12 in 12 – Birding als Lebenselixir

Zu dritt sitzen sie auf einer Bank mitten im Tompkins Square zwischen Avenue A und B. Sie haben ein Fernglas und einen Fotoapparat mit riesigem Teleobjektiv um den Hals. Alle sind so zwischen 50 und 60 Jahre alt, tragen eine blassgrüne Parka, weisse Turnschuhe und schon etwas abgetragene Jeans.

Sind sie das jetzt etwa diese berühmten Paparazzi, die den Stars nachjagen, um das beste und unvorteihafteste Foto zu schiessen? Doch auf wen warten sie? Hier in Alphabet City sind nicht unbedingt die grossen Stars zu Hause. Doch man weiss ja nie. Lady Gaga soll sich hier für eine Wohnung interessieren und Madonna wohnte ja auch mal hier in der Nähe.

Plötzlich springen sie alle drei auf und laufen ganz aufgeregt Richtung Parkmitte. Haben sie Gaga entdeckt? Ich auf jeden Fall kann sie nicht sehen. Doch die Jungs sind ja auch Profis.  Sie richten das Fernglas nach oben. Nach oben? Ja, nach oben. “I got it”, sagt einer und wechselt sein Fernglas gegen seine Kamera aus. Klick und nochmals klick. Der Money Shot ist m Kasten. Ich traue mich erst nicht, die drei zu stören. Doch dann tue ich  es trotzdem. “Was fotografiert ihr denn da oben?” will ich wissen. “I discovered a Magnolia Warbler” oder auf Deutsch: “Ich habe einen Magnoliensänger entdeckt”. Ich schaue hoch in die Baumkrone der grossen Birke. Tatsächlich. Da ist er. Keine Lady Gaga, sondern ein Vogel. Die gelbe Kehle, die hervortretenden schwarzen Längsstreifen auf der gelben Brust und die breit schwarz gerandeten Schwanzfedern. Ein Prachtsexemplar.

“Wir sind Birder oder von mir aus auch Bird Watcher“, sagt Bob, der sich inzwischen vorgestellt hat. Er mache das seit Jahren, wieviele genau will er mir nicht sagen. Er sei jeden Tag hier im Tompkins Square. Manchmal gehe er aber in den Central oder Prospect Park und ein paar Mal im Jahr auch auf einem “Field Trip”. Es gäbe rund 300 verschiedene Vogelarten in New York, eine der artenreichsten Vogelgegenden in den USA. Davon habe er schon fast 200 fotografiert. Noch viel zu tun also. Ich wage nicht, zu fragen, was er davon habe. Doch denken tue ich das schon.

85 Millionen Amerikaner sollen sich für Vögel interessieren. Das reicht vom gelegentlichen Füttern von Vögeln bis hin zum total angefressenen Vogelbeobachten tagein tagaus. “Du kannst immer und überall Vögel beobachten und wenns dunkel ist, dann hörst Du dir das Gezwitscher an und wenn du gut bist, weisst du genau, welcher Vogel da singt.” meint Bob. “Vögel sind mein Lebenselixir” sagt er noch.

Ehrlich gesagt, finde ich es schon etwas amüsant, dass hier drei erwachsene Männer nichts anderes tun, als Vögel zu beobachten – tagein tagaus. Doch ich muss auch sagen, dass schon nur die halbe Stunde, die ich auf der Bank sass und Vögel im Visier hatte, sehr beruhigend und erfrischend war. Vögel beobachten hat etwas unschuldiges und entschleunigendes. Und ist es nicht gerade das, was oftmals so wichtig ist. Das Leben entschleunigen und dem Stress des Alltags, des immer alles schnell und aufregend zu gestalten zu entfliehen – zumindest ab und zu?

Ich habe keine Ahnung, wie sich Bob und seine zwei Kumpanen so ein Leben leisten können. Doch “good for them”.  Seit ich mit Bob gesprochen habe, fallen mir die Vogelbeobachter in New York an jeder Ecke auf. Teilweise sind es Gruppen von 20 oder mehr, die alle mit dem Fernglas und der Superkamera bewaffnet an irgendeinem Busch stehen und glänzende Augen haben.  Was auch immer man vom Bird Watching halten mag – auf jeden Fall ist das um Meilen besser als Plain Watching. An einem Flughafen zu stehen und die Nummern der ankommenden Passagierflugzeuge aufzuschreiben ist einfach nur…na sagen wir mal…schräg.

Wie ernst man Birding nehmen kann, könnt ihr auch im Film The Big Year mit Steve Martin, Jack Black und Owen Wilson verfolgen:

 

 

 

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