Die Klingel unter dem Zifferblatt drücken und kurz warten. Jemand meldet sich durch die Gegensprechanlage. Ich sage: “Zifferblatt” und schon geht die Tür auf. Zwei Stockwerke nach oben. Da ist es wieder dieses Schild mit dem Zifferblatt. Wir stossen die Tür auf. Ist das der falsche Eingang? Hier wohnt doch jemand.
„Kommt rein“ ruft eine junge Frau. Das machen wir. Die junge Frau heisst Olya und fragt uns, ob wir was zu trinken wollen.
Wir sind hier richtig. Goldrichtig. Das ist es also. Das Original Anti-Café. Das „Ziferblat“ an Moskaus Nobelmeile Tverskaya. Gemütlich ist’s hier. Das Konzept ist einfach. Du zahlst nach der Zeit, die Du hier verbringst. Kaffee, Tee, Kuchen, kleine Häppchen und alles was du sonst konsumierst ist umsonst. Die erste Stunde kostet drei Euro, danach zwei und ab Stunde vier ist es ganz umsonst. Hier sollst Du verweilen und dich wohl fühlen.
Hier kannst Du Dich unterhalten oder ein Buch lesen und wenn es sein muss auch im Netz surfen oder Deinen Laptop aufklappen. Hier verkehren Künstler und Studenten aber auch ganz normale Moskauer, die einfach einen Gang zurückschalten wollen. Hier setzt sich mal einfach einer ans Klavier oder fragt Dich, ob Du Lust auf eine Partie Schach hast. Doch eines ist es hier ganz besonders: Eine Oase der Ruhe in einer Stadt, die den Kapitalismus für sich entdeckt hat. Das offizielle Motto: Im Ziferblat darfst Du alles, solange Du Rücksicht auf Deine Mitbesucher nimmst.
Mittlerweile gibt es diese Anti-Cafés in Moskau an jeder Ecke. Auch in London und Berlin hat das Konzept Fuss gefasst. Doch keines ist wie das Ziferblat, das der Lebenskünstler Ivan Mitin 2011 gegründet hat. Während andere genau ausrechnen, was die Stunde kosten muss, damit sich die Sache lohnt, ist Mitin noch immer kein Geschäftsmann. Ohne Gönner könnte das Anti-Cafe nicht überleben. Zum Glück gibt es viele Gleichgesinnte, denen es wichtig ist, dass es nicht nur Starbucks & Co. gibt, sondern auch Freiräume für alle, die kein dickes Portemonnaie haben. Die Welt braucht mehr Zifferblätter…