in Forrest Hills im Stadtteil Queens. Das war 1910. In Deutschland hielt der Plattenbau 1925 in der Frankfurter Siedlung und ein Jahr später in Berlin-Lichterberg Einzug. Auch Le Corbusier hatte seine Finger im Spiel. Der Verzicht auf Dekoration, fabrikgefertigte Einzelbauteile, die sogenannten Platten, machten den Bau schnell und für die damalige Zeit auch modern.
Viele der ersten Siedlungen sind architektonisch durchaus wertvoll und erinnern an das Prinzip der Funktionalität, das von der Bauhausbewegung gepredigt wurde. Dieses Prinzip nahm sich die Deutsche Demokratische Republik zum Vorbild, trieb es aber einen Schritt zu weit.
Mit dem staatlichen Wohnungsbauprogramm von 1972, das die Beseitigung des Wohnraummangels bis 1990 zum Ziel hatte, wurde der Plattenbau zum wichtigsten Neubautyp erhoben. Neue Stadtteile oder ganze Städte mit bis zu 100.000 Einwohnern, wie Halle-Neustadt, wurden meist gänzlich in Plattenbauweise errichtet. Im Rahmen des Wohnungsbauprogramms wurden insgesamt etwa drei Millionen Wohnungen neu gebaut oder saniert. In der DDR wurden die Bauten übrigens nicht Plattenbau, sondern ganz einfach Neubau genannt.
Während das Plattenbauprinzip im Osten Deutschlands, zumindest was den sozialen Frieden angeht, sehr gut funktioniert, werden die Siedlungen in Westdeutschland schnell zu sozialen Brennpunkten. Die Bewohnerstruktur der Siedlungen zeichnet sich teilweise durch höhere Arbeitslosigkeit sowie verstärkte Migrantenanteile aus. Diese Unterprivilegierung führt meist zu einer überdurchschnittlich hohen Kriminalitätsrate.
In den letzten Jahren werden in Deutschland und Berlin immer mehr Plattenbauten abgerissen und sollen neuen zeitgerechten Bauten weichen. Einige Plattenbauten werden jedoch auch saniert, wie hier in Marzahn. Die Gebäude sind neu verpackt, modernisiert und aufgepeppelt. Es schient gut zu funktionieren. Leere Wohnungen sind hier nicht auszumachen. Zwar steigt die Jugendkriminalität, besonders unter den 8 bis 14-jährigen in Marhzahn-Hellersdorf leicht an, hält sich aber insgesamt noch im Rahmen.
Nochmals zur Ausgangsfrage. Waren Plattenbauten ein architektonisches Verbrechen oder eine geniale Vision der Zukunft? Ich lege mich da mal nicht ganz fest. Optisch finde ich diese riesigen Bauten schon ein Dorn im Auge und somit sind sie visuell sicher mehr Verbrechen als Vision. Doch in der Nachkriegszeit und angesichts der akuten Wohnungsnot gab es wohl keine bessere Lösung.
Noch ein kurzer Seitenblick. Rund um den Alexanderplatz in der Mitte von Berlin gibt es unzählige Plattenbauten. Einige davon sind mittlerweile extrem beliebt. Hipster, Journalisten, Künstler, Harz-4-Empfänger und ein paar Alteingesessene wohnen hier Schulter an Schulter. Die geniale Aussicht, die zentrale Lager und die erschwinglichen Mieten sind kaum zu schlagen. Die Platte und ihre strenge Ästhetik wurde zumindest hier rehabilitiert.
Ich hatte 10 Pfennig und wusste ganz genau, wo die hinkommen. Die würde ich vorne an der Ecke des Fuhlsbütteler Wegs und des Garstedter Wegs in Hamburg in den Kaugummiautomaten schmeissen und dafür hoffentlich den kleinen Schlüsselanhänger aus Plastik aus dem Kasten ziehen. Ich glaube, ich habe es nie geschafft, den Schlüsselanhänger rauszukriegen. Stattdessen waren es immer drei kleine, nur nach Zucker schmeckende Kaugummis, die ich aus dem Automaten geholt hatte. Stolz schlich ich dann jeweils mit meiner Beute von dannen und teilte mir die Kaugummis ganz genau ein, denn es konnte ein paar Tage dauern, ehe ich wieder 10 Pfennig hatte, die ich in den Automaten stecken konnte.
Als ich hier in Berlin am ersten Tag die Lausitzer Strasse runterlaufe, traue ich meinen Augen nicht. Da hängt er, genau dieser Kaugummiautomat aus meinen Kindertagen. Runtergekommen, verrostet, die kleine Scheibe auf der Vorderseite so mitgenommen, dass ich kaum erkennen kann, was sich darin befindet. Es sind genau die Kaugummis, die ich damals aus dem Kasten geholt habe. Sie sehen so aus, als ob sie seit damals nie ausgewechselt wurden.
Wer steckt heute noch Geld in solche Automaten? Nichts, aber auch gar nichts könnte mich dazu bewegen, aus diesem ekligen Ding, Kaugummis rauszuziehen. Haben die Kids heutzutage nicht andere Hobbies? Sind die Unterhaltungsmöglichkeiten im Zeitalter von iPhone und Xbox nicht einen Schritt weiter und ist der Kaugummiautomat da nicht ein Relikt von gestern?
An der nächsten Ecke hängt noch ein Automat. Drei Kids drehen den Knopf. Kaugummikugeln Marke “Rainforest”, in irren Pastellfarben, für redliche 20 Cent. Rund um den Einwurfschlitz ist der weiße Lack abgeplatzt. Ein grosser, giftgrüner Kaugummiball fällt raus. Ein strahlendes Gesicht. “Kann ich den haben?” fragt der eine. “Nee, den bewahre ich mir für heute Abend auf” entgegnet der etwas kleinere Glückspilz mit der Kaugummikugel und macht sich aus dem Staub.
Einige Sachen scheinen sich nicht verändert zu haben. Kaugummiautomaten sind noch immer gefragt – egal wie alt, verrostet, verklebt, verkritzelt und unappetitlich die Dinger aussehen. Seit mehr als 60 Jahren hängen diese Kisten an Deutschlands Hauswänden, die ersten wurden aus den USA importiert. Gut eine halbe Million gibt es in der Bundesrepublik noch, in Berlin sind es etwa 60.000, schätzt der Bundesverband der Automatenaufsteller. 60’000!!!
Um ein Geschäft mit den Automaten zu machen, muss man mindestens 2000 davon besitzen. Pro Jahr variiert der Umsatz je nach Standort zwischen schlappen 10 und 350 Euro. Eine Bewilligung für den Standort braucht es nicht, sondern es besteht meist eine Abmachung mit dem Hausbesitzer, der ein paar Prozent des Umsatzes bekommt. Eine schräge Sache, diese Kaugummiautomaten. Ich habe die sonst in keinem Land der Welt gesehen,
In Japan gibt es Kapselautomaten. Doch da sind jeweils die neusten Minigadgets und Figuren der letzten Pokemon-Generation drin. In Deutschland ist es noch immer die Kaugummikugel.
Auf kaum einen Stadtteil in Europa schaut man mit so viel Begeisterung und gleichzeitig Entsetzen wie auf Kreuzberg.
Alles begann 1959 in der Oranienstrasse mit der Galerie „Zinke“, die der Schriftsteller und Maler Robert Wolfgang Schnell, der Lyriker und Holzschneider Günter Bruno Fuchs, der Maler Sigurd Kuschnerus und der Bildhauer Günter Anlauf 1959 gründeten.
Wenn in der „Zinke“ Robert Wolfgang Schnell Dada-Pamphlete vortrug oder der Blechtrommler Günter Grass las – vor Publikum, das aus der ganzen Stadt anrückte, konnte es vorkommen, dass sich übel gesonnene Hausbewohner gegen den Lärm wehrten, in dem sie ihre Plattenspieler laut aufdrehten und der „Babysitter Blues“ durch den Hinterhof dröhnte.
Der „Kreuzberger Montmatre“ war die Begriffsprägung dieser Zeit, die auch international reüssierte und sowas wie den ersten Kreuzberg-Mythos darstellt: das Boheme-Viertel im Kleine-Leute Bezirk, nicht so schick wie sein Pariser Pendant, sondern gekennzeichnet vom Mief und Dunkel der Hinterhäuser und dem Gestank von abgestandenem Bier und kaltem Zigarettenrauch.
Die alten Berliner, häufig selbst einmal aus Schlesien oder Pommern zugezogen oder als Flüchtlinge nach dem Krieg in den Kiez gekommen, zehren von den überkommenen und inzwischen brüchig-gewordenen Strukturen der Stadtteil-Vergangenheit.
Die seit 1964 nach Berlin geholten so genannten „Gastarbeiter“ – mehrheitlich aus der Türkei – holten ihre Familien nach und fanden in den billigen Altbauquartieren Kreubergs Wohnungen auf Zeit. Sie versuchten, in Kreuzberg ihre alte Heimat wieder aufzubauen.
Und dann – im Gefolge von 1968 – kommen jungen Leute nach Kreuzberg, ausgerissen aus der Enge westdeutscher Kleinstädte, angezogen vom revolutionären Gedanken und vom neuen antiautoritären Lebensgefühl in der Mauerstadt: Studenten, Bundeswehrflüchtlinge, Abenteurer, Musiker, Künstler. Anders zu sein als die Eltern, das Neue zu wagen, nie Gekanntes auszuprobieren, gesellschaftliche Zukunftskonzepte ausmalen und sofort und jetzt zu leben.
Das “andere Leben” hier verspricht Selbstverwirklichung. Galerien, Kneipen, Off-Theater – der Kreuzberg-Kosmos. In den 80er Jahren kippt das Image: Kreuzberg steht nun für Randale und Strassenschlachten zum “1. Mai”, für Gewalt und Gegengewalt.
In Kreuzberg treffen Gegensätze aufeinander. Die ehemaligen Gastarbeiter, die mittlerweile in der zweiten und dritten Generation hier sind, die alten Berliner, die hier zu Hause sind und nie wegziehen würden, die Künstler, Hänger, Revoluzzer und Randexistenzen und dann natürlich mittlerweile die Hipster und Kreativen aus ganz Europa, die dem Ganzen eine neue Würze geben.
Ein Melting Pot ist dies dennoch nicht unbedingt. Hier wird eher nebeneinander als miteinander gelebt. Doch das wichtigste: Man lässt sich gegenseitig in Ruhe und lässt Freiräume offen. Toleranz an jeder Ecke. Ich hab hier noch keine Streitereien über die kulturellen Grenzen hinaus gesehen. Kreuzberg lebt, und wie!