12 in 12 – Neulich im Kreml

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Er kommt direkt aus dem Kreml, genauer gesagt aus Putins Büro. Unauffällig gekleidet, Krawattennadel, blaugrauer Anzug und eine  schwarze Aktenmappe in der Hand. Das kann nur Anatolij Maximovich Pyrozkov sein. Der Mann aus Kiev soll eine zentrale Rolle spielen, wenn es um die Zukunft der Ukraine geht. Auf welcher Seite er steht, ist nicht mal seinen engsten Vertrauten so richtig klar.

Was hat Pyrozkov mit Putin besprochen und was ist in der Aktenmappe? Wer hat hier wem ein Ultimatum gestellt, was steht auf dem Spiel und wer hat die besseren Karten? Bahnt sich hier gar eine geopolitische Krise an? Pyrozkov, der oft auch „Der Fuchs“ genannt wird, soll auch im Weissen Haus seine Kontaktleute haben. Eine undurchsichtige Sache. Hat er Putin die Nachricht übermittelt, dass über die Krim hinaus in der Ukraine keine Machtansprüche  geltend gemacht werden können oder macht sich Pyrozkov zurück auf dem Weg nach Kiev, um Präsident Poroschenko klar zu machen, dass jeglicher Widerstand zwecklos ist?

Die Antwort liefert nur die schwarze Aktenmappe. Pyrozkov eilt mit forschem Schritt Richtung Haupttor zur Trotskiy-Brücke. Ich hefte mich an seine Fersen. Keiner scheint ihn zu bemerken. Die Masse chinesischer Touristen schirmt mich ab. Raus aus dem Kreml. Es wird langsam dunkel. Ich darf ihn nicht verlieren. Hastig läuft „Der Fuchs“ die Treppe zur Metrostation Aleksandrovsky hinab und steigt in die Linie 4. Kurz bevor die Türe zufällt, quetsche ich mich in den gleichen Wagen. Höchstens einen Meter von Pyrozkov entfernt, starre ich auf seinen verschwitzten Nacken. Die Aktenmappe ist in Griffnähe. Jetzt könnte ich zuschlagen. Ich warte bis zur nächsten Haltestelle. Die Tür geht auf. Das Timing muss stimmen. Zupacken, bevor der Zug weiterfährt. Ich packe zu. Pyrozkov ist total perplex. Er lässt die Mappe los. Ich habe sie fest in der Hand. Die Tür geht zu, doch ich bin durch. Jetzt heisst es rennen. Einfach nur noch rennen, soweit mich die Füsse tragen.

Da tippt mir jemand von hinten auf die Schulter. Es ist ein chinesischer Tourist. „Can you take picture please?” fragt er. Wo kommt der denn her? Wo bin ich? Was? Ich stehe immer noch im Kreml vor dem Büro Putins? Da ist die Fantasie aber gehörig mit mir durchgegangen. Der Herr mit der Krawattennadel ist längst verschwunden und nur die chinesische Touristengruppe ist noch da. Klick. Ich mache das Foto und ziehe von dannen – Richtung Metrostation Aleksandrovsky.

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